Film „Die Unsichtbaren“: Wenn Überleben das einzige Ziel ist

Hanni, Ruth, Cioma und Eugen sind in einem Alter, da man über sie sagen könnte, sie hätten das Leben noch vor sich. Doch ihre Chancen auf eine Zukunft stehen äußerst schlecht. Sie sind Juden. Die Handlung des Films „Die Unsichtbaren“ beginnt im Jahr 1943, als Nazideutschland seine letzten Schritte unternimmt, sich der jüdischen Bevölkerung zu entledigen.

Darauf, in welchem Maße diese Menschen nur ihrer Herkunft wegen zuvor schon entrechtet worden sind, deutet manchmal ein Wortwechsel hin: Dass sie verpflichtet waren, einen gelben Stern sichtbar an ihrer Kleidung zu tragen, ihre Vornamen um den Zusatz Sara oder Israel erweitert worden sind, ihnen die Ausübung vieler Berufe und gute Ausbildung verwehrt und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erst ab einer Entfernung von sieben Kilometern für den Arbeitsweg erlaubt waren.

Angst und Ausgrenzung waren die vier Protagonisten des Films also schon gewohnt, und doch wollten sie sich die Hoffnung auf eine Zukunft erhalten.

Als die Aufforderung kam, sich zur Sammelstelle zu begeben, als sie die Nachbarn verschwinden sahen und ahnten, dass dies den Tod bedeuten würde, haben diese vier sich ins Versteck begeben. Sie waren nicht die einzigen. Doch solche Geschichten sind wenig bekannt. Berühmt wurde das Mädchen Anne Frank, deren Familie in Amsterdam im Hinterhaus zwei Jahre überstand, bis sie verraten wurde.

Hanni, Ruth, Cioma und Eugen überleben

Zu einem Fernsehfilm wurde vor drei Jahren die Geschichte der Berlinerin Inge Deutschkron, die beim Bürstenfabrikanten Otto Weidt Unterschlupf fand. Auch Eva Kemlein, später Theaterfotografin der Berliner Zeitung, überlebte im Untergrund. Etwa 7000 Juden versuchten sich in Berlin versteckt in Gartenlauben, Speise- oder Dachkammern vor guten Deutschen zu retten. 1700 von ihnen konnten das Kriegsende feiern.

Auch Hanni, Ruth, Cioma und Eugen überleben, das weiß der Zuschauer dieses ungewöhnlichen Films früh. Dennoch geraten sie wiederholt in brenzlige Situationen. Hanni irrt tagelang herum, bis sie sich ein Herz fasst und einer Kinokartenverkäuferin offenbart, die sie mitnimmt und behandelt wie eine Tochter.

Ruth wechselt von Versteck zu Versteck, manchmal um einen Wimpernschlag an einer Kontrolle vorbei. Eugen wird von seinem nichtjüdischem Vater, einem Arzt, bei dankbaren Patienten untergebracht, doch dann verplappert sich die Frau des Hauses beim Einkaufen.

Cioma fälscht Pässe für andere, doch dann fliegt sein Auftraggeber auf. Die Kameraführung, oft in sehr langen Einstellungen, und das präzise Spiel der jungen Darsteller Alice Dwyer, Ruby O. Fee, Max Mauff und Aaron Altaras übertragen den Nervenkitzel an die Zuschauer.

Räfle nutzte Interviews als Recherchematerial

Der Autor und Regisseur Claus Räfle kommt eigentlich vom Dokumentarfilm. Bei seinem ersten Spielfilm profitiert er von dieser Erfahrung. Sogar die Idee zu diesem Stoff kam ihm bei einer Dokumentation, im Jahr 2004 war das, als er die Geschichte eines Bordells erforschte, wo er zufällig erfuhr, dass dort eine Jüdin versteckt worden war.

Vor neun Jahren begann er, Interviews zu führen: mit Hanni Lévy in Frankreich, mit Ruth Gumpel in Kalifornien, Cioma Neuhaus in der Schweiz und mit Eugen Friede in Deutschland. Haarklein ließ er sich erzählen, wann sie sich oder sogar ihre Eltern entschieden, ins Versteck zu gehen, ganz genau ließ er sich erklären, wo und bei wem sie unterkamen und welche Gefahren sie überstanden.

Was er da erfuhr, hat Räfle als Recherchematerial genutzt, auf dieser Grundlage konnte er mit seiner Co-Autorin das Drehbuch so authentisch gestalten.

Teile dieser Interviews verwendet er jedoch auch direkt und verknüpft sie mit der Spielfilmhandlung. Die vier Frauen und Männer erzählen ihre Geschichte als betagte Menschen, sprechen direkt in die Kamera. Sie reden mit wachen Augen von ihrer Jugend, die geprägt war von Sorgen, aber auch von einem dringlichen Lebensmut.

Neben den vier Hauptdarstellern sind auch die zahlreichen Nebenrollen großartig besetzt

Dabei werden ihre Worte zu Bildern. Man sieht sie als junge Frauen und Männer um die zwanzig. Anders als in den semidokumentarischen Filmen, die man bisher kennt, etwa von Heinrich Breloer, gibt es in „Die Unsichtbaren“ keinen abrupten Wechsel zwischen Dokument und Spielfilm, die Szenen sind fast nahtlos verschränkt.

Manchmal geht ein Satz aus dem Munde des Zeitzeugen im Mund des Schauspielers weiter. Ein Bildschnitt teilt hier nicht die Situationen, sondern fügt die Zeiten zusammen – über siebzig Jahre hinweg. Und so schafft es der Film, dass man der Illusion erliegt, wirklich diese Menschen in jungen Jahren zu sehen.

Neben den vier Hauptdarstellern sind auch die zahlreichen Nebenrollen großartig besetzt, mit dem kürzlich verstorbenen Andreas Schmidt, Steffi Kühnert, Florian Lukas, Maren Eggert und vielen anderen. Obwohl man deren Gesichter kennt, nimmt man sie nicht als Stars war, sondern auch sie verschmelzen mit den Rollen. Der Film ist ein Glücksfall. Er macht Geschichte lebendig.