Fritz Rau: Maßlos bescheiden

Kronberg - Kofferträger: eine maßlose Untertreibung. Horst Lippmann hatte 1955 in Frankfurt am Main die regionale Organisation für die Konzertreihe „Jazz at the Philharmonic“ übernommen und den ungestümen, aber organisatorisch bis zur Selbstaufgabe engagierten Heidelberger Jura-Studenten Fritz Rau als „Kofferträger“ zur Mitarbeit eingeladen; und auch später, als er schon längst ein erfolgreicher Konzertveranstalter war, hat Rau sich gern noch als solchen bezeichnet.

Natürlich war er nie nur ein Kofferträger, aber eine gewisse Maßlosigkeit beim Untertreiben, auch beim Übertreiben und vor allem beim Einsatz für alles, was ihm am Herzen lag, war eine Eigenschaft, aus der Fritz Rau nie einen Hehl machte. Wenn er Koffer getragen hat, dann wahrscheinlich gleich ein Dutzend auf einmal, aber nur, wenn und weil es wichtig für die Musik und die Musiker war, dass die Koffer zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Platz geschafft wurden.

Fritz Rau war begeistert von der Musik, und er war immer bereit, ziemlich viel dafür zu tun, dass sie öffentlich gespielt und gehört werden konnte. Lippmann hatte Rau beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt 1954 daran gehindert, sich ohne Eintrittskarte ins Konzert zu schummeln, wofür Rau ihn als „Arschloch“ titulierte: So lernten sie sich kennen.

Jazz, die „Universität der Popmusik“

Am 2. Dezember 1955 fand in der Heidelberger Stadthalle vor 1400 Gästen ein Konzert mit den Frankfurter All Stars um Albert Mangelsdorff statt, das Rau organisiert hatte und zu dem auch Lipppmann erschien. Das Engagement als Tournee-Kofferträger war für Rau, wie er später schrieb, eine Pforte zum Paradies, und sein Paradies war bevölkert von Ella Fitzgerald, Oscar Peterson, Dizzy Gillespie und anderen Jazzmusikern, die er wie Götter verehrte. Der Jazz war für ihn, wie er später oft sagte, die „Universität der Popmusik“.

Eine andere chronische Untertreibung Raus war die Selbstbezichtigung als „Buchhalter“. Er hat sie so nachhaltig verwendet, dass eine 1985 erschienene Rau-Biographie von Kathrin Brigl und Siegfried Schmidt-Joos den Titel „Buchhalter der Träume“ bekam. So sah er sich: Sein Kompagon Lippmann war der Träumer und er selbst, Rau, der Ordnungsstifter in der Traumwelt. Er sorgte dafür, dass Verträge ausgehandelt und eingehalten wurden, dass Reisen und Hotels und Veranstaltungsorte gebucht und Plakate gedruckt waren. Ohne Rau wären viele Projekte nicht gereift, andere vielleicht spektakulär gescheitert.

Sich selbst als Buchhalter zu bezeichnen, verrät auch in der Bescheidenheit etwas Maßloses. Immerhin war er über Jahrzehnte der Gesprächs- und Geschäftspartner in der gemeinsam geführten, legendären Konzertagentur Lippmann + Rau. Das war die Firma, die sich für den deutschen Jazz engagierte und ihm eine erhebliche öffentliche Beachtung sicherte. Die Firma, die in den frühen Sechzigerjahren das „American Folk Blues Festival“ erfand und damit in England eine Initialzündung bewirkte, aus der Bands wie die Rolling Stones, Yardbirds, Cream und viele andere entstanden. Es war die Firma, die in Deutschland die Konzerte und Tourneen für Jimi Hendrix, Frank Zappa, die Stones, Bob Dylan, The Doors, The Who und viele andere organisierte.

Eine Ansammlung wunderlicher Anekdoten

Fritz Raus Leben erscheint im Rückblick auch als Ansammlung wunderlicher Anekdoten: Wie Jimi Hendrix seinen Kindern auf der Gitarre etwas vorspielte. Wie Zappa von der Kommune Eins fast am Konzert gehindert worden wäre. Wie Mick Jagger und Keith Richards und die anderen Rolling Stones ihm ein silbernes Tablett mit eingravierter Widmung schenkten. Jagger hat ihn „unser aller Gottvater“ genannt und auch gern als seinen „Rock’n’Rau“ tituliert.

In den Siebzigerjahren hat sich Rau für die deutsche Rock- und Popmusik eingesetzt; Udo Lindenberg und Peter Maffay sind dankbare Zeugen dafür. Als politisch engagierter Mensch trat er stets für eine Nähe zwischen Politik und Musik ein. Der Jazz war es schließlich gewesen, der – nach einem oft geäußerten Bonmot – den Hitlerjungen Fritz „entnazifiziert“ hatte. „Rock gegen Rechts“ war ein Projekt, das ihm zutiefst einleuchtete.

Um die Grünen, deren Mitglied er war, im Bundestagswahlkampf zu unterstützen, organisierte er 1983 die „Grüne Raupe“, eine Mischung aus politischer Veranstaltung und Popmusik. Einen Tag nach der Bundestagswahl trat er bei den Grünen aus. Wenn die Politik sich über die Musik erheben wollte, konnte er fuchsteufelswild werden.

Fritz Rau hat der „Buchhalter“-Biografie vor acht Jahren eine Autobiografie folgen lassen. Sie trägt den Titel „50 Jahre Backstage“, ist anekdotenselig, redlich und aufschlussreich und erzählt aus den Kinder- und Jugendtagen der internationalen Popmusik. Fritz Rau war Mitgestalter und Zeuge einer Gründerzeit, über deren weitere Entwicklung er häufig entgeistert den Kopf geschüttelt hat. Aber immer im Backstage-Bereich.

Am Montag ist Fritz Rau in Kronberg im Taunus im Alter von 83 Jahren gestorben.