Homosexualität im Fußball: In der Schmuddelecke
Nun läuft sie wieder, die Maschinerie der Mutmaßungen, ausgelöst durch ein Interview des Jugendmagazins Fluter. Darin schildert ein schwuler Fußballprofi anonym sein Versteckspiel in der Bundesliga. „Ich weiß nicht, ob ich den ständigen Druck zwischen dem heterosexuellen Vorzeigespieler und der möglichen Entdeckung noch bis zum Ende meiner Karriere aushalten kann“, sagt er und bestätigt alte Spekulationen zum Thema: Ja, er nehme öffentliche Anlässe in weiblicher Begleitung wahr. Ja, er kenne andere schwule Bundesligakicker. Und ja, er hoffe mit seinen Aussagen eine Lawine der Outings loszutreten.
„Das Ganze ist spannend zu lesen, aber es macht nicht schlauer“, sagt Dirk Brüllau, Sprecher der Queer Football Fanclubs QFF, der schwullesbischen Fanklubs in Europa. „Die Aussagen sind plakativ und getragen durch Allgemeinplätze, die niemanden überraschen.“ Der Hamburger Brüllau hat beobachtet, wer wie auf das Interview reagiert hat. Die Bild-Zeitung illustrierte auf ihrer Internetseite die vermeintlich spektakulärsten Aussagen mit einem Schattenriss. In den Stunden danach griffen Blogs, Radiosender, Zeitungsredaktionen das Interview auf. Wie noch stets dominiert die geheimnisumwitterte Fahndung nach schwulen Kickern die Berichterstattung. Und nicht die Beschreibung einer Gesellschaft, die ein Coming-out unmöglich zu machen scheint.
„Einer von elf Profis ist schwul“
Im Dezember 2006 hatte das inzwischen eingestellte Fußballmagazin Rund die Debatte begonnen, der Titel der Ausgabe: „Einer von elf Profis ist schwul.“ Auf elf Seiten diskutierten die Autoren, dass ein Coming-out tragische Konsequenzen für den Spieler haben könnte. Die Reaktionen auf das anonyme Fluter-Interview zeigen nun, dass sich der mediale Blickwinkel in sechs Jahren kaum verschoben hat. Pflegen Journalisten ein Tabu, von dem niemand wissen kann, ob es noch ein Tabu ist?
„Es fällt auf, dass vor allem über Homosexualität im Fußball berichtet wird, wenn es sich gut verkaufen lässt“, sagt Tanja Walther-Ahrens, frühere Bundesliga-Spielerin und Beraterin des Deutschen Fußball-Bundes DFB. „Homosexualität wird auf Sexualität reduziert, das ist eine sehr begrenzte Darstellung unserer Lebensweise. Wir würden gern in unserer Vielfalt wahrgenommen werden.“
Walther-Ahrens findet, dass Berichte über schwule Fußballer sprachlich und visuell oft wie Skandale aufbereitet werden, schlüpfrig, verrucht, exotisch: „So wird das Bild bestärkt, dass Homosexualität in die Schmuddelecke gehört.“ Selbst der Präsident des FC Bayern, Uli Hoeneß, sieht die Debatte in einer Schieflage. Im Fußball werde das Thema zu sehr hochgespielt, sagte er auf einem Termin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Dabei gibt es Anlässe genug, das vermeintlich Unnormale als normal zu beschreiben: Im Oktober 2009 empfing das deutsche Nationalteam in der WM-Qualifikation in Hamburg Finnland. Der DFB wollte das Spiel nutzen, um für den Kampf gegen Homophobie zu werben, mit einer Broschüre und einer Pressekonferenz. In der Spielübertragung der ARD wurde das vor einem Millionenpublikum mit keinem Wort erwähnt.
2010 fanden in Köln die Gay Games statt, die Weltspiele der Homosexuellen mit 10 000 Teilnehmern. In Wales outete sich der Rugbyspieler Gareth Thomas und erhielt Zustimmung. Das gilt auch für südafrikanische Bogenschützin Karen Hultzer. Die lesbische Olympia-Teilnehmerin eröffnete in London das erste Pride House der Sommerspiele. In Deutschland werben rund zwanzig schwullesbische Fanklubs für Akzeptanz in den Arenen, der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger sprach vor schwulen Unternehmern und unterstützte einen Fan-Wagen auf dem Christopher Street Day in Köln. Sie alle könnten Klischees aufbrechen, nicht anonym, sondern offen – gefragt werden sie von Journalisten selten.
Bierhoff machte Ressentiments salonfähig
Stattdessen dominiert der Stammtisch. Anfang 2010 wurde ein Streit zwischen dem DFB-Schiedsrichterfunktionär Manfred Amerell und seinem Schüler Michael Kempter öffentlich. Es ging um Machtmissbrauch im Schiedsrichterwesen und veraltete Strukturen im Verband, doch wieder nutzten viele Medien die vermeintliche Beziehung zwischen beiden Männern für eine Generaldebatte über schwule Fußballer.
Manche Zeitungen interpretierten Frisur und Gesichtszüge von Michael Kempter als Indiz für Homosexualität, private Inhalte aus SMS und E-Mails wurden ausgebreitet. Wochen später veranstaltete Frank Plasberg in der ARD eine Diskussion zum Thema. Nachdem mehrere Trainer eine Einladung ablehnten, musste in „Hart aber fair“ der Schauspieler Claude-Oliver Rudolph den schwulenskeptischen Macho geben. „Solche Diskussionen verschrecken Sportler, die sich seit Jahren verstecken müssen, umso mehr, sie wirkt wie eine Drohung“, sagt die Berliner Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, die seit Jahren zum Thema forscht.
Empörung täte an anderen Stellen gut. Im April 2011 sendete die ARD einen „Tatort“ über schwule Kicker, darin fiel der Satz. „Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschließlich Trainerstab. Das ist doch schon so eine Art Volkssport, das zu verbreiten.“ Fünf Tage nach der Ausstrahlung zitierte die Bild-Zeitung Oliver Bierhoff, den Manager der Nationalmannschaft: „Ich finde es schade und ärgerlich, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht wird, um irgendein Thema zu entwickeln oder einen Scherz zu machen. Das sehe ich immer auch als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalelf. Und das ärgert mich.“ Bierhoff machte Ressentiments gegen Homosexuelle in scheinbar harmlosen Worte salonfähig – Journalisten sahen darin kein Problem.
Kein Platz für alternative Lebensformen?
„Der Sportjournalismus an vielen Stellen ähnlich konservativ ist wie der Sport selbst“, sagt der Bonner Filmautor Aljoscha Pause, der für das Deutsche Sport-Fernsehen, inzwischen Sport 1, drei Dokumentationen über Homosexualität im Fußball gedreht hat. Im Sport geht es um Männerbünde und die Demonstration von Stärke, um Glorifizierung und die Sehnsucht nach Macht. Bleibt in diesem Korsett kein Platz für alternative Lebensformen? Aljoscha Pause: „Ich glaube, dass vielen Kollegen die Fantasie fehlt, um sich vorzustellen, dass ein Journalist aus journalistischen Gründen das Thema angeht. Die denken, wer sich für Schwule interessiert, muss selbst schwul sein.“
Angesichts dieser Berichterstattung ist es nicht überraschend, dass sich weder Funktionäre noch Spieler offen zum Thema äußern. Journalisten kultivieren dann gern ihre Verwunderung über die Schweigsamkeit, die sie selbst mit verursacht haben. Ein Kreislauf der Scheinheiligkeit, Fortsetzung folgt.