In Berlin lebender Architekt Francis Kéré erhält Pritzker-Preis
Der in Burkina Faso geborene Francis Kéré lebt in Berlin. Er wurde mit Schlingensiefs Operndorf bekannt. Nun bekommt er die höchste Ehrung der Architekturwelt.

Es ist ein alter, aber deswegen nicht unkorrekter Vorwurf: Die meisten großen Kulturpreise der Welt bilden nicht deren reale Vielfalt, sondern ihre ökonomischen und politischen Machtverhältnisse ab. Das gilt auch für den bedeutendsten Architekturpreis, den amerikanischen Pritzker-Preis, der in diesem Jahr zum ersten Mal aus Chicago an einen Afrikaner ging – und ein wenig auch nach Berlin. Hier nämlich lebt Diébédo Francis Kéré, der die Staatsbürgerschaften von Burkina Faso, wo er 1965 geboren wurde, und Deutschland hat, wo er seit 1985 lebt.
Nach einer Baumeister-Lehre in Burkina Faso konnte der damals kaum 20-Jährige über die Carl-Duisberg-Gesellschaft nach Deutschland zum Studium gehen, beendete hier seine Schreinerausbildung, begann 1995 das Studium an der Berliner Technischen Universität. Schon dort, wo die Forschung und Planung in den Ländern des globalen Südens seit den 1970er-Jahren ein fest verankertes Thema ist, wurde der umtriebige und diskussionslustige Kéré viel beachtet, noch vor dem Diplom erhielt er 2001 für die Planung und den Bau einer Schule in Gando, seinem Heimatort, den Aga-Khan-Preis für Architektur. 2009 folgten der Global Award für nachhaltige Architektur und viele andere Auszeichnungen, Lehraufträge, Bücher, Ausstellungen. Und dann hat er auch noch dafür gefochten, die lokale Architektur seiner Herkunftsregion in die Welterbeliste einzutragen, um so auch den Blick auf die agrarischen Traditionen Afrikas zu würdigen.
Architektur der Bescheidenheit
Denn das ist Kérés Spezialität: Die Vermittlung einer Architekturhaltung, die lokale und historische Wurzeln für das Heute nutzt: klare Konstruktionen, die auch von den Menschen vor Ort bearbeitet werden können, gleichzeitig aber deren Weiterbildung herausfordern. Bauten aus Beton und Stahl, sicher, aber vor allem aus Holz, Stroh, Lehm. Kaum zufällig sind viele seiner Werke Schulen oder das Operndorf Afrika des Regisseurs Christoph Schlingensief. Es sind nicht Bauten, bei denen die Formen in Erinnerung bleiben, sondern die Haltung, die hinter den Entwürfen zu sehen ist.
Kéré ist ein Mann, der liebend gerne über die Grenzen seines Fachs sieht, durchaus erfüllt ist mit Missionsgeist, der weiß, dass gute Architektur aus dem Team heraus entsteht, aus Rücksicht auf das, was vorhanden ist, aus Bescheidenheit. Aber Kéré stellt auch unsere kulturellen Sichtweisen erheblich in Frage: Wieso eigentlich nennen wir ihn einen afrikanischen Architekten, nur weil er aus Afrika kommt und mit dort erstellten Bauten seine Karriere gemacht hat? Ist Kéré nicht der ideale Kandidat für eine wirkliche Weltarchitektur? Ein Architekt für die Zukunft, zweifellos.