Filmkritik "Queen of the Desert": Durchs wilde Kurdistan mit Nicole Kidman

Vor einiger Zeit sagte Werner Herzog mal, seine Filme seien alle bayerisch. Auch eine Dokumentation wie „Death Row“ über zum Tode verurteilte US-Häftlinge sei letztlich ein bayrischer Film, so der Regisseur. Was er damit meinte, erklärte Herzog seinerzeit nicht. Man kann nur vermuten, dass es um die Herkunft ging, die der Mensch überall hin mitnimmt, ganz gleich, wo er sich befindet. Werner Herzog ist eigenem Bekunden zufolge immer dorthin gegangen, wo ihn seine Neugier auf der Suche nach einer „ekstatischen Wahrheit“ hintrieb.

Nun trieb ihn die Neugier zur Geschichte und zu den Mythen von Nahost – wobei der Filmemacher darauf besteht, dass er stets „vorwärts pflügt“. Wenn Herzog also einen Spielfilm über eine historische Person dreht, muss er wohl die Gegenwart im Blick haben. „Königin der Wüste“ erzählt von Gertrude Bell, die als „weiblicher Lawrence von Arabien“ in die Geschichte einging und dennoch den meisten Menschen hierzulande unbekannt ist.

Woran das liegt? Schwer zu erklären – schließlich bemühen sich Wissenschaftler und Biografen inzwischen um viele jener lange anonym gebliebenen Frauen, die auf Verdienste in Kunst, Politik und Religion verweisen können. Doch Gertrude Margaret Lowthian Bell (1868–1926) stand wohl ungeachtet etlicher Publikationen von ihr selbst und über sie zu sehr im Schatten des tatsächlichen „Lawrence von Arabien“, der nicht zuletzt durch David Leans monumentalen Spielfilm aus dem Jahr 1962 unsterblich wurde.

Dass Werner Herzogs Film ein Gleiches gelingt, steht nicht zu vermuten. „Königin der Wüste“ ist nicht allein der erste Herzog-Film mit einer weiblichen Hauptfigur, sondern auch ein verblüffend konventioneller, ja schematischer Film für so einen visionären Bilderschöpfer. Das wird Herzog indes nicht anfechten, hat er doch festgestellt: „Die Nachwelt ist mir gleichgültig.)

Ob das auch für seine Protagonistin zutraf? Kaum anzunehmen: Die Britin Gertrude Bell war Forschungsreisende, Historikerin, Schriftstellerin, Archäologin, politische Beraterin und zeitweise Angehörige des Secret Intelligence Service – mithin also eine Drahtzieherin, vor allem, was die Grenzziehungen in Nahost betrifft, die politische Neuordnung dieser Region. Als erste Frau durchmaß sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Orient.

Herzogs Film zeigt, wie sich diese Frau immer weiter fortbewegt vom Alltag einer Tochter aus gutem Haus. Anders ließ sich Bells Konflikt zwischen Ambitionen und Konventionen nicht lösen. Damals sollten junge Frauen potenzielle Ehemänner gefälligst nicht durch allzu offensichtliche Intelligenz abschrecken. Dabei war Gertrude, die aus einer Industriellenfamilie stammte, vom Vater in den 1880ern sogar zum Studium nach Oxford geschickt worden. Unverheiratet zu sein, bleib jedoch ein Stigma.

Zunächst führt Herzog den Zuschauer ins Kairo des Jahres 1915: Am Kartentisch sind generalstabsmäßig ein paar Herren versammelt, und in der Originalversion des Films nennen sie die Frau, von der sie immerhin ihre strategischen Informationen beziehen, eine „silly Bitch“, eine alberne Schlampe. Unter diesen Männern befindet sich auch T. E.„Lawrence von Arabien“, vom Hollywood-Star Robert Pattinson fesch mit Palästinensertuch gegeben, was unfreiwillig komisch wirkt und einen schiefen Ton setzt für diesen Film. Und dann noch Nicole Kidman: Komplett weich gezeichnet erscheint die Schauspielerin in der Hauptrolle – und das meint sowohl die Optik als auch die inhaltliche Ebene des Films.

Wir sehen Gertrude Bell in der britischen Botschaft in Teheran. Hier wird beim Empfang humoristisch auf „Ihro prüde Majestät“ angestoßen. Und bald tritt James Franco auf als Henry Cadogan, ein charmanter Tunichtgut, dem die hochgewachsene, in Kidmans Verkörperung sogar statuarisch wirkende Gertrude verfällt. Aber sie darf ihn nicht ehelichen, und er stürzt sich irgendwann in den Tod.

Traurig natürlich. Doch man fragt durchaus, was sich Herzog wohl bei dieser Liebesschmonzette gedacht hat. Immerhin wird sie durch eine Szene fulminant gebrochen: Als Gertrude und Henry eine zoroastrische Kult- und Begräbnisstätte aufsuchen, sehen sie sich mit einem riesigen Geier konfrontiert; diese Vögel sollten dem Kult zufolge die Toten reinigen, indem sie deren Fleisch von den Knochen fraßen. Der Kontrast zwischen den beiden Menschen und dem Tier wird jäh gesetzt – ein schockierender Einbruch brutaler Kreatürlichkeit. Leider bleibt es der einzige Herzog-Moment in diesem Herzog-Film.

Der ist vor allem ein Star-Vehikel: Nicole Kidman in schönen Bildern, auch exotischen Landschaftsbildern, die eigentlich zu Seelenräumen der Heldin werden sollen, dieses Potenzial aber nicht entfalten – vielleicht weil man nie wirklich Gertrude Bell wahrnimmt in ihrer facettenreichen Existenz, sondern immer nur Nicole Kidman. Der Star blockiert fatalerweise den Zugang zur eigentlichen Hauptfigur. Kidman reitend auf Kamelen, dann Scheichs und Stammesfürsten mit provokantem Selbstbewusstsein entgegentretend und eine versuchte Geiselnahme überstehend.

Irgendwann begegnet sie irgendwo in der Wüste T. E. Lawrence, und der ist nett zu jener Frau, die ihr Herz der Wüste geschenkt hat, nachdem die große Liebe starb. Vielleicht wollte der bald 73-jährige Werner Herzog ja tief aus der Vergangenheit heraus das Melodram für unsere Gegenwart neu erfinden. Doch dazu fehlt seiner „Königin der Wüste“ der gewisse Herzog-Wahn.

Film: Königin der Wüste: USA/Marokko 2015. 129 Minuten, Farbe. FSK o. A. Drehbuch & Regie: Werner Herzog, Kamera: Peter Zeitlingeer, Darsteller: Nicole Kidman, James Franco , Robert Pattinson, Assaad Bouab u. a.

Buch: Gertrude Bell: Ich war eine Tochter Arabiens. Bastei Lübbe; 253 Seiten; 9,75 Euro.