Fiktionale Bezüge in einer sich unwirklich anfühlenden Krise
Das Literaturhaus Berlin residiert edel in der Fasanenstraße. Da es sein Programm derzeit online präsentiert, sind Schwellenängste aber nicht angebracht. Zu sehen sind Profi-Performances, aber auch Vor-dem-Computer-Hockerinnen von quasi nebenan.
Berlin-Das Literaturhaus Berlin (Li-Be) ist eine edle Immobilie in der Fasanenstraße. Es verfügt über großzügige Säle, ein pompös getäfeltes Kaminzimmer und viel glänzendes Fischgrät-Parkett. Wer noch nie da war, ja womöglich eine gewisse Scheu vor diesem kudammnahen Tempel der Hochkultur hegt, kann das Haus gerade mit Sicherheitsabstand kennenlernen. Alle Veranstaltungen werden seit Beginn der Corona-Krise als Livestream und auch danach online präsentiert.

Zum Beispiel die filmische Lesung von Thomas Köcks „paradies hungern“ am Europatag (5. Mai). Sie führt durch Treppenhäuser, Flure und Säle, aber auch in Toilettenräume oder ein Büro. Es geht um Europas Krisen, Gewalt und geschlossene Grenzen. Neben dieser Produktion mit Schauspielprofis und Regie zeigt das Li-Be-Online-Programm vor allem Menschen, die – wie so viele gerade – einfach vor ihren Computern sitzen: Allen voran die Literaturhaus-Leiterinnen Janika Gelinek und Sonja Longolius, die uns und die Gäste am Anfang jedes Videogesprächs begrüßen.
Oder der Autor und Journalist Nagham Haydar mit seiner Reihe „My favorite kitab“, der die syrische Schriftstellerin Ramy Al-Asheq nach ihrem Lieblingsbuch fragt. Er findet es seltsam, das von zu Hause aus zu tun, freut sich aber, dort rauchen zu können. Karosh Taha unterhält sich mit Senthuran Varatharajah über ihren neuen Roman, Michael Kumpfmüller mit Lele Pollatschek über den seinen. Judith Kuckart sitzt allein im Literaturhaus-Saal, diskutiert aber via Monitor mit sieben Studierenden der Uni Innsbruck. Außerdem gibt es Audio-Formate. Etwa den neuen Podcast „Call for Fiction“ der Literaturagentur Kabeljau und Dorsch: Gespräche über die fiktionalen Bezüge der sich so unwirklich anfühlenden Pandemie-Wirklichkeit. Marlene Streeruwitz schreibt ja längst einen Fortsetzungs-Corona-Roman, um ihn geht es am 19. Mai.
Am 13. Mai kommt aber erst mal eine andere gestandene Feministin zu Wort, nämlich die eigenwillige, poetische, oft sehr witzige Ginka Steinwachs. Unter der Überschrift „Eine Frau wird älter“ zeigt sie eine Perfomance-Lesung mit Sanduhr, abgeschnittenem Goethe und vielleicht auch Turnübungen. Und sie spricht mit unserer Berliner-Zeitung-Kollegin Petra Kohse, die Verma Wallis’ Überlebenskünstlerinnen-Roman „Zwei alte Frauen“ mitbringt. Moderiert von Zeit-Journalistin Susanne Mayer geht es um betagte Frauen beziehungsweise das notorisch unterschätzte weibliche Geschlecht. Was könnte in Zeiten von Stay-at-Home-Multitasking-Muttis und eingesperrten Risiko-Alten aktueller sein?
Das Angebot des Literaturhauses ist lebensnah, oft dezidiert politisch, und nicht nur im egalisierenden Video-Format liebenswürdig unprätentiös. Schauen Sie doch mal rein, gerade reicht ein Klick.
Eine Frau wird älter. Ginka Steinwachs und Petra Kohse im Gespräch mit Susanne Mayer, 13.5., 18 Uhr, www.literaturhaus-berlin.de