Zukunft für Brache an der Sonnenallee: Tankstellenparty in Neukölln
In einer kaputten Tankstelle in Neukölln soll am 21. Mai ein Festival stattfinden: „Kultur.Tanken“. Wer steckt hinter dem Projekt und was erwartet die Gäste?

Berlin-Die Scherben von Korn- und Wodka-Flaschen glitzern im Licht der Vormittagssonne, der wild zwischen den Pflastersteinen wuchernde Löwenzahn streckt sich ihr entgegen. Zwischen Kronkorken und leeren Capri-Sun-Trinkpäckchen suchen sich Tauben ihr Frühstück. Wir sind im Norden Neuköllns, an der Sonnenallee 9, Ecke Hobrechtstraße, auf einem runtergerockten Gelände. Es sind die urbanen Ruinen einer einstigen Esso-Tankstelle, die dort bis 2018 in Betrieb war. Seither ist dort nicht mehr viel passiert. Alte Schilder preisen noch Verbrennungsmotorsäfte an: „Super“ oder „Super E 10“. Abgerissene Kabel hängen von den Decken der einstigen Tankstellenüberdachung herunter. Als hätte jemand die Zeit eingefroren. Wer hier in den letzten Jahren mal vorbeikam, konnte Unrat wie alte Matratzen oder demolierte Kühlschränke vorfinden. Oder abends Obdachlose in der Hoffnung auf Schlafplätze.
Inzwischen ist das etwa 35 mal 36 Meter große Areal von dutzenden Bauzäunen umgrenzt. An ihnen hängen Plakate, die etwa für die Entkriminalisierung von Cannabis werben oder auf denen „Konterbier gegen Katar“ steht. Wer unbedingt will, gelangt natürlich trotz der Zäune und des Schildes mit der Aufschrift „Privatgrund“ auf das Gelände. Aber es ist nicht gerade die Art Gelände, auf der man spontan seinen Geburtstag feiern würde. Oder vielleicht ja doch. Zumindest wenn man Diana Alagic und Simon Spannig Glauben schenkt. Mit ihren Sonnenbrillen und Trenchcoats wirken sie auf den ersten Blick wie eine jüngere, stylishere Version des kultigen Spezial-Agentenduos Scully und Mulder aus der Mystery-Serie „Akte X“. Geburtstagspläne haben die beiden zwar nicht direkt – aber sie wollen am Samstag, dem 21. Mai, hier trotzdem eine große Fete feiern: ihr Festival namens „Kultur.Tanken“.

„Wir haben uns in unsere Liebe zum Gelände verbissen“, sagt Diana Alagic, 39, als wir die Zäune leicht zur Seite schieben, um auf das Areal der Tankstellenruine zu gelangen. In Wirklichkeit ist sie keine Spezial-Agentin, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, sondern sie studiert Kulturarbeit an der FH Potsdam – wie auch Simon Spannig, 30. Alagic hat vorher Booking gemacht, auch in dem legendären Berliner Technoladen Tresor. Spanning kommt aus der Mode-PR. Sie sind zwei aus einem Team von neun Studierenden, die dieses Festival als Teil ihres Bachelor-Studiums im vierten Semester planen. Ganz schön ambitioniert: einen Nachmittag lang bis in den Abend hinein Musik und Performances, ein Dutzend Acts aus vielen Ländern. Es wäre das erste Event überhaupt auf dem Gelände.
Lizenz zum Feiern
Wenn man die beiden fragt, wie sie den (gemeinhin unbekannten) Eigentümer des Areals ermittelt haben, drucksen sie etwas herum und weisen darauf hin, dass der seinen Namen auch nicht in der Zeitung lesen wolle. Aber die Lizenz für ihr Festival hätten sie schließlich bekommen. Das ist beruhigend – zumal gerade ein paar Polizisten heranfahren und uns kritisch in Augenschein nehmen, als unser Fotograf die ersten Fotos schießt. Aber wie sich schnell herausstellt, sind sie vor allem gekommen, um eine Demo auf der Sonnenallee abzusichern.

