Exklusives Sommertheater „The River“: Treibend dem Fluss zuhören

Mit der performativen Bootstour „The River“ von Aimé C. Songe können Daheimbleibende in diesem Sommer weiter reisen als zuvor gedacht.

Theater für einen Zuschauer in einem Boot: „The River“ von Aimé C. Songe.
Theater für einen Zuschauer in einem Boot: „The River“ von Aimé C. Songe.Mayra Wallraff

Es hat ja immer etwas Überwältigendes, einen Sonnenuntergang am Wasser zu sehen. Wie die Sonne aber dieser Tage hinter den Turmspitzen der Berliner Mitte im Dunst versinkt, ist fast magisch. Die Magie kommt von der guten alten Spree her, die für sich genommen eine ziemlich dunkle Brühe transportiert, aber an diesen Abenden Sonnengold auf ihren Wellen jongliert und diese in gleißendes Licht verwandelt, das die Augen fesselt und blind macht zugleich. So erlebt am vergangenen Sonntag zwischen Stralauer Spitze und Insel der Jugend, wo der Fluss eine Breite bekommt, die fast einem See gleicht und doch weiter um Inselchen und Biegungen kurvt, die sein Bild vielgestaltig halten und überraschen.

20 Meter lange Schlepper lagern hier wie rostige Metallriegel vor den romantischen Trauerweiden des Stralauer Ufers und warten träge auf die nächste Ladung, während kleine Jachten an der Rummelsburger Seite wie Kanalflitzer nervös an den Piers auf und ab wippen. Dahinter, das Industrieufer mit den monumentalen Betonburgen von Zement- und Heizkraftwerk, die gleich das energetische Ungemach der krisengespickten Gegenwart mit in den Sinn schieben, aber von der glitzernden Abendsonne mitgeadelt werden wie alles hier.

Auf der gegenüberliegenden Seite: die waldige Luftigkeit des Treptower Parks, aus dem Musicbeats und Freizeitstimmung rüberschwappen. Und auf dem Wasser selbst tummeln sich vom Hausboot bis zum dampfenden Floß bunte Schwimmkisten, die von Abenteuerlust, überschüssiger Lebenskraft und Ausgelassenheit erzählen und viele unbekannte Geschichten mehr mit sich ziehen.

Schwankende Gedanken.
Schwankende Gedanken.Mayra Wallraff

„Der Fluss unter dir ist voller Geschichten“, höre ich eine ruhige Frauenstimme durch den Kopfhörer flüstern, während ein Bootsmann in ebenso stoischer Ruhe mich wie ein Gondoliere in seinem Ruderboot übers Wasser schippert. „Versuche dem Fluss zu begegnen, ihm zuzuhören!“, rät sie weiter, als plötzlich ein Partyboot vorbeirast, das unseren kleinen Kahn so ins Schleudern bringt, dass man fürchtet, die Spree spült gleich schon ganz von selbst ihre feuchten Geschichten über uns hinweg. Das Unberechenbare, radikal Offene ist Prinzip dieser wundersamen Bootstour an dieser emblematischen Stelle im Osten Berlins, wo Stadt und Land, Arbeit und Nichtstun, Gründerzeit, DDR und ziellose Gegenwart zusammenfließen.

Hier existiert nichts Festes und Verlässliches mehr

Der Künstler Aimé C. Songe alias Clément Layes hat sie sich zusammen mit fünf weiteren Performern ausgedacht und „The River“ genannt. Allabendlich bis September schippert er nun abwechselnd mit den Kollegen jeweils einen Gast eine Stunde lang von der Stralauer Spitze über den Fluss, lässt ihn die Stimme im Kopfhörer hören, die bald wie aus dem eigenen Innern zu sprechen scheint und den Körper- und Gedankenfluss in seltsamen Einklang bringt mit der ruhigen Unrast des Wassers.

Keine gewöhnliche Bootstour ist das, kein bloßer Perspektivwechsel, der den gerahmten Landblick einfach vom Wasser aus umkehrt. Denn tatsächlich gerät in diesem kleinen Fischerboot aus den 1950er-Jahren schon bei mittlerem Wellengang alles heftig ins Schwanken. Und jede Schwingung überträgt sich direkt auf die Körper. Hier existiert nichts Festes, Verlässliches mehr und von Minute zu Minute spürt man stärker, wie sich auch alles Festgefahrene, alle kategorialen Geländer im Kopf auflösen.

„Spree“ kommt von „Spreizen“

Hören also auf den Fluss selbst? Da ist Plätschern in verschiedenen Variationen, Vogelstimmen, Lachen vom Ufer her, ferne Motoren, und natürlich überstrahlt alles das alles flirrende Licht, das das Wasser in eine andere Substanz zu verwandeln scheint. Unvermeidlich schaue ich tiefer hinein, Dunkel. Dann ans Ufer, wo die Menschen reglos sitzen und von hier aus wie Wartende aufs Wasser blicken. Der Starlauer Friedhof taucht daneben auf, der Kahn wird langsamer, stoppt und wartet schließlich selbst. Und plötzlich scheint der Fluss von hier aus tatsächlich Grenzen und Zeiten zu öffnen und die Sphären der Lebenden und der Toten ineinanderfließen zu lassen: die am Ufer Sitzenden neben ihrer Zukunft im Jetzt der schillernden Abendsonne. Es ist nichts Deprimierendes daran, viel mehr eine fast tröstlich heitere Gedankenreise.

Dann nimmt Clément, der Bootsmann, ein Glas Wasser aus dem Fluss, betrachtet es und reicht es mir: kleine Tierchen darin, grün und braun, zum Trinken nicht geeignet, aber offenbar Element für vieles. Und stumm schütten wir es ins Große zurück. Geschichten tauchen hier auf wie diese Mikroben, man muss sie aus dem Auf und Ab des Wassers schöpfen, den Details des bizarren Bootes, dem irisierenden Lichtspiel, den Uferbildern und dem eigenen Wahrnehmungsschatz. Nach einer Weile öffnet sich der Fluss tatsächlich – „Spree“ kommt von „Spreizen“ – und das ist herrlich. Denn mit ihm verändert man sich selbst.

The River Viele Vorstellungen bis Ende September, momentan leider alle ausverkauft. Informationen: www.sophiensaele.com