Forum des Theatertreffens: Darf in Teheran getanzt werden?
Berlin - Am Montagmorgen steht Nasir Formuli aus Afghanistan in einem Raum der Weddinger Uferstudios mit dem Gesicht zur Wand und schreit. Laura Jiménez Gonzáles aus Kolumbien parfümiert sich mit einem Deoroller, und Uwe Gössel aus Deutschland erzählt einen Witz: „Geht ein Cowboy zum Friseur. Als er herauskommt, ist sein Pony weg.“ Keiner von ihnen trägt Schuhe. Die mussten sie schon an Station zwei ausziehen. So befahl es ein gelber Zettel, der auf dem Fußboden klebte, geschrieben von denen, die in dieser Runde zuschauen. Wir befinden uns in einem Workshop, geleitet von zwei Vertretern des Autoren-Regie-Teams Rimini Protokoll, Helgard Haug und Daniel Wetzel.
Er findet im Rahmen des Internationalen Forums beim Theatertreffen statt. 36 junge Theatermacher aus aller Welt verbringen dieses Jahr zwei Wochen in Berlin, ausgewählt aus 250 Bewerbern. Das Forum feiert dieses Jahr Jubiläum, es findet zum 50. Mal statt. 2 162 Stipendiaten sind seit 1964 nach Berlin gereist, erst nur aus Deutschland, seit den 1980er-Jahren von überallher. Der Dramaturg Carl Hegemann nennt das Forum die „wichtigste Institution der deutschen Theaterlandschaft“.
Auf der Suche nach dem Glück
Es gibt Projekte in dieser Landschaft, die ohne diese Institution vielleicht nicht zustande gekommen wären. Das „Projekt G“ etwa, das in vier verschiedenen Ländern die Frage stellte: Was ist Glück? Was würden Menschen in Japan antworten, in Namibia, in Marburg, in Chicago? 2011 waren unter den Forums-Teilnehmern der Schauspieler Ehito Terao aus Japan, die Regisseurin Natasha Lamoela aus Namibia, Brian Bell, Regisseur aus Chicago und die deutsche Dramaturgin Annelie Mattheis.
Ehito Terao erzählte damals von den Bedingungen des Theatermachens vor dem Hintergrund der atomaren Katastrophe in Japan, davon, dass er seine Wohnung mit Flüchtlingen teile, weil er Kunst und Leben nicht trennen könne. Natasha Lamoela berichtete von der Notwendigkeit, in Namibia mit Hilfe des Theaters Hygieneregeln zu vermitteln. So unterschiedliche Ansprüche kann Theater haben. Oder gleichen sie sich nicht eigentlich, indem sie wichtige gesellschaftliche Themen ansprechen? Die vier jedenfalls begründeten das „Projekt G“, das sie am Stadttheater Marburg und in Japan verwirklichten.
Geschichten wie diese erzählt Uwe Gössel, der wie das Forum Jahrgang 1966 ist. Zehn Jahre lang hat er dieses geleitet und geprägt. Drei Jahre bevor er für diese Funktion nach Berlin kam, hatte er selbst am Forum teilgenommen − er arbeitete damals als Dramaturg am Rostocker Theater − und hatte mit einem Brasilianer das Zimmer geteilt. Der habe das Theater in seiner Heimat mit einer fast ausgestorbenen Tierart verglichen und das Tagegeld, das er in Berlin bekam, für seine Familie in Brasilien gespart. Für derartige Horizonterweiterungen steht das Forum für Uwe Gössel bis heute.
Selbst die Bilder, die an der Wand seines schmalen Büros im Haus der Berliner Festspiele hängen, berichten davon. Da gibt es etwa ein Foto aus Luanda, der Hauptstadt Angolas. Es zeigt ein mehrstöckiges Haus mit geschwungenen Ecken. Bauhausarchitektur. Ein Forumsteilnehmer hat ihm das Bild geschickt. „Bauhaus gilt in Angola als altmodisch, nicht als modern wie bei uns“, sagt Gössel.
Uwe Gössel wird das Bild aus Luanda bald abhängen müssen. Er leitet das Forum zum letzten Mal, ein neuer Vertrag kommt nicht zustande. Was das zu bedeuten hat? „Wie sag’ ich das jetzt“, antwortet er. „Unsere Vorstellungen über das Forum gehen offensichtlich nicht zusammen.“ Er spricht von Yvonne Büdenhölzer, seiner Chefin, die das Theatertreffen seit 2012 leitet. Sie antwortet auf die gleiche Frage: „Inhaltliche und auch personelle Veränderungen gehören zur Arbeit im Theater.“ Ein Nachfolger wird nicht gesucht. Das Forum solle stärker ins Theatertreffen integriert und an das Kernteam angebunden werden. Und: „Es gibt kein eigenes Motto mehr“, sagt Yvonne Büdenhölzer. In den vergangenen Jahren hatte das Forum immer unter einem solchen gestanden, „Öffentlichkeiten inszenieren“ oder „Unterwegssein als neues Zuhause“.
Internationales Konsensessen
Das klingt, als empfinde Yvonne Büdenhölzer das Forum in seiner bisherigen Form als zu eigenständig, als kreise es zu wenig um das Zentralgestirn Theatertreffen. Auch die zweiwöchigen Workshops in kleinen Gruppen, die in den vergangenen Jahren von Leuten wie Andres Veiel oder Armin Petras geleitet wurden, gibt es seit diesem Jahr nur noch in reduzierter Form. Sie wünsche sich zudem mehr Öffentlichkeit, sagt Yvonne Büdenhölzer. Die soll unter anderem das neue Format „Camp“ herstellen, das den Rahmen für öffentliche Diskussionen zwischen Stipendiaten und Zuschauern herstellt.
Öffentlichkeit hat es für das Forum in den vergangenen Jahren tatsächlich wenig gegeben. Die Berlinale Talents, eine Initiative der Filmfestspiele, die ähnlich funktioniert und für die das Forum Vorbild war, zieht mehr mediale Aufmerksamkeit auf sich. Uwe Gössel sagt, er habe das Forum vor allem als Schutzraum für die Theatermacher konzipiert. Er hält einen solchen Raum für nötig, um offen und vertrauensvoll sprechen zu können, auch über Dinge, die man öffentlich nicht sagen würde. Wenn man die Kommentare der Teilnehmer liest, haben sie das Forum als solchen verstanden und geschätzt: „Zwei Wochen lang haben wir alle Uhren ausgestellt, hatten echten Experimentierraum ohne Produktionsdruck, ohne Verwertungsgedanken“ schrieb Angela Löer, Dramaturgin, nach ihrer Teilnahme am Forum im Jahr 2009.
Mittagspause in den Uferstudios. Es gibt internationales Konsensessen, also Vegetarisches. Anna K. Becker, Dramaturgin und Regisseurin in Berlin, sagt, die Teilnahme am Forum sei auch ein „Prestigeding“. „Das kann man sich in den Lebenslauf schreiben.“ Der Regisseur aus Teheran wird gefragt, ob Tanz in Iran wirklich verboten sei. Und Nasir Formuli, der Puppenspieler aus Afghanistan, erzählt, dass er zum ersten Mal in Europa sei, und die Menschen in seinem Land kein Geld für Theaterkarten haben. „Sie sind arm.“ Deshalb spielen sie Stücke wie „Der kleine Prinz“. Die Produktion hat das französische Kulturinstitut in Kabul finanziert.