Humboldt-Forum Berlin: Die Hindernisse für Neil MacGregor sind gewaltig
Es ist absurd. Der Ausbau des mit Schlossfassaden dekorierten Humboldt-Forums beginnt bereits. Aber erst jetzt wird jene kulturpolitische Struktur geschaffen, die schon um 2000 gefordert wurde: die allein den Inhalten der Museen, Bibliotheken und Veranstaltungsorte verpflichtete Intendanz. Kurz vor Jahresende gab Kulturstaatsministerin Monika Grütters bekannt, dass Neil Mac Gregor, der bisherige Direktor des British Museum in London, seinen Berliner Arbeitsvertrag erhalten habe. Der Brite soll bis 2019 mit dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger und dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp von der Humboldt-Universität die „Gründungsintendanz“ des Humboldt-Forums bilden. Dafür wird die „Humboldt-Forum Kultur GmbH“ begründet, deren Geschäftsführer zugleich als „Kulturvorstand“ in die Schlossbaustiftung einzieht.
MacGregor „und sein Team“ könnten nun „loslegen“, so Grütters. Er habe 2016 einen Etat von 3,5 Millionen Euro zur Verfügung, der 2017 auf einen „zweistelligen Betrag“ steige. Aber welche Machtbefugnisse MacGregor hat – ob er etwa in die Ausstellungen noch eingreifen oder gar Umbauten verlangen kann! – und wie viele Mitarbeiter er haben darf, ob die Stellen zeitraubend ausgeschrieben werden müssen, auch, wie viel er selbst verdienen wird, all das ist bisher nicht bekannt. Ebenso wenig, ob diese Posten zusätzlich zu den bisher vom Bundestag auf sehr knappe 590 Millionen Euro gedeckelten Bau- und Einrichtungskosten des Humboldt-Forums bewilligt oder davon abgezogen werden.
Für vieles zu spät
Andererseits: Um MacGregor, der auch am Weltmuseum in Mumbai/Bombay und für das britische Fernsehen arbeiten will, für Berlin zu gewinnen, muss man einiges investieren. Er soll dem Humboldt-Forum endlich die bisher so vermisste Popularität und kulturpolitische Notwendigkeit geben. Schließlich sollen hier, wie Grütters pathetisch im RBB sagte, die „großen Menschheitsthemen wie Religion oder Migration oder Fragen zu Leben und Tod“ behandelt werden.
Für manches wird die Einsicht der Politik, dass ohne Inhaltsidee nicht gut bauen ist, zu spät kommen. Wie viele dem Zweck des Gebäudes, ein Museums- und Veranstaltungszentrum zu sein, skandalös widersprechende Planungen hätten vermieden werden können, wenn es von Anfang an eine mit Vetorecht versehene, nur für die Inhalte zuständige Person in der Schlossbaustiftung gegeben hätte. Kaum wäre dann das Hauptgeschoss für Bibliotheken reserviert worden, sicher wären angemessen hohe und weite Ausstellungssäle für die Museen geschaffen worden. Stattdessen wurde jahrelang über die leidige Fassadenfrage debattiert. Jetzt soll MacGregor nach dem Willen von Monika Grütters über Konzepte sprechen – aber wer will das außer diesen beiden und der breiteren Öffentlichkeit eigentlich?
Stiftungspräsident Herrmann Parzinger stichelt bereits seit Monaten, dass er seinen britischen Kollegen noch gar nicht gesehen habe. Die Stadt Berlin und die Humboldt-Universität halten bisher eisern, wenn auch ohne jedes erkennbare Konzept an ihren Räumen im repräsentativen ersten Geschoss fest, statt diese für Umplanungen zur Verfügung zu stellen. Der Chef der Schlossbaustiftung, Manfred Rettig, macht bei jeder Gelegenheit klar, dass er jede Veränderung des Projekts ablehne, und sei sie noch so sinnvoll, die irgendwie den Kosten- oder Zeitplan gefährde. Der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Michael Eissenhauer, hat die Schließung der Südsee-Halle und der Ausstellung zu den nordamerikanischen Indianern sowie des einstigen Museums für Indische Kunst in Dahlem bereits zum 11. Januar diesen Jahres wesentlich mit dem Umzugstermin 2018 begründet.
Kann MacGregor in solche verkrusteten Strukturen einbrechen? Der Maßstab, an dem er sich orientieren muss, liegt dabei immens hoch. Sein Name ist Dahlem. Gerade jetzt, in den letzten Tagen vor der ersten Teilschließung der dortigen Museen, wird die Kraft dieses Mythos deutlich. Die Säle dort sind voll mit Eltern, die ihren Kindern zeigen wollen, welch großartiges Bild der Weltkulturen Dahlem seit den 1950er-Jahren zeigt. Sie gehen noch einmal von den Steinstatuen und Keramiken aus Mexiko direkt zu den Kulturen des Pazifik, vom Königsmantel aus Hawaii in die grandiose Bootshalle, von dort nach Afrika und nach Europa zur Gondel aus Venedig, entdecken islamisch geprägte Teppiche oder neue Architekturen aus Rumänien und Georgien, indische Tempelbilder und chinesische Lackwaren oder Opiumpfeifen aus Thailand.
Nur für Touristen?
Fast alles, was das Humboldt-Forum noch werden soll, ist Dahlem für Generationen von Berliner Museumsbesuchern bereits gewesen. Hier wurden sie für Kunst- und Kulturgeschichte, Wissenschaft und Welt-Neugier sozialisiert. Ein Kapital, das die Staatlichen Museen seit den 1990er-Jahren zerstört haben, indem sie ihre Politik immer mehr auf Touristen und immer weniger auf die städtischen Bürger ausrichteten. Das feudale Paris war ihr Vorbild, nicht die Bürgermuseen Londons oder New Yorks. Nie gab es deswegen für Dahlem die Chance, den Auszug der Gemäldegalerie 1996 oder den der Skulpturengalerie 1998 und des Museums für Islamische Kunst zu verkraften, zudem fast immer Geldnot herrschte. Kein Versuch wurde gemacht, mit den inspirierenden Ausstellungen des Pariser Musee Quai Branly, des Museums in Vancouver oder des National Museum of the American Indian in Washington zu konkurrieren. Nicht einmal der Standard von London, Zürich oder Stuttgart konnte gehalten werden.
Dahlem, das seit 1970 ein Terminus Technicus war wie Louvre, British Museum oder Eremitage, ist nun an sein politisch gewolltes Ende gekommen. Immerhin sind die wertvollen Bauten während der langen Wartezeit auf das Humboldt-Forum saniert worden. Aber – eine weitere Absurdität – es ist kein Wort über eine sinnvolle Nachnutzung zu hören. Die Museen behaupten bis heute wider jede Ökonomie und bildungspolitische Verantwortung, dass dieser Standort irgendwann aufgegeben werde. Eine Missachtung der Wissenschaftler und des breiteren Publikums, die sich auch im Fehlen aller Zwischenangebote der Museen für die nächsten Jahre zeigt. Entsprechend groß ist die Verlustangst in den Medien oder Leserbriefen: Welche der alten Freunde aus den Vitrinen dürfen mit ins „Schloss“ umziehen, und wird dort über allen Touristenrummel hinaus ein bürgeroffenes Museum entstehen, in dem Kinder anfangen zu träumen von der großen Welt? Der Mythos von Dahlem ist der Maßstab, an dem auch Neil MacGregor gemessen werden wird.