Paraphrasen auf den Barock oder der Blick in den Abgrund
Der italienische Maler und Bildhauer Nicola Samori interpretiert die Kunstgeschichte auf eigenwillige Weise ganz neu. Er dekonstruiert so respektvoll wie kühn Werke großer Alter Meister.

Berlin - In abisso – der Abgrund heißt diese Ausstellung, sie trennt kategorisch Oben und Unten und sie ist voller Rätsel, also keinesfalls einfach zu verstehen. Aber zumindest die Quelle dieser artifiziellen Kunst des Italieners Nicola Samori verrät sich beim Betreten der Galerie. Der 43-jährige Maler und Bildhauer aus Forli in der Region Emilia-Romagna, ausgebildet an der Kunstakademie Bologna, kennt die italienische Barock-Malerei wie die Skulpturenkunst des 16. und 17. Jahrhunderts aus der Nähe, jedoch befreit er sie von den alten Erzählungen, Bedeutungen, Mythen, belegt sie mit neuer Erkenntnis, die auf das Hier und Jetzt verweist.
Ungeachtet aller Moden und Trends interpretiert er die Kunstgeschichte gewordenen Werke der berühmten Altvorderen auf seine Weise ganz neu und verschafft seinen marmornen Skulpturen, den teils aus Marmorstaub gemalten Bildern, den Radierungen und einem raumhohen Fresco eine geheimnisvolle Suggestionskraft. So wird eine dunkle Flusslandschaft von 2020 bei Sonnenuntergang, die er „Ultima scena“ (Letzte Szene) nennt, zum düsteren Ort einer offensichtlich zerstörten Natur. Ölfarbenfleck-Wolken verstören jede Anmutung von Idylle oder Pathos. Der Horizont wird gleich mehrfach zur Trennlinie. Man möchte meinen, Samori zitiere Motive der Straße von Messina, von der alte Mythen berichten, hier herrschten die Meeresungeheuer Skylla und Charybdis.
Ein großes Thema ist bei ihm der „Tod als Trommler“, diese Arbeiten finden ihr Finale schließlich in einem monumentalen Fresko, Titel „Vincent“. Der Körper dieses Totentrommlers ist symmetrisch und entlang des Horizonts geteilt, wie in altmeisterlichen Altarbildern. Oben und Unten, Helles und Dunkles deuten die Alternative an: Rettung oder Verdammnis. Und die Figur auf der hier abgebildeten Radierung hat den Kopf verloren. Samori nennt das Blatt „Il Disinganno“ (Ernüchterung). An anderer Stelle hängen dunkle Paraphrasen barocker Frauenporträts, etwa der Heiligen Lucia, gemalt auf Marmor- oder Onyxplatten. Einer der vornehmen Damen hat der Maler-Bildhauer das exzellent gemalte Auge angebohrt, eine Sandspur läuft heraus. Der Kopf wird so zur Sanduhr, eine Art Memento Mori. Bei der nächsten, der Lukrezia, hat der Künstler das Gesicht herausgesägt, sodass uns Betrachtern nur eine Ahnung des Gewesenen bleibt, so wie in der auf dem Boden liegenden marmornen Gestalt, deren Kopf Samori für eine neue Skulptur geformt hat. Er nutzt das Altmeisterliche als Instrument, um deren Bildsprache zu dekonstruieren und eine eigene Sprache zu schaffen.
Galerie Eigen+Art, Auguststr. 26 , Bis 31. Oktober, Di–Sa 11–18 Uhr.