„Zuerst also war die Liebe zu dem Ort, an dem wir beide oft vorbeikamen“, sagt Alagic. „Und dann die Frage: Wie können wir Barrieren abbauen und den Ort transformieren? Zumal Kulturräume im Herzen der Stadt schwinden. Dieser Ort hingegen steht per se zur Verfügung.“ Die Zäune kommen am Tag des Festivals weg. Auch mit einem Rollstuhl gelangt man dann easy auf das Areal und der Eintritt wird für alle kostenlos sein. „Wir machen alles ehrenamtlich“, erklärt Spannig. „Wir müssen eh keine Gewinne erwirtschaften. Aber wir wollen den Leuten den Space geben und den Künstlern eine faire Gage zahlen.“ Dafür und auch für die Technik brauchen sie die Förderung, die sie vom Musicboard bekamen: 15.000 Euro Budget steht ihnen zur Verfügung. Arg viel ist das nicht, aber für ein Studi-Projekt auch kein Pappenstiel. Möglichst divers, auch queer soll das Booking werden – das war ihnen von Beginn an klar. „Das, was das Bild von Neukölln ausmacht“, sagt Alagic. Unter den gebuchten Acts: Enana kommt ursprünglich aus Damaskus, rappt, und definiert sich als nonbinary-trans. Bonono erforscht in seinen körperlichen Performances den Menschen als expressives Mängelwesen. Adir Jan spielt kurdische Musik mit Tambourin und queeren Texten, im Duo mit Emrah Gökmen.


Zum Festival-Line-Up von „Kultur.Tanken“ zählt auch die Band Asphalt Djeli’s, mit der wir nun zum Fotoshoot verabredet sind. „Meine Mama kommt aus Mali und mein Papa ist Franzose“, erzählt Astan KA, 29, die Sängerin der Band. „Wir sind alle mixed race. Die anderen haben Familien aus Guadeloupe, aus Paris und aus Algerien. Doch erst Neukölln hat uns zusammengebracht, 2019.“ Ihr Bandkollege Arawak Tausi spielt Saxophon und Synthesizer. „Meine Inspiration ziehe ich aus elektronischer Musik, aus Techno“, sagt er. „Vieles von Aphex Twin bis House. Aber auch Afrobeats: Fela Kuti, Femi Kuti.“ Nordafrikanische Akustik-Instrumente hat die Band genauso am Start wie Drumcomputer. Traditionell grundierte Musik, aber mit Twist zurück in die Zukunft.
Eine große künstlerische Bandbreite
Astan KA, der man, wenn sie singt, ihre Liebe zum Jazz, insbesondere zur Jazz-Legende Sarah Vaughan, anmerken kann, manipuliert auf der Bühne ihre Stimme gern mit allerlei Effekt-Gerät: Reverb, Delay oder ins Androide verdrehte Vocals. „Damit es futuristischer klingt“, sagt sie und lacht entspannt.

Dazu passen auch die selbstentworfenen Outfits der Band, deren Muster auf afrofuturistischen Collagen von Exocé Kasongo basieren, der bei „Kultur.Tanken“ auf einer zweiten Bühne als tanzender Performer und Gegenpart mit der Musik der Band interagieren wird. „Er tut das sehr expressiv, als würde er eine Geschichte erzählen“, schwärmt Astan KA. Die Moves von Kasongo basieren auf Krump, einem Tanzstil, der in der afro-amerikanischen Community von Los Angeles entstand und seine Wege bis in Musikvideos von Missy Elliott oder Madonna fand. Kasongo lässt bei seinen Performances etwa die Brust blitzartig hochschnellen, lässt seine Arme schwingen oder geht bei den sogenannten Groundmoves runter auf den Boden. Fürs Fotoshoot ziehen sich die Leute der Band Asphalt Djeli’s Visoren über ihre Augen und erinnern damit an Kinohelden aus dem All. Dabei verweist das Wort Asphalt als Komponente ihres Bandnamens ja durchaus noch auf gute alte Autostraßen – und passt damit zufällig auch ganz gut zur Tankstelle.
„Sobald beim Festival die Sonne untergeht“, sagt Diana Alagic, „wollen wir mit Licht und Projektionen arbeiten.“ Sie schaut verträumt. Und wenn man sie so hört, denkt man sich gern mit ihr gemeinsam die Schrottkabel weg, die dort noch hängen, und auch die vielen Kilos Taubenkacke auf dem Boden des Geländes. Diana Alagic und Simon Spannig sind eben Leute, die nicht bloß sehen, was ist, sondern auch, was noch geht. „Es wird hinterher viel schöner aussehen als jetzt“, verspricht Alagic lachend, während wir über die Scherben zerbrochener Wodkaflaschen schreiten. Sie knirschen, als hätten auch sie enorm Bock auf Sounds.
Kultur.Tanken, Samstag, 21. Mai, 14-21.30 Uhr, Adresse: Sonnenallee 9, Ecke Hobrechtstraße, Eintritt frei