„Herbstkind“ - Film über postpartale Störung: Intensive Verzweiflung statt Babyglück

Es sollte die Erfüllung aller Träume werden und gerinnt zur größten Prüfung ihrer jungen Ehe: Die Hebamme Emilia (Katharina Wackernagel) hat schon ungezählte Babys zur Welt gebraucht. Jetzt ist sie selbst schwanger. Im schmucken Eigenheim verwandeln Ehemann Christoph (Felix Klare) und Schwiegermutter Monika (Saskia Vester) für den Stammhalter bereits die Dachkammer in einen babyblauen Kindertraum. Die Nachbarin stiftet ein Weidenkörbchen, in dem schon einst ihre fünf Kinder glücklich schlummerten. Aber so sorgsam auch die Ankunft des kleinen Benni vorbereitet ist, so desaströs ist für Emilia die Geburtserfahrung: Weil das Kind falsch liegt, muss die Hausgeburt abgebrochen werden, Benni wird als Notfall entbunden. Was genau im Kreißsaal mit Emilias Seele geschieht, enthüllt der Film „Herbstkind“ erst viel, viel später.

Aber soviel macht Katharina Wackernagel schon im Wochenbett für den Zuschauer sichtbar: Irgendetwas ist jäh zerbrochen, so dass Emilia keinen emotionalen Kontakt zu ihrem Sohn aufnehmen kann. Wie ein ferngesteuerter Zombie mit einer leblosen Schlenkerpuppe im Arm läuft sie durch die Wohnung.

Postpartale Depression nennen die Fachleute jenen Zustand, in den Frauen im Wochenbett gelegentlich verfallen. Ariela Bogenberger greift dieses Thema in ihrem Drehbuch so emotional berührend und fachlich umfassend auf, wie sie es bereits mit ihren preisgekrönten Filmstoffen „Marias letzte Reise“ (über Sterbehilfe) und „In aller Stille“ (über prügelnde Eltern) getan hat.

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Zerreißprobe in der Ehe

Die Krankheit von Emilia fällt zunächst eher den entfernten Bekannten auf als ihrer eigenen Familie. Die ist so glückstrunken über Stammhalter und Enkelkind, das die Tristesse der Mutter als verständliche Erschöpfung und Müdigkeit abgetan wird. Die Nachbarin schaut dagegen schon skeptischer auf die immer häufiger zugezogenen Vorhänge, eine Kollegin fasst sich schließlich ein Herz: „Du musst zum Arzt, du hast eine Depression“, sagt sie zu Emilia. Die bricht daraufhin aber einfach nur rüde den Kontakt ab. Immer enger wird der Kreis derer, die überhaupt noch in ihrem Leben vorkommen, immer schwerer lastet die Verantwortung auf Christoph, den Felix Klare als liebevollen Vater, verständnisvollen Ehemann, aber auch emotional völlig überforderten Mann spielt.

„Herbstkind“ will nicht allein ein düsteres Familiendrama sein, sondern auch ein aufklärender Film über das psychologische Phänomen. Deshalb hat die Autorin zwei weitere werdende Mütter hinzuerfunden, an denen Katharina Wackernagel ihre Figur spiegeln und brechen kann: Da ist die Rebellin Sandrina, die von ihrer Mutterschaft erst wenig erwartet, dann aber doch eine glückliche Geburtserfahrung macht. Und dann ist da die minderjährige Tini, die Abtreibung noch weniger will als das Kind.

Kein reingezapptes Feierabendvergnügen

Regisseurin Petra K. Wagner gibt diesen beiden Nebenplots genügend Raum, so dass sie für den Zuschauer zu kleinen Hoffnungsinseln werden können. Denn die Verzweiflung im Zentrum des Dramas ist zuweilen so intensiv, dass sie für zarte Gemüter nur schwer erträglich sein mag. Katharina Wackernagel dosiert ihr Spiel sehr gekonnt auf das Nötigste, weder spielt sie die Depression weidlich aus, noch geraten die raren Euphoriemomente zu überschwänglich. Ganz langsam und nur mit Psychopharmaka unterstützt, steigt ihre Figur aus dem inneren Gefängnis wieder auf.

In einer Gesellschaft, die das Kinderkriegen zuweilen als absolut verlässliche Glücksdroge hinstellt, will dieser Film auch ein Korrektiv sein: Es geht nicht allein um die postpartale Störung, sondern auch um die Definition von Lebensentwürfen, Familienauffassungen und um die Aufmerksamkeit, die wir uns gegenseitig schenken und abverlangen. Das gilt auch für den Film, der sicher nicht als reingezapptes Feierabendvergnügen taugt.

Herbstkind, 20.15 Uhr, ARD