Streit um Netrebko-Auftritt: Ist das wirklich ein Kampf um die freie Welt?
Ein hessischer Intendant hat die russische Sängerin eingeladen, die Politik will, dass er sie auslädt, der ukrainische Generalkonsul droht mit Absage ukrainischer Künstler.

Die Internationalen Maifestspiele am Staatstheater in Wiesbaden haben ein Problem. Es heißt Anna Netrebko. Die russische Opernsängerin soll dort auftreten, als Abigaille in Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“. Eingeladen sind zudem das ukrainische Nationalorchester, der Nationalchor und das Taras-Schwetschenko-Theater aus Charkiw. Verantwortlich dafür ist der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters Uwe Eric Laufenberg, der offenbar Spaß an explosiven Gemischen hat. Seine Festspiele versieht er mit politischem Anspruch, ihr Thema sind in diesem Jahr die politischen Gefangenen auf der ganzen Welt. Und im Programmheft, das zwar noch nicht veröffentlicht ist, aber bereits in Wiesbaden kursiert, schreibt er: „Gegensätze müssen und dürfen hier aufeinandertreffen, sie müssen sich aufladen und explodieren, um sich so wieder zu entspannen.“
Ärger um Laufenbergs Einladungspolitik gibt es in Hessen schon seit Wochen, denn Anna Netrebko ist seit dem Beginn des Krieges umstritten, den Russland gegen die Ukraine führt. Ihre angebliche Nähe zu Putin hat der Weltkarriere der bis dahin gefeierten Sopranistin sehr geschadet. Daran änderte auch ihr Statement vom März 2022, dass sie den Krieg gegen die Ukraine verurteile, ihre Gedanken bei den Opfern seien und sie weder Mitglied einer politischen Partei noch mit irgendeinem Führer Russlands verbunden sei, nicht grundsätzlich etwas. Manchen Häusern wie etwa der Wiener Staatsoper genügte das, anderen wie der Metropolitan Opera in New York reichte das nicht, die Distanzierung wurde als halbherzig empfunden oder gar nicht akzeptiert. Kritisch äußerte sich etwa auch der Berliner Pianist Igor Levit.
Gerade am vergangenen Wochenende stand Anna Netrebko in der Alten Oper in Frankfurt am Main auf der Bühne, also nicht weit von Wiesbaden entfernt. Sie wurde gefeiert, und vielleicht wäre auch ihr Auftritt in der hessischen Landeshauptstadt kein Problem gewesen, hätte Laufenberg die Festspiele nicht derart politisch aufgeladen. Die hessische Landesregierung versuchte jedenfalls, den Intendanten dazu zu bewegen, Netrebko auszuladen. Das Land Hessen und die Stadt Wiesbaden, die das Festival vornehmlich finanziert, erklärten vor einer Woche: Angesichts der Tatsache, dass Laufenberg die Festspiele denjenigen widme, die wegen ihrer Meinung im Gefängnis säßen wie etwa der russische Aktivist Alexej Nawalny, und Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führe, sei nicht zu vermitteln, warum Netrebko auftreten solle. Laufