Gerhard Löwenthal: Als der Kalte Krieg in Rente ging
In den Tagen vor Weihnachten saßen die Herren der Abteilung X der Hauptverwaltung Aufklärung – Mielkes „Psychologische Aufklärung“ – erwartungsfroh in ihren Büros. Noch eine Woche, und ihr „Staatsfeind Nr. 1“ würde vom Bildschirm verschwinden. Am 23. Dezember 1987 moderierte Gerhard Löwenthal zum letzten Mal sein „ZDF-Magazin“. Doch nicht die achtzig auf den verhassten Moderator angesetzten Tschekisten schalteten das Rotlicht an der Kamera aus, es war ein simpler Rentenbescheid. Löwenthal war 65. Und damit war Schluss.
Erleichterte Seufzer waren auch auf den Fluren des ZDF zu hören, denn der Mann, der auf dem Fernsehschirm so verbiestert wirkte – „halb Kassandra, halb Leichenbitter“ (Süddeutsche Zeitung) – hatte mit dem Sendernamen im Titel seines erst wöchentlich, dann vierzehntäglich ausgestrahlten Magazins das Image des ZDF mehr als jeder andere geprägt – als das einer Anstalt weit rechts von von der Mitte. Das ZDF war Löwenthals Missionsstation, der Kampf gegen die Entspannungspolitik von Egon Bahr und Willy Brandt sein Lebenselixier.
Von der Roten Armee gerettet
Löwenthal war Freiheitskämpfer und Verschwörungstheoretiker, investigativer Journalist und verbohrter Fanatiker. Er hatte als Jude in Berlin die Nazizeit überlebt. Die Rote Armee war sein Retter. Doch dann ließ ihn die Vertreibung der freigewählten Stadtverordneten aus dem Ostsektor Stadt, die Gleichschaltung der Berliner Universität, an der er sich zum Medizinstudium eingeschrieben hatte, und die Verschleppung von Kommilitonen, die sich dem politischen Druck der SED widersetzten, zum militanten Antikommunisten werden. Mit zunehmendem Alter sah er sich selbst und die ganze Welt von Einflussagenten Moskaus bedroht. Die Entspannungspolitik war für ihn ein „Sumpf an Konspiration“ und ihre Befürworter Radikalsozialisten, die dem Kreml willfährig waren.
Löwenthal war nicht der einzige journalistische Gesinnungstäter. In den 60er- und 70er-Jahren wollten Journalisten politische Akteure sein – nicht etwa distanzierte Beobachter wie heute. Die Alphatiere der Branche sonnten sich in dem Gefühl, mit den Staatsmännern auf gleicher Stufe zu stehen.
Axel Springer war schon 1958 nach Moskau gereist, um Nikita Chruschtschow einen eigenen Wiedervereinigungsplan zu unterbreiten. Erst als er im Kreml brüsk abgefertigt wurde, steuerte er seine Blätter auf antikommunistischen Kurs. Stern-Chef Henri Nannen fläzte sich als Gesprächspartner Breschnews mit der Hinterbacke auf dessen Schreibtisch. Und Spiegel-Herausgeber Augstein hoffte vergeblich, mit einer Bundestagskandidatur für die FDP im Bonner Außenministerium zu landen. Der erfolgreichste Grenzgänger zwischen Redaktionsstube und Politik war Günter Gaus. Er focht ab 1969 als Spiegel-Chefredakteur für die Ost-Politik der Regierung Brandt und wurde schließlich erster Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin. In diesen politisch aufgewühlten Zeiten war der Journalismus eine Unterabteilung der Parteipolitik. In den Medien herrschte Kalter Krieg.
Und Löwenthal paddelte nicht im Mainstream. Bei den realpolitisch Gestimmten, die mit der neuen Ostpolitik die Lebensverhältnisse der DDR-Bürger verbessern wollten, galt er mit seiner Sendereihe „Hilferufe von drüben“, in der er Schicksale politisch Verfolgter vor Augen führte, als Ruhestörer, der die Verhandlungskontakte mit dem Osten gefährdete. Und als Löwenthal im „ZDF-Magazin“ aus Geheimpapieren über die Ost-West-Verhandlungen zitierte, verwandelte sich das sozialdemokratisch geführte Kanzleramt in eine Bastion des Obrigkeitsstaates. Staatsanwälte wurden in Marsch gesetzt; wegen des Verdachts auf „publizistischen Geheimnisverrats“ folgten Hausdurchsuchungen bei Journalisten und in Redaktionen. Ohne Erfolg.
Der Aufruhr der sonst so auf den Schutz der Pressefreiheit erpichten Kollegen blieb aus. Wenn es gegen Löwenthal und seine Gesinnungsgenossen ging, schien auch ihnen jedes Mittel recht zu sein.
Doch es war weder sein beachtenswerter investigativer Eifer in Zeiten vor Wikileaks noch sein antikommunistischer Bekenntnisdrang, der die Zahl seiner Verbündeten schwinden ließ – für seine „Hilferufe“ bekam Löwenthal immerhin die Goldene Kamera. Es war die brisante Mischung von branchenüblicher Eitelkeit und politischer Selbstüberschätzung. Löwenthal stilisierte sich als konservativ-populistischer Alleinunterhalter, der von den üblichen Sparkassenvorträgen abgesehen – 2000,- DM plus Spesen vor der Volksbankfiliale Kressbronn – fast jedem Verein, der das Konservative für sich reklamierte, als Redner, Vorstandsmitglied oder Berater diente. Gemeinsam mit Franz Josef Strauß trat er im Bundestagswahlkampf 1976 unter dem Motto „Freiheit oder Sozialismus“ auf – stolz zählt er in seinen Lebenserinnerungen in drei Jahren dreihundert Vorträge zu diesem Thema – bis der ZDF-Justiziar seiner Rednerlust Grenzen setzte. Denn überall, wo Löwenthal auftrat, war ungewollt ZDF dabei. Und das schmerzte.
Figur aus dem Fernsehmuseum
Zu viel Strauß ging schließlich auch Kohl auf die Nerven. Und nachdem die Entspannungspolitik Früchte zeigte, Honecker West-Journalisten einreisen ließ und den Empfang von Medien aus dem „feindlichen Ausland“ duldete, trat auch in der Öffentlichkeit ein Gewöhnungsprozess ein. Löwenthal predigte weiter und hatte – was den fiesen Charakter des DDR-Regimes anging – noch immer recht. Aber irgendwie galt er als tragische Figur aus dem Fernsehmuseum. Aushängeschild des ZDF in Sachen Ost- und Entspannungspolitik war jetzt die Sendereihe „Kennzeichen D“, in der Havemann, Biermann und Bohley ihre Regimekritik äußerten. Das stank der Stasi zwar auch. Aber alles war ihr lieber als Löwenthal.
Am Tag vor dem Heiligen Abend 1987 endete für das ZDF und für das West-Fernsehen der Kalte Krieg. Löwenthal fand nach seiner letzten Sendung seine persönlichen Utensilien in einem Pappkarton vor der Tür des Büros. Auf der anderen Seite der Mauer, beim Fernsehen der DDR und seinem Lügenbaron Karl Eduard von Schnitzler mit seinem „Schwarzen Kanal“, dauerte es noch zwei Jahre, bis der Beton zu bröckeln begann. Im Osten brauchte es dafür eine Revolution, im Westen reichte ein Rentenbescheid.
Ernst Elitz war von 1974 bis 1983 Redakteur und Moderator der ZDF-Sendung „Kennzeichen D“. Danach moderierte er bis 1985 das „heute journal“.