„Injustice“: Ally McBeal einmal anders
Vielleicht ist Perry Mason an allem schuld. Mit viel Brillantine im Haar und Brillanz im Kopf federte der Fernsehanwalt ab 1957 durch den Gerichtssaal und löste Fälle, die unlösbar schienen. Von Raymond Burr bis zur Flowerpowerzeit mit einer schwarz-weißen Mischung aus Ironie und Strenge, Gesetzestreue und Improvisationsvermögen, Autorität und Lässigkeit gespielt, war Mason der Prototyp des Filmverteidigers, dem jeder Fall dank intensiver Vorrecherche im Showdown vor dem Richter zum Triumph gerät. Freispruch. Immer. 1:0 für die Gerechtigkeit.
Auch William Travers geht gleich mal in Führung. Der gestandene Jurist haut den notorischen Kleinkriminellen Liam aus einem Netz fingierter Anschuldigungen, dass die Perücke nur so wackelt. Wie ein Kommissar enttarnt der neueste TV-Anwalt im Prozessverlauf jede Finte der Polizei, den Schwarzen zum Sündenbock des Sittenverfalls in London zu machen. Mit smartem Lächeln schüttelt er unbekannte Beweise aus dem Ärmel, fesselt die Geschworenen mit geschliffenen Plädoyers, ist einfach spitze, ein echter Verteidiger – der Fünfteiler „Injustice“, deren erste drei Folgen Arte an diesem Donnerstag zeigt, hätte also das Zeug zur Stromlinienware handelsüblichen Justizentertainments, wo die Fiktion der Realität so fern ist wie Barbara Salesch.
Aber etwas stimmt nicht mit Travers. Sein Klient wirkt nämlich nicht ganz unschuldig, er selbst dagegen zu schlecht rasiert, fast schmierig für einen echten Helden, dessen Frau Jane (Dervla Kirwan) zudem seltsam streng mit ihm ist, die Staatsgewalt sogar noch mehr.
Düstere Vergangenheit
Und dann sitzt da ständig dieses Kind, das niemand außer ihm wahrnimmt, ein Geist, etwas Düsteres aus der Vergangenheit, so zeigt sich. Denn William Travers (James Purefoy) hat ein Geheimnis. Gut, das hat heutzutage zwar jeder Seriencharakter auch auf der guten Seite; man nennt das Fallhöhe. Nur Travers ist gar nicht so richtig bei den Guten. Er ist auch Täter.
Mehr soll nicht verraten werden über eine Reihe, die trotz einiger Klischees und miserabler Synchronisation auf dem ausgetretenen Pfad der Anwaltsserie endlich frische Spuren setzt. Denn die juristischen Heilsbringer früherer Formate, deren Arbeit seit einen halben Jahrhundert zumindest die Welt auf Bildschirm und Leinwand ein klein wenig gerechter machen – hier ist es ein Zweifler, ein Grenzgänger, einer, der sich die ungestellte Frage stellt, was geschieht, wenn der frisch erwirkte Freispruch falsch war, wenn der Mandant also schuldig ist.
Und das gab es in dieser Intensität noch nie; daher der Name: „Injustice“, übersetzbar mit Unrecht und nicht zu verwechseln mit US-Serien wie „Justice“, deren deutscher Untertitel „Nicht schuldig“ darauf hindeutet, worauf es jede Folge hinausläuft. Und auch nicht zu verwechseln mit „Liebling Kreuzberg“ oder „Boston Legal“, „Edel & Starck“ oder „Law & Order“, mit all den Masons der Gegenwart, die zwar Macken haben, die auch mal besoffen sein dürfen, ratlos, schwul, untreu, mies. Die gefühlsduselig-egoman sein mögen wie Calista Flockhart als Ally McBeal oder brüderlesk-lüstern wie William Shatner als Dany Crane, nach Stechuhr ermitteln wie Danni Lowinski oder unkonventionell wie „Der Dicke“ – am Ende aber lösen Sie den Fall.
Deutscher Perry Mason
William Travers dagegen ist der Fall, auch wenn die Sache weit komplizierter liegt als bei bloßer Täterumkehr. Und weil das Komplizierte, ohne verworren zu sein, so stilbildend ist für dieses Format, lohnt ein Blick auf ein Produkt ähnlichen Hintergrunds, das in der übernächsten Woche auf Sat.1 läuft. Sein Titel „Elemente des Zweifels“, es ist die zweite Folge der losen Reihe „Im Alleingang“ und zeigt erneut, wie bieder und banal Anwaltsfernsehen sein kann. Denn hier bleibt fast alles beim Alten: Die Staranwälte Georg Actis (Hannes Jaenicke) und Maria Schwadorf (Stefanie Stappenbeck) mögen im Rollstuhl sitzen oder fremd gehen – ihre Arbeit erledigen sie mit vollem Einsatz, Empathie und erfolgreich.
Das mag als Drama noch leidlich spannend sein; als Gerichtsfilm ist es so wahrhaftig wie die Werbespots dazwischen. Dabei sind Georg Actis und William Travers als Typ sogar vergleichbar, dramaturgisch allerdings ist der Brite eher wie „Breaking Bad“, in dem ein krebskranker Lehrer zum Drogendealer mutiert, der Deutsche dagegen bleibt, was deutsche Verteidiger eben sind: Perry Mason.
Injustice, 20.15 Uhr, Arte