Geburt im Dämmerschlaf: Eine gängige Geburtsmethode in den Sechzigerjahren

Als Prinz Harry und seine Frau Meghan ihren Sohn Archie zum ersten Mal der Öffentlichkeit zeigten, fragten die Journalisten: Was für ein Typ ist Archie? Nach wem kommt er? Wie fühlt es sich an, Eltern zu sein? Harry hielt das Baby, Meghan trug High Heels. „Es ist ganz toll“, sagte sie. Das Baby sei ganz ruhig. Das Baby war zwei Tage alt.

Wie geht es ihr? Wie war die Geburt? Das wären die Fragen gewesen, die mich interessiert hätten. Ich musste an die Queen denken, die Urgroßmutter von Baby Archie. Wie sie ihre Kinder zur Welt gebracht hat. Und wie sehr Kinderkriegen dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen ist.

Im Dämmerschlaf: Kinder kriegen wie die Queen

Vor einiger Zeit habe ich die zweite Staffel der Netflix-Serie „The Crown“ gesehen, in einer Folge wird gezeigt, wie Elizabeth II. ihr drittes Kind zur Welt bringt. Als die Wehen stärker werden, zieht sie sich in ihr Schlafzimmer zurück. Der Leibarzt fährt vor dem Palast vor. Wie interessant, dachte ich, die Queen will eine Hausgeburt. Dann wird es seltsam.

Die Queen liegt im Bett, in weißen Laken, der Arzt zieht vor ihr eine Spritze auf: „Etwas Dämmerschlaf, Ma’am?“ Die Königin schließt ihre Augen und schlummert ein. Am anderen Ende des Bettes hantiert der Arzt mit einer Zange herum. Als Elizabeth Stunden später wieder aufwacht, überreicht ihr der Arzt einen Säugling.

Eine Geburt wie im Schlaf, kein Blut, kein Erbrechen, kein Geschrei, kein Drama. Die Queen im Fernsehen konnte sich danach an nichts erinnern. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ob Meghan mal mit der Königin darüber gesprochen hat, wie sie ihre Kinder bekam? Redet man über so was im Buckingham Palace?

Frauen warben für die „schmerzfreie Geburt“

Ich fing an zu recherchieren. Dass die Queen sich zur Geburt in einen Halbschlaf versetzen ließ, war damals keine Ausnahme, sondern bis in die Sechzigerjahre eine gängige Geburtsmethode, vor allem unter reichen gebildeten Frauen. Entwickelt um 1914 von zwei deutschen Medizinern, Gauß und Krönig, wurde der „Dämmerschlaf“ in Großbritannien und den USA populär. Es war die erste Welle des Feminismus, Frauen wurden selbstbewusster. Sie wollten frei sein, auch von Geburtsschmerzen.

„Die Frauen Amerikas fordern, dass über die Anwendung von Schmerzmitteln nicht Ärzte, sondern Mütter selbst entscheiden“, zitiert die Medizinjournalistin Randi Hutter die Vorreiterinnen der Bewegung in ihrem Buch „Get me out – A history of childbirth“. Diese Frauen traten in der Öffentlichkeit auf, präsentierten ihre Babys, warben in Zeitungsartikeln für die „schmerzfreie Geburt“. „Es gab damals die Befürchtung, dass höher gebildete amerikanische Frauen keine Kinder mehr bekommen würden aus Furcht vor den Geburtsschmerzen und dass das Land mit den Kindern armer Migrantinnen überflutet würde“, schreibt Randi Hutter.

Scopolamin wird heute von Gangs in Kolumbien benutzt - in K.o.-Tropfen

Die Frauen bekamen ein Mittel namens Scopolamin, das nicht nur schmerzunempfindlich macht, sondern auch die Erinnerung an die Schmerzen auslöscht und Halluzinationen auslösen kann.

Hutter berichtet, dass die Frauen unter der Geburt oft festgeschnallt werden mussten, weil sie sich so wanden. Prinz Edward, das jüngste Kind der Queen, wurde 1964 geboren. Bald danach kam die Dämmerschlaf-Methode aus der Mode. Heute wird Scopolamin von Gangs in Kolumbien benutzt, in K.o.-Tropfen.

Sabine Rennefanz liest am 15. Mai um 19.30 Uhr im Kulturhaus Karlshorst aus ihrem Buch „Mutter to go“.