Historische Kunstwerke: Echtheits-Prädikat für 70 Rembrandt-Gemälde

Berlin - Irren ist menschlich, der alte Spruch klingt nicht nur milde, er ist auch weise. Immerhin, das ist ja eine oft bestätigte Erkenntnis, lernen wir Menschen seit Beginn der Zivilisation aus Irrtümern und Fehlern weit mehr als aus dem, was uns perfekt gelingt. Und das gilt durchaus auch, wenn es um Kunst geht – zumal um Weltkunst .

Rembrandt van Rijn (1606–1669) hat ein großes, meisterliches, weltberühmtes Werk hinterlassen. Noch zu seinen Lebzeiten wimmelte es nur so von Schülern und Nachahmern, und er wurde – und wird noch immer – virtuos gefälscht.

Kein Wunder also, wenn das so renommierte wie gefürchtete Rembrandt Research Project in Amsterdam, diese elitäre Gruppe von Wissenschaftlern, die seit 1968 die Werke Rembrandts auf ihre Echtheit und Eigenhändigkeit prüft, eine ganze Menge aus dem Bilderberg des Niederländers abqualifizierte – und lediglich seiner Werkstatt, seinem Umkreis zugeschrieben hat.

Solche Urteile waren meist spektakulär, stürzten gar stolze Sammler und so manchen Museumsmann beinahe in eine Sinnkrise. Als die Berliner Gemäldegalerie deshalb vor Jahren ihre Ikone, den „Mann mit dem Goldhelm“, in den Rembrandt-Umkreis degradieren musste, waren echte Fans zutiefst empört und traurig; es hieß, die Amsterdamer Forscher würden zu rigide urteilen – auch nicht akzeptieren, dass Rembrandt verschiedene Stilistiken ausprobierte, dass der Maler zumal im Frühwerk einen eher ruppigen, rauen Pinsel führte.

„Mann mit dem roten Hut“ doch echt

Tatsächlich bewerteten besagte Wissenschaftler die meist bei großem Medienrummel abgewerteten Gemälde des gebürtigen Leidener Meisters des „Goldenen Zeitalters“ eher nach dem Maßstab eines „idealen“ Rembrandts.

Nun schlug die Nachricht ein wie der Blitz: Es wird ein fataler Irrtum revidiert, und zwar in 70 (!) Fällen, worüber weltweit Museumsleute und Privatsammler jubeln dürften – insbesondere auch die Berliner Gemäldegalerie. Soeben hat der 76-jährige Amsterdamer Rembrandt-Papst Ernst van de Wetering 70 „exkommunizierte“ Bilder wieder geheiligt, ihnen das Echtheitsprädikat zurück erteilt.

Als echt firmiert nun auch wieder der „Mann mit dem roten Hut“ aus der Berliner Gemäldegalerie. Die Ölskizze von 1654 galt bisher als Werkstatt-Arbeit. Museums-Direktor Rolf Lindemann sagte am Mittwoch im Gespräch mit der Berliner Zeitung, er habe gerade für dieses Bild immer gehofft, das Urteil werde bald revidiert.

Er wusste auch, dass van de Wetering und Kollegen sich intensiv mit ihm beschäftigten, die Rückzuschreibung also nur eine Frage der Zeit sein konnte. Gleiches hoffe er auch für den vom Research Project abgeschriebenen Berliner „Christuskopf“, bei dem Rembrandts Manier um Einiges vom gleichsam zum Fetisch erhobenen Stil seiner Erfolgszeit abweicht.

Die Rehabilitation betrifft neben Gemälden etwa aus dem Frankfurter Städl – dort steht das zum Werkstatt-Bild abgewertete Porträt von Hendrickje Stoffels, Rembrandts Geliebter, derzeit im Depot – ebenso die Braunschweiger Gemäldegalerie, die Tate London, auch etliche Privatsammlungen in den USA.

Und es bringt weitere zwei Tafeln der Berliner Altmeister-Kollektion zurück ins angebetete Rembrandt’sche Licht auf dunklem Grund: Ein etwas rau gemaltes Selbstbildnis als junger Mann ist nun wieder per Expertise und Stempel ganz Rembrandt – und nicht mehr, wie vom Research Project bislang behauptet, bloß dessen Schülers Govaerd Flinck epigonale Arbeit. Und als echt eingestuft wird auch wieder ein Frauenbildnis, das wahrscheinlich Saskia van Ulenburg zeigt, Rembrandts erste, jung verstorbene Ehefrau und Mutter seines ebenfalls im Knabenalter verstorbenen Sohnes Titus.

Berliner „Mann mit dem Goldhelm“ nicht rehabilitiert

Freude vielerorts also. In der Berliner Gemäldegalerie allerdings hatte man bereits in der Rembrandt-Schau 2006 demonstrativ, hoffnungsvoll – und wie sich nun zeigt, auch weitsichtig – den „Mann mit rotem Hut“ in den Katalog aufgenommen. Direktor Lindemann empfiehlt den Kollegen – und auch dem in Sachen Rembrandt leidenschaftlichen Publikum – ohnehin kühles Blut.

Die Forschung über Kunst von vor Hunderten von Jahren, meint er, sei immer im Fluss und nie ganz abgeschlossen. Außerdem sei für uns heute Rembrandts malerischer Umkreis genauso spannend. Eben darum hält er die enge Zusammenarbeit mit dem Königlichen Museum Mauritshuis in Den Haag für wertvoll. Man sei dabei, alle Daten zu Rembrandt und seiner Zeit in den Beständen abzugleichen. Sogar eine gemeinsame Schau ist geplant.

Die Wiederzuschreibung von 70 Gemälden des holländischen Maler-Genies durch die Koryphäe van de Wetering bedeutet natürlich einen Riesenschritt, auch für die Forschungsarbeit jenseits des allgewaltigen Research Projects, das sich eben, wie menschlich, auch mal irren kann. Soeben kam dessen revidiertes Werksverzeichnis, der „Rembrandt Corpus VI“ (Springer Wissenschaftsverlag), heraus. Und darin benennt van de Wetering nunmehr 340 eigenhändige Rembrandt-Bilder. Davor ließ er nur 270 gelten. Die Begründung für die wissenschaftliche und kunsthistorische Korrektur liefern neueste Hightech-Untersuchungen.

Für den Berliner „Mann mit dem Goldhelm“, so sehr sich mancher Fan das auch wünschen mag, kommt derzeit freilich keine Rehabilitierung. 1986 hatte van de Wetering dessen Aura entzaubert, ein namenloser Rembrandt-Epigone soll da am Werk gewesen sein. Das Urteil teilt der englische Kunsthistoriker Grosvenor indes nicht, er verlangt die Wiederzuschreibung. In der Berliner Gemäldegalerie heißt es derweil: abwarten. Und auf die drei Zurückgewonnenen ein Glas trinken.