Interiew mit Sting: "Wir müssen alles tun, um die Bienen zu retten"

Wahrscheinlich hätte kaum ein Musiker die Einladung ausgeschlagen, doch es war Sting, für den sich die Betreiber des Bataclan entschieden: Am vergangenen Wochenende trat der Brite in der Pariser Konzerthalle auf, als erster Künstler, seit Islamisten vor einem Jahr dort 90 Menschen erschossen. „Heute Abend haben wir zwei Aufgaben in Einklang zu bringen“, sagte er zu Beginn auf Französisch vor 1500 Zuhörern. „Zunächst jener zu gedenken, die ihr Leben bei dem Anschlag verloren haben, und dann, das Leben und die Musik an diesem historischen Ort zu feiern.“ Das Gespräch im Berliner Soho House, zu dem ein entspannter, charmanter und seit Neuestem bartloser Sting empfing, haben wir vor dem symbolträchtigen Auftritt geführt. Um Paris ging es aber auch.

Das letzte Mal haben wir uns vor einem Jahr in Paris getroffen.

Richtig. Wir sprachen über die romantische Seite der Stadt, weil ich ein Duett mit Mylène Farmer aufgenommen hatte und wir das Video an der Kathedrale Notre-Dame und der Seine gedreht hatten. Und plötzlich war da nichts als dieser Albtraum.

Zwei Tage nach unserem Gespräch passierten die Terroranschläge...

Das war wirklich eine Katastrophe. Ich hatte gerade so viel Zeit in Paris verbracht. Ich spreche nicht fließend Französisch, aber ich bin gut darin, so zu tun, als ob. Die französische Kultur war mir immer wichtig. Wenn man an Romantik denkt, an Liebe und Sinnlichkeit, dann kann man doch gar nicht anders, als an Paris denken. Und plötzlich wird man dann voll aus dem Film herausgerissen. Es war schlimm. Aber die Stadt erholt sich langsam von dem Schock.

Hat der Terror Ihr neues Album beeinflusst?

Ich denke schon. Unterbewusst spielt so etwas immer mit rein, wenn du Songs schreibst. Ich lebe in dieser Welt. Ich bin täglich mit den Nachrichten konfrontiert. Ich bin involviert in das, was passiert.  Allerdings ist mein erster Vorsatz zu unterhalten. Ich bin Entertainer. Also ist die Platte dementsprechend. Aber ich hoffe, wenn man genauer hinhört, findet man Bedeutung unter der Oberfläche: Das kann die Idee hinter dem Song sein oder meine Meinung zu bestimmten Themen. Aber das ist nicht Pflicht. Man kann beim Hören der Platte auch einfach nur Spaß haben.

Sie haben mit syrischen Flüchtlingen ein Lied in Berlin aufgenommen.

Der Song heißt „Inshallah“ und wollte sich soundmäßig nicht so recht einfügen, aber es war mir wichtig, ihn zumindest als Bonus-Track auf der Platte zu haben. Es war eine wundervolle Erfahrung, diese Musiker spielen zu hören. Jeder von ihnen hat seine ganz eigene Geschichte, wie er nach Europa kam. 

„57th & 9th“ heißt Ihr neues Album, nach einer Straßenkreuzung in New York City, die Sie täglich auf dem Weg zum Studio passierten. Warum?

Weil mir beim Gehen die besten Ideen kommen. Der Rhythmus des Gehens ist dem Denken und Komponieren sehr zuträglich. Ich habe das Glück, dass ich zu Fuß von meinem Haus ins Studio laufen kann. Ich brauche für die 13 Blocks je nach Verkehr 15 bis 20 Minuten. Das ist die perfekte Zeit zum Denken für mich. New York ist sehr stimulierend. Die Architektur ist anregend, die Leute, der Lärm, der Verkehr, die Geschichten, die man in den Gesichtern der Menschen ablesen kann. Die neuen Songs entspringen also dem Gefühl und der Intensität von New York, auch wenn es keine Lieder über die Stadt als solche sind.

Werden Sie oft erkannt, wenn Sie durch New York spazieren?

Es hält sich in Grenzen. Und wenn schon! Die Menschen sind sehr freundlich, wenn du sie persönlich triffst. Das ist anders als im Internet. Sie sagen dann: „Hey, ich mag deine Musik.“ Eher selten höre ich: „Hau ab, du nervst!“ Ich schätze an der Stadt die Freiheit, mit jedem ins Gespräch zu kommen. Und ich mag es, ein Leben wie jeder andere Einwohner von New York City zu führen.

Sie wirken bodenständig. Gewöhnt man sich ans Berühmtsein?

Ruhm ist sowieso selten unangenehm. Es ist doch schön, wenn die Leute wissen, wer du bist, und dich für deine Arbeit respektieren. Ich bin trotzdem noch in der Lage, allein zu sein, wenn ich es will. Oder nicht erkannt zu werden. Ich weiß, wie man die Straßen entlanglaufen muss, um Kontakt zu vermeiden. Ich verhalte mich wie jeder andere Einwohner auch. Ich habe also nicht irgendwelche paranoiden Wahnvorstellungen, was das Berühmtsein betrifft.

Mit „57th & 9th“ veröffentlichen Sie nach vielen Jahren wieder ein Rock-Album. Warum ausgerechnet jetzt?

Weil ich daran glaube, dass in der Musik das Überraschungsmoment das Wichtigste ist. In der vergangenen Dekade habe ich Platten gemacht, von denen man sagen kann, dass sie eher esoterisch sind. Damit bin ich meiner Neugier gefolgt. Vermutlich haben viele damit gerechnet, dass das jetzt so weitergeht. Da ist es doch schön, dass ich ihnen nun etwas anderes serviere.

Gehen Sie damit zu Ihren Wurzeln zurück?

Na klar. Da ist viel von meiner DNA auf der neuen Platte – angefangen bei meiner Arbeit mit The Police. Es ist nicht so, dass ich plötzlich einen neuen Stil adaptiert habe. Ich lebe jeden Tag mit dieser Musik. Ich spiele jeden Tag Rock ’n’ Roll. Das ist schließlich mein Job. Das Wichtigste war mir, dass die Songs sehr direkt und  simpel sind und angenehm zu hören.

Mögen Sie moderne Popmusik?

Oh, ja!
 
Und Sie wollen da echt noch mal mitmischen?

Klar, wobei ich gar nicht weiß, ob ich in die gängigen Charts noch reinpasse. Ich wollte einfach nur eine Sting-Platte machen. Und wenn die Leute sie mögen, bin ich glückselig.

„Rockstars, they never die, they only fade away“, singen Sie im Stück „50 000“ im Gedenken an die Musiklegenden, die uns dieses Jahr verlassen haben.

Die letzten zwölf Monate waren echt schockierend. Wir haben Lemmy von Motörhead verloren, Glenn Frey von den Eagles, David Bowie, Prince und meinen engen Freund Alan Rickman – der ist zwar kein Rockstar, aber eine Ikone des Schauspiels. Ich habe an jeden von ihnen persönliche Erinnerungen.  Wenn solche Leute die Welt verlassen, schockiert uns das doch alle. Weil wir die Illusion haben, dass sie unsterblich sind. Also habe ich den Song aus der Position eines Mannes heraus geschrieben, der wie ich ein Rockstar ist. Er reflektiert darüber und erkennt, dass er aus den stillen Momenten seines Lebens mehr Weisheit gezogen hat als aus den Momenten der Hybris.

Sie sprechen da schon von sich selbst, oder?

Da steckt natürlich viel von mir in dem Charakter, aber es beschreibt die Erkenntnis der meisten Rockstars, wenn es um Ruhm und den Tod geht.

Als Prince starb, wurde überall „Snow In April“ gespielt und in den sozialen Netzwerken geteilt. Was haben Sie da gedacht? Welchen Song werden sie spielen, wenn ich gehe?

Ich bemühe mich, nicht an so etwas Makabres zu denken. Und warum sollte ich das auch tun? Es muss mir egal sein, ich bin dann ja eh nicht mehr hier.

Ist es schwerer, als Rockstar zu altern?

Vermutlich ist es so hart wie für jeden anderen Menschen auch. Ich gebe nicht vor, dass ich jünger bin, als ich wirklich bin. Ich bin nun mal 65. Ich mache allerdings noch denselben Job wie damals mit 25. Und ich sehe noch ziemlich gut dabei aus.

Bereitet das Altern trotzdem Kummer?

Mir hilft mein Hang zur Philosophie. Ich denke, wenn man älter wird und dem Tod immer näher rückt, muss man eine Lebensphilosophie für sich finden, um sich Dinge zu erklären und Erkenntnisse über den Sinn des Lebens zu gewinnen. Ich bin überzeugt, dass es den Sinn des Lebens gibt.

Haben Sie heute schon Yoga gemacht?

Nein, ich war ja im Flugzeug. Aber ich habe fast den ganzen Flug von London nach Berlin meditiert. 45 Minuten in tiefster Meditation zu verbringen, halte ich für eine wichtige Übung. Denn der menschliche Verstand ist wie ein kleiner, ungezogener Hund.

Wie muss man sich das im Flugzeug vorstellen?

Ich schließe meine Augen und versuche, das wilde Hündchen in meinem Kopf davon abzuhalten loszulaufen. Ich konzentriere mich ausschließlich auf eine einzige Sache. Es geht nicht darum einzuschlafen. Du musst den Geist fokussiert halten. Das ist alles, was es braucht. Und das geht überall.