Berlin-Im Gedenken an Genesis Breyer P-Orridge, am 14. März verstorbene Legende des Industrialsounds von Throbbing Gristle und Psychic TV, habe ich Marie Losiers liebevolle Dokumentation „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ noch einmal angesehen. Sie handelt vom Kunst und Leben verschmelzenden „Pandrogynie“-Projekt von Jaqueline Breyer und Genesis P-Orridge, und sie stellt es in den Kontext von Leben und Werk P-Orridges, die sie gleichsam krönt und abschließt: Die beiden hatten sich bis hin zu chirurgischen Maßnahmen einander anzugleichen versucht, um über die körperlichen und psychischen Grenzen in einem beinahe wörtlichen Sinn eins zu werden.

Nach Lady Jayes Tod 2007 zogen sich Genesis Breyer P-Orrigde weitgehend aus der Musik zurück - aus „ich“ war schon „wir“ geworden, zurück blieb ein halbes Doppelwesen, dessen andere Hälfte in „die immaterielle Welt“ ausgezogen war. Losier hat sich in ihren meist kurzen Filmen ausgiebig mit stolzen Außenseitern im Pop beschäftigt, mit dem queeren Undergroundfilmpionier Mike Kuchar zum Beispiel, mit Suicides Alan Vega, auch mit der kanadisch-berlinerischen Art-Hop-Sexologin Peaches.
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Körperliche Verandlung als Projekt
Die „Ballade“ war Losiers erster Langfilm (erstmals gezeigt auf der Berlinale 2011). Die Schönheit des Films liegt in der warmen Selbstverständlichkeit, mit der Losier das radikale und für den herkömmlichen Geschmack ganz schön drastische Projekt zeigt und P-Orridge davon erzählen lässt: Von den Zeiten in der sadistischen britischen Schule, von den skandalösen Körperflüssigkeitsperformances den Otto-Mühl-artigen Kollektivs COUM-Transmissions von den psychedelischen Soundexperimenten der 70er- und 80er-Jahre, die den Hörer bis zum physischen Schmerz aus Konvention und Norm heraustreiben wollten. Dazu sieht man in wackligen Homevideos die beiden beim Sortieren von P-Orridges Archiv, in Reizwäsche für Freunde kochen und Händchen haltend mit identischen Bandagen im Gesicht und am Körper: „Nach der Brustvergrößerung sind wir beide nebeneinander aus der Narkose aufgewacht – ein hochromantischer Moment“. P-Orridge beschreibt die körperliche Verwandlung als Konsequenz der künstlerischen Cut-Up-Methode von William Burroughs, einem frühen Förderer.
Der Antrieb sei „die grundsätzliche Weigerung, derselbe zu sein, das Entweder/ Oder-Universum zu verlassen“, sagen Breyer P-Orridge: „Veränderung, Veränderung, Veränderung, das war alles, um das es uns im Leben ging.“ So verstörend das Pandrogynie-Experiment auch sein mag, erfüllt Losiers Film doch auf wundersame Weise und jedenfalls ungefähr Lady Jayes letzten Wunsch: „Man soll uns als eine der größten Liebesgeschichten aller Zeiten erinnern.“
The Ballad of Genesis and Lady Jaye Regie: Marie Losier. USA 2011. 72 min.