Heute sagen die Frauen "Ja!": Die Burning Issues-Konferenz beim Theatertreffen
Als die Theaterkritikerin und Dramaturgin Renate Klett das Programm der Burning-Issues-Konferenz im Rahmen des Theatertreffens studierte, hatte sie ein Déjà-vu: „Ich las die gleichen Fragen, wie wir sie schon damals hatten“, erzählte sie am Freitagabend bei der Eröffnung der Veranstaltung zu „Geschlechter(un)gleichheit“ im Haus der Berliner Festspiele.
Damals, das war 1983, als Klett die Initiative „Frauen im Theater“ mitgründete, weil ihr und einigen Kolleginnen die Anzahl von nur zehn Frauen unter 400 Regisseuren plötzlich nicht mehr als ein natürlich gegebener Prozentsatz vorkam. Man bildete Arbeitsgruppen, sammelte Fragen, erstellte Statistiken – und diffundierte irgendwann wieder in seinen weiter geschlechterungerechten Alltag. „Das ist das Phänomen der Frauenbewegung“, so die 72-Jährige auf der kleinen Bühne im Garten des Hauses. „Sie flammt auf, und dann gibt es keine Kontinuität.“
Andererseits gibt es durchaus Anzeichen, dass die heutige Bewegung, in die die Frauenfrage im Theater wieder geraten ist, vielleicht doch nicht so schnell wieder stoppen wird. Als Klett schon 1980 in Köln das 1. Internationale Frauentheaterfestival initiiert hatte, war sie vor den Stadtrat zitiert worden, weil sie auf Wunsch der Theatermacherinnen in den ersten drei Tagen im Publikum nur Frauen zulassen wollte.
Ladies Only bei der Sister Session
Tatsächlich wurde es dem Theater verboten, in diesen drei Tagen als Veranstalter aufzutreten, die Kölner Frauenbuchläden übernahmen. Bei Burning Issues 2019 indessen war die Ansage „Ladies Only“ bei der eröffnenden „Sister Session“ für niemanden ein Problem – weder für die Männer, die trotz der Aufforderung, zu gehen, blieben, noch für die Frauen, die sie neben sich stehen ließen.
Wir sind hier, wir sind relaxt, wir sind uns einig – auch der nach den Eröffnungsreden und dem Gruppenfoto gemeinschaftlich betrachtete Zusammenschnitt solidarischer Videobotschaften zu den brennenden Fragen der Theaterrealität zeigte Frauen, Männer und nicht-binäre Personen der Theaterszene in kollektiver Empörung über Körperklischees, familienfeindliche Arbeitsbedingungen, schlechtere Bezahlung von Frauen und die Tatsache, dass eine Studie von 2016 nur 22 Prozent weibliche Leitungstätigkeit verzeichnen konnte.
Letzteres mag sich in den letzten Jahren schon etwas geändert haben, denn der Deutsche Bühnenverein ist zwar nach wie vor „ein Mann“, wie die Dramaturgin Nicola Bramkamp formulierte, die die zum zweiten Mal stattfindende Burning-Issues-Konferenz gemeinsam mit der Schauspielerin Lisa Jopt und der Theaterschaffendenvertretung Ensemblenetzwerk initiierte. Aber dieser Mann gibt sich eifrig und willig in der Frauenfrage.
Front also war gestern, Feminismus ist hip geworden im heutigen Theater
Und der Regisseur Milo Rau rief aus Gent oder von sonstwo in seine Handykamera gar: „Seid radikal! Warum nur 50 Prozent Frauen beim Theatertreffen in den nächsten beiden Jahren? Wieso nicht 100 Prozent für fünf Jahre?“ Front also war gestern, Feminismus ist hip geworden im heutigen Theater. Nach der „Sister Session“ legte am Eröffnungsabend der Schauspieler Lars Eidinger für alle Geschlechter im oberen Foyer auf, und zwar mit Aufklebern im ganzen Gesicht und üblichem Spängchen im Haar – auch die Pose ist schließlich eine Haltung.
Außerdem ist statt des Arbeitsgruppenwesens der Achtziger jetzt die internetgetriebene Schlagkraft des fröhlich einpeitschenden Ensemblenetzwerks am Zuge („Kill the Theaterfolklore!“, „Gebt eure Kinder zur Adoption frei!“), an der kein Intendant auf die Dauer vorbeikönnen wird. Und: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, hat die Frauensache zu der ihren gemacht. Und: Es gibt inzwischen eine Praxis .
Wie man die gläserne Decke ankratzt
Zu der Frage, wie andere es geschafft haben, die gläserne Decke im Bereich des Theaters anzukratzen, versammelten sich am Sonnabendvormittag auf der Bühne des Delphi-Kinos fünf Frauen mit Erfahrung: Nele Hertling, die 1989 als Leiterin des Hebbel-Theaters die erste Intendantin in Berlin wurde, Barbara Mundel, die lange das Theater Freiburg leitete und jetzt Intendantin der Münchner Kammerspiele wird, Franziska Werner, die Leiterin der Sophiensäle, die Geschäftsführerin des Dublin Theatre Festival Maria Fleming und Nina Röhlcke, Kulturattachée der Schwedischen Botschaft in Berlin.
In Schweden, berichtete Röhlcke, nahm 2004 der damalige Kulturminister Leif Pagrotsky, der aus der Wirtschaft gekommen war, die Sache in die Hand. Dass die 37 Theater des Landes nur in zwei Fällen von Frauen geleitet wurden, fand er mehr als befremdlich. Sieben Jahre später wurden 20 der 37 Theater von Frauen geleitet. Einziges Mittel der Wahl war ein intensives Mentoring-Programm für interessierte Frauen, das ein stabiles Netzwerk hervorbrachte und der Szene klarmachte, wie ernst die Politik es meinte.
In Irland, so indessen Maria Fleming, war es die Schwarmintelligenz, die eine Wende einläutete. Als das nationale Abbey Theatre 2015 sein Programm für 2016 vorstellte, dem 100-jährigen Jubiläum der irischen Unabhängigkeitsbewegung, waren acht Stücke von Männern dabei und eines von einer Frau – ein Kinderstück für die Schulen. Einen Tag später fragte eine Frau im Netz, ob es auch andere gäbe, die dieses Verhältnis misslich fänden, und der Hashtag WakingTheFeminists war geboren. Zwei Wochen später standen auf der Bühne des Abbey Theatres zahlreiche Frauen, die ihre Geschichte erzählten. Eine solidarische Adresse der US-Schauspielerin Meryl Streep tat das ihre, und heute haben sich schon zehn Theater in der Republik Irland auf eine Genderpolitik verpflichtet. „Ich bin für die Quote“, grinst Maria Fleming auf dem Podium, „weil sie wirkt.“
Eine Technische Direktorin im Haus erhöht die Dialogfähigkeit
Barbara Mundel wiederum wies darauf hin, nicht nur das künstlerische Personal im Theater im Auge zu haben. Als das Theater Freiburg (mit Beate Kahnert) eine Technische Direktorin bekam, habe sich „die Dialogfähigkeit des Hauses“ immens erhöht. Führen Frauen also anders? Besser? Reicht es nicht, dass sie Intendantinnen werden, müssen sie auch in jedem Fall das System verändern? Welche Rolle kommt den Männern in diesem Prozess zu? Wie verändert Macht den Charakter? Wie genau lassen sich denn nun Familie und Führungspositionen vereinen? Und vor allem: Braucht es in Deutschland nicht auch ein Mentoring für die Kulturpolitik?
Als man auseinanderging und Richtung Festspielhaus strebte, wo mit zehn partizipativ kuratierten Gesprächen und Workshops die „Burning Issues Academy“ stattfand, blieben naturgemäß mehr Fragen offen als gestellt worden waren. Was aber gut ist, weil es weiter an den Tisch zwingen wird. Und, wie eine Frau aus der irischen Army einmal zu Maria Fleming sagte: „Wenn du nicht mit am Tisch sitzt, stehst du auf der Speisekarte.“ Fortsetzung folgt gewiss. Denn noch etwas ist anders an der Frauenbewegung von heute. Wiederum Maria Fleming brachte es auf den Punkt: „Als ich jung war, protestierte ich gegen das, was mich behinderte. Die heutigen Kampagnen sind positiv. Heute sagen die Frauen ’Ja!’ zu dem, was sie wollen.“