„Eisenblut“: Ein Berlin-Krimi, der zur Kaiserzeit spielt

Axel Simons Ermittler Gabriel Landow stolpert auf das Schönste zwischen Flugblattdruckereien, Heißluftballons, Wagners „Parsifal“ und Wilhelms Sterbebett umher. 

Berlin-Draußen im Neuen Palais in Potsdam liegt der Kaiser im Sterben. Sein Vorgänger ist erst vor wenigen Monaten beerdigt worden, wir schreiben das „Dreikaiserjahr“ 1888. Bald wird ihm sein Sohn Wilhelm II. auf dem Thron nachfolgen, und es riecht jetzt schon nach Krieg. 

Der Schriftsteller Axel Simon hat eine Vergangenheit als Opernregisseur.  
Der Schriftsteller Axel Simon hat eine Vergangenheit als Opernregisseur.

Der windige Nichtsnutz Gabriel Landow, missratener Spross aus ostpreußischem Landadel, hält sich in Berlin als Schnüffler für neugierige Ehepartner über Wasser, als er einen merkwürdigen „Regierungsauftrag“ bekommt. Er soll drei Morde aufklären, die auf kuriose Weise mit Geheimplänen für den Bau des „ersten steuerbaren Unterwasserschiffs mit submarinem Torpedoabschuss“ zu tun haben. Landow stolpert von klandestinen Flugblattdruckereien über Heißluftballons, Wagners „Parsifal“-Oper und die vielversprechend ausgebreiteten Arme einer geheimnisvollen Schönen bis ans Sterbebett des Kaisers. Am Ende lauert eine böse Überraschung in diesem fabelhaften historischen Kriminalroman.  

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Der 1962 geborene, in Hamburg lebende Autor Axel Simon schafft es sprachlich sehr gut, die Färbung einer Epoche zu finden, in der Rüstungsindustrie, willfährige Politik und die Geldgier eines aufgepumpten Bürgertums jene unheilvolle Allianz eingehen, die Deutschland letztendlich in die Katastrophe treibt. Und Wagners „Parsifal“ passt da perfekt: „Ein toter Greisenkönig, ein dahinsiechender Machthaber mit offener Wunde und ein Jüngling, gerade noch als Tölpel verlacht, als der neue Hoffnungsträger.“

Hoffnung macht der zweite Wilhelm mit seinem Hang zum Militärischen den Herren mit dem Geld, denn „Krieg ist ein Geschäft, schon die Angst vor einem Krieg ist ein Geschäft, und der Wiederaufbau nach einem Krieg ist wieder ein Geschäft.“ So zeigt der historische Materialismus an unerwarteter Stelle seine ganze Stärke, und Simon illustriert diese Analyse mit überzeugenden Bildern einer Welt zwischen dem elitären Congo-Club, wo reiche Herren dem neu aufgekommenen „Afrikataumel“ frönen, und dem vollkommen idyllfreien Hinterhofdreck Kreuzbergs: Überall wachsen die Ismen zu voller Blüte, allen voran der Antisemitismus.

Ganz der Gier geschuldet ist dann auch der Zusammenbruch des ostpreußischen Familienerbes. Fast verliert Simon bei all den Murmeln, die er gleichzeitig rollen lässt, die Übersicht, aber sein glänzend durchironisierter Erzählton, mit dem er die übliche Karikaturenmischung aus Pickelhaube, schnarrendem Befehlston und katzbuckelnder Unterwürfigkeit meidet, trägt über manche inhaltliche Unzulänglichkeit hinweg und bewahrt ihn vor den üblichen Stolperfallen des Genres. Drastisch malt „Eisenblut“ den unrühmlich-hässlichen Anfang des deutschen Elends aus – und macht Heidenspaß.

Axel Simon: Eisenblut, Kriminalroman; Kindler Verlag, Hamburg 2020, 414 S., 20 Euro