Geraubte Kunst: Unbürokratische Wiedergutmachung

Ed Hirschland sucht nach Worten. „Das ist wunderbar. Fantastisch“, sagt der Amerikaner leise, „ein sehr nostalgischer Moment.“ Der 65-Jährige steht in den Räumen des Online-Auktionshauses Auctionata am Kurfürstendamm. Seine Augen sind gerötet. Vor ihm steht auf einer Staffelei ein über die Jahre etwas dunkel gewordenes Ölbild in einem verschnörkelten, goldenen Holzrahmen. Es zeigt eine Amsterdamer Gracht mit ihren Kähnen im fahlen Herbstlicht.

Unter den Nationalsozialisten wurde das 90 mal 110 Zentimeter große Gemälde seinen Großeltern, Henriette und Kurt Hirschland, geraubt. Einst hing das Gemälde im Wohnzimmer der Essener Villa der reichen und angesehenen jüdischen Bankiers- und Unternehmerfamilie, die als Kunstliebhaber und förderer maßgeblich das Folkwang-Museum in Essen mit aufgebaut hat. Ed Hirschland selbst hat das Bild dort nie gesehen, weil er erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA geboren wurde – wohin seine Großeltern und Eltern emigriert waren. Die Villa wurde im Krieg völlig zerstört. „In die Steinzeit gebombt“, wie Ed Hirschland es ausdrückt. Mehr als siebzig Jahre später erhält die Familie das Bild nun zurück. Ed Hirschland ist stellvertretend für die Familie von Chicago nach Berlin gereist, um es am Freitag in Empfang zu nehmen.

Das ist eine außergewöhnliche Nachricht in diesen Tagen, in denen seit dem Schwabinger Kunstfund zwar viel über wieder aufgetauchte, einst von Nationalsozialisten geraubte Bilder berichtet wird und den Willen, selbige an die Erben der einst Beraubten zurückgeben zu wollen. Tatsächlich tun sich aber immer neue Hürden auf, die etwaige Rückgabe verhindern. Warum das so ist, darüber soll hier nicht spekuliert werden. Vielmehr zeigt dieser außergewöhnliche Fall, wie unbürokratisch Unrecht wiedergutgemacht werden kann, wenn der Wille dafür nur stark genug ist.

Da wäre vor allem das Berliner Auktionshaus zu nennen. Erst vor zwei Jahren gegründet, hat es sich in dieser Zeit einen guten Namen gemacht. Eines Tages wird besagtes Bild, die „Amsterdam Gracht“ des Düsseldorfer Malers Heinrich Hermanns, zur Versteigerung eingeliefert. Auctionata stellt das Bild online und kündigt den bevorstehenden Verkauf an. Provenienz: Deutsche Privatsammlung. Schätzpreis 2000 Euro, Startpreis 1000 Euro. Alles wie gewohnt.

Auf der andere Seite des Atlantiks werden die Hirschlands auf die Auktion aufmerksam. Seit Ende des Krieges ist die Familie auf der Suche nach ihren verlorenen Kunstwerken. Erst Ed Hirschlands Großvater Kurt, dann der Vater Paul, schon lange hat der Sohn übernommen. „Ich bin sozusagen der Archivar der Familie“, sagt Ed Hirschland.

Der Anwalt der Familie, Willi Korte, kontaktiert die Firma in Berlin. Noch bevor er bei seinem ersten Besuch die Unterlagen, welche die Herkunft des Bildes beweisen, auf den Tisch legen kann, erklärt der Vertreter des Auktionshauses die volle Kooperationsbereitschaft seines Unternehmens. Es bleibt nicht bei den Worten. Nur zwei Monate braucht Auctionata, um die Herkunft zu verifizieren und mit dem Einlieferer des Bildes eine Einigung zu finden. Und die sieht so aus: Das Auktionshaus kauft auf eigene Rechnung dem Besitzer das Bild für 1600 Euro inklusive aller Kosten ab. „Ich denke, das ein anderes Verhalten, gerade im Zusammenhang mit dem Schwabinger Kunstfund, nicht mehr zum Zeitgeist passt“, sagt Daniel Rassouli, der Anwalt des Hauses, während der Übergabe lediglich. So schlicht, so einfach. Kein Sekt, keine Pressemitteilung. Auf der Auktionsseite im Netz steht neben dem Bild nur: Verkauft.

Sicher hat der niedrige Preis des Bildes die Einigung erleichtert. Dennoch ist es eine wichtige Geste. Denn auch wenn das Gemälde nicht von nennenswertem materiellem Wert ist – für Ed Hirschland liegt er jenseits jeder Schätzung. Bisher hat der Unternehmensberater aus Chicago nur Fotos von der Gracht gesehen. Im Unterschied zu anderen privaten Sammlern dieser Zeit haben Kurt und Henriette Hirschland ihre Kunstwerke allesamt professionell fotografieren lassen und in einem Album zusammengefasst: Degas, Van Gogh, El Greco. Das erleichtert die Suche, theoretisch.

Waren die Nachforschungen nach dem Krieg denn erfolgreich? Ed Hirschlands Antwort ist kurz: „No“. Nur wenige Kunstwerke aus ihrer Essener Zeit hat die Familie wiedergefunden. Und die letzte Rückgabe liegt Jahrzehnte zurück.

Bis das Gemälde nun seinen neuen Platz im Chicagoer Wohnzimmer von Ed Hirschland findet, wird es noch etwas dauern. Es ist zu groß für einen Platz im Flugzeug. Die Familie wird sich noch ein wenig gedulden müssen.