Filmkritik „The Death of Stalin“: Die britische Komödie schwankt souverän zwischen Groteske und Drama

Wenn wir an russischen Politikern etwas lieben, ist es die schneidende Nüchternheit ihrer Sprache. Der überhaupt infame Film „The Death of Stalin“ (Stalins Tod), erklärte der Gründer der Partei „Großes Vaterland“ Nikolai Starikow im Oktober, also noch vor den aktuellen Spannungen, sei „ein unfreundlicher Akt der britischen intellektuellen Klasse“. In der Tat, besser kann man die Komödie nicht beschreiben. Die russische Regierung sah das ähnlich und verbot den Film kurzerhand.

Das ist keine besondere Ehre, der amerikanischen Nordkorea-Satire „The Interview“ ging es genauso. Welche Orden sich Armando Iannuccis Stück sonst noch verdient, ist die wirkliche Frage. Eine Komödie über Josef Stalin, einen der schlimmsten Diktatoren der Menschheitsgeschichte, geht das überhaupt? Und wenn ja, zu welchem Preis? Dies vorweg: Bei auch nur leisesten Sympathien für den Massenmörder und Kriegshelden, denn als solcher wird er noch immer verehrt, sei abgeraten.

Stalin lacht sich tot

Es geht damit los, dass Stalin sich totlacht. Das heißt gewissermaßen, denn nach einem Schlaganfall bleibt er stundenlang liegen. Keiner wagt es, den Sterbenden zu berühren. Es gibt ein Protokoll für Stalins Tod, doch noch ist es nicht soweit. Wer könnte Befehle geben? Wer einen Arzt holen?

Alle guten Ärzte, heißt es, sind im Gulag oder tot – auf Stalins Befehl, aus Angst vor Vergiftung. Eine Parallelhandlung spiegelt geschickt die Situation: Auf eine letzte Weisung des Diktators soll eine gerade beendete Konzertaufführung auf Band genommen, sprich: wiederholt werden.

In absurder Hektik werden Passanten von der Straße geholt, um – Stalin hat nicht nur ein gutes Ohr, sondern zwei! – die Akustik zu gewährleisten. Die Versicherung, niemand werde erschossen, sorgt für Entsetzen. Es ist eben diese lähmende Angst, die die Komik vorantreibt, auch oder erst recht nach Stalins Tod.

Crème de la crème britisch-amerikanischer Komödienkunst

Das ganze Horrorkabinett der Sowjetgeschichte kämpft nun um seine Nachfolge, und gespielt wird es von der Crème de la crème britisch-amerikanischer Komödienkunst: Der brutale NKWD-Chef Beria (Simon Russell Beale) wedelt mit seinen Todeslisten, Chruschtschow (Steve Buscemi) sinnt auf dessen Sturz, der ewige Stellvertreter Malenkow (Jeffrey Tambor) wäre lieber ganz woanders, Molotow (Michael Palin) würde für einen Posten seine Ehefrau verraten. Tatsächlich tut er das auch, dabei hatte Beria nur einen Scherz gemacht. Das über Jahrzehnte festgezurrte Netz aus Linientreue, Sprechverboten und nackter Feigheit gleicht plötzlich einem Mikadospiel: Wer zuckt, verliert.

Ein in der Tat sehr britischer Humor ist hier am Werk, der anarchisch ist und auf mögliche Gefühle wenig Rücksicht nimmt. Ähnlich hat Iannucci mit der Comedy-Serie „The Thick of It“ das britische und mit „Veep – Die Vizepräsidentin“ das amerikanische Politsystem auseinandergenommen. Zuvor war er Schöpfer der Kultfigur Alan Partridge.

In Deutschland muss man auf den Namen Monty Python verweisen, um diese in Wahrheit noch viel größere BBC-Humorschule begreiflich zu machen. Auch die legendäre Komikertruppe bediente ja gerne historische Sujets, ohne sich um deren Aktualität zu scheren. Die Mitwirkung von Michael Palin als Molotow ist nicht mehr als ein Verweis, doch die Richtung stimmt: Der Slapstick von „The Death of Stalin“ ist krasser und zugleich gediegener als der amerikanischer Pendants.

Aus der Zeit gefallen

Ein heutiges Publikum mag sein Timing gar als langsam empfinden. Die Pointen fallen beiläufig, ohne Mithilfe von Kamera und Schnitt. Der Film beruht zwar, man glaubt es kaum, auf einer Comic-Buchreihe. Doch Iannucci inszeniert optisch ein Drama – das es ja eigentlich auch ist. Dass die akkurat betagten Darsteller spielen, als hätten sie seit zwanzig Jahren keine Komödie mehr gesehen, tut sein übriges.

„The Death of Stalin“ ist, mit anderen Worten, so aus der Zeit gefallen wie seine Protagonisten. Ein seltsam widerständiger Charme ist das Resultat, der die einzelnen Gags wertvoll macht, etwa wenn sich beim Staatsbegräbnis alle um die Frage drücken, wer zum Teufel hier die Bischöfe eingeladen habe. Ist das ein neuer Kurs? Wäre „Liberalisierung“ vielleicht eine gute Idee?

Brillanter Verfremdungseffekt

Ein weiterer wichtiger Aspekt geht in der Synchronisation verloren: Alle Darsteller – bis auf Andrea Riseborough als Stalins Tochter Swetlana treten prominent nur Männer auf – sprechen in ihren teils breiten englischen und amerikanischen Akzenten. Ein brillanter Verfremdungseffekt: Keiner bemüht sich hier, einen Russen zu imitieren.

Wie der Vorwurf der Russenfeindlichkeit überhaupt ins Leere geht. Getroffen wird nur, wer auch gemeint ist. Iannuccis Spiel mit dem Entsetzen gilt den Stalinisten alter und neuer Schule, aber eigentlich den Autoritären aller Länder, ob sie nun wie die Putin-Regierung einen Eiertanz um die heutige Bewertung Stalins vollführen oder wie Trump „You’re fired!“ rufen. Man sollte meinen, sechzig Jahre nach Entstalinisierung und Zusammenbruch des Sowjetkommunismus komme diese muntere Groteske reichlich spät. Wie es aussieht, ist der Zeitpunkt goldrichtig.

The Death of Stalin Frankreich/Großbritannien 2017. Regie: Armando Iannucci, Darsteller: Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Rupert Friend, Andrea Riseborough u.a.; 108 Min., Farbe. Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos.