Grünen-Politikerin Rößner zum ZDF-Urteil: „Es ist der richtige Weg“

Tabea Rößner von den Grünen war früher selbst Redakteurin beim ZDF. 2009 war die 47-Jährige die erste Politikerin, die forderte, den ZDF-Staatsvertrag auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Seit Dienstag ist es amtlich: Der übergroße Einfluss der Politik verstößt gegen die im Grundgesetz verankerte Rundfunkfreiheit.

Sie haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag als wegweisend und historisch bezeichnet. Nun haben Sie eine Nacht darüber geschlafen. Sind Sie immer noch der Ansicht?

Ja, weil die Entscheidung aus Karlsruhe in ihrem Grundsatz klar- macht, dass der staatliche Einfluss beim ZDF viel zu hoch ist. Ob die Konsequenzen, die aus diesem Urteil gezogen werden, ausreichen, ist eine andere Frage. Die Praxis wird zeigen, ob die Staatsvertreter durch informelle Vorabsprachen wieder die Oberhand bekommen, oder ob die anderen Vertreter gesellschaftlicher Gruppen selbstbewusst auftreten.

Finden Sie das Urteil zu vage?

Das Bundesverfassungsgericht kann nicht die Aufgabe der Politik übernehmen. Aber natürlich ist es schwierig, wenn ausgerechnet der Staat selbst dafür sorgen soll, dass der Rundfunk staatsfern organisiert ist.

Einer der Verfassungsrichter, Andreas Paulus, hätte lieber alle Regierungsvertreter aus den Gremien verbannt. Mit dieser Meinung stand er allerdings allein. Er kritisierte, das Urteil setze seinen eigenen Ansatz nur zum Teil um. Wörtlich sagte er: „Warum die Präsenz der Exekutive in Fernseh- und Verwaltungsrat der Herstellung und Erhaltung der Rundfunkfreiheit dienen soll, erschließt sich mir nicht.“

Dem stimme ich zu.

Also geht die Drittelquote, wonach jedem staatlichen oder staatsnahen Gremienmitglied zwei nicht-staatliche gegenübersitzen sollen, auch Ihnen nicht weit genug?

Ich glaube nicht, dass Regierungsvertreter in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen müssten. Um ihrer Kontrollaufgabe nachzukommen, braucht es sie jedenfalls nicht. Einige ARD-Anstalten machen das ja vor. Insofern: Ja, ich bin mit dem Urteil sehr zufrieden. Es ist der richtige Weg. Aber natürlich hätte ich mir ein weitergehendes Urteil gewünscht.

Der Zug ist nun abgefahren.

Erst mal ja.

Hat das Gericht also vor den Begehrlichkeiten der Politik kapituliert?

Ich werde den Teufel tun, die weise Entscheidung des höchsten Gerichts in diesem Land zu kritisieren. Aber, ja, Paulus’ Auffassung ist konsequenter.

Taugt das Urteil zumindest, um die politischen Machtspiele in den Gremien einzudämmen?

Es ist jedenfalls ein großer Fortschritt, dass die Vertreter der gesellschaftlich relevanten Gruppen faktisch nicht mehr von den Ministerpräsidenten aus einem Dreiervorschlag ausgewählt werden. Künftig werden sie direkt durch die gesellschaftlich relevanten Gruppen entsandt.

Hintertürchen bleiben trotzdem bestehen. Zum Beispiel können ehemalige Parlamentarier zu Verbandsvertretern werden und sich auf diese Weise in die Gremien entsenden lassen.

Das genau ist nun zu klären, wenn es um die Ausgestaltung des neuen ZDF-Staatsvertrags geht.

ZDF-Intendant Thomas Bellut sagte am Dienstag, ein zweiter Fall Brender wird in Zukunft nicht möglich sein. Glauben Sie das auch?

Ja, denn anders als bisher wird die Politik allein es nicht mehr schaffen, im Verwaltungsrat die notwendige Mehrheit für Beschlüsse und Blockaden zu bilden.

Trägt das Urteil auch dazu bei, dass künftig kein Politiker mehr beim ZDF anruft, um in die Berichterstattung einzugreifen – so geschehen 2012 im Fall des CSU-Mannes Michael Strepp?

Leider nein, das ist auch eine andere Geschichte. Aber Ihr Beispiel zeigt: Das wirksamste Mittel gegen solche versuchten Einflussnahmen ist Öffentlichkeit. Man darf sich nichts vormachen: Es wird in der Politik immer Begehrlichkeiten geben, es wird immer wieder zu Versuchen kommen, dass Politiker Freiräume nutzen und Einfluss nehmen wollen. Immerhin schafft das Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Bewusstsein, diese Versuche und Begehrlichkeiten kritisch zu begleiten, sie öffentlich zu machen und auf diese Weise zu unterbinden.

Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, für das ZDF einen neuen Staatsvertrag auszuarbeiten. Sie plädieren dafür, damit eine unabhängige Kommission zu beauftragen, eine, in der nicht nur Politiker sitzen.

Um zu bewerten, welche Gruppierungen für die heutige Gesellschaft relevant sind, bedarf es in meinen Augen Wissenschaftler mit einem unabhängigen Blick und ohne machtpolitische Interessen. Und es ist notwendig, künftig regelmäßig zu überprüfen, welche Gruppierungen welche gesellschaftliche Relevanz haben beziehungsweise nicht mehr haben. Der Verband der Vertriebenen hat jedenfalls nicht mehr die Relevanz, die er beim ZDF nach wie vor hat.

Welche Gruppierungen müssten stattdessen berücksichtigt werden?

Bis heute sitzt zum Beispiel kein einziger Vertreter von Migranten in den ZDF-Gremien.

Auch ist, um den Verfassungsrichter Reinhard Gaier zu zitieren, der Islam zwar in Deutschland angekommen, nicht aber im ZDF-Fernsehrat.

Richtig. Und es gibt dort viel zu wenige Frauen. Auch dafür bedarf es einer Quote. Junge Menschen fehlen sowieso. Ein Gremiensitz ist bisher viel zu sehr ein Versorgungsposten für Altgediente. Es sind aber Menschen gefragt mit wirklichem Interesse an der Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auch, was das Digitale angeht. Es ist wie immer in der Politik: Man findet diese Gruppen, man muss es nur wollen.

Bis Ende Juni 2015 hat das Gericht Zeit gegeben, dann muss der neue ZDF-Staatsvertrag stehen.

Das ist ein wahrlich sehr enger Zeitplan. Die Ministerpräsidenten sind daher gut beraten, bereits bei ihrer nächsten Konferenz im Juni dieses Jahres Mitglieder für so eine unabhängige Kommission nicht nur vorzuschlagen, sondern die Kommission auch zügig einzusetzen und zu beauftragen.

Das Gespräch führte Ulrike Simon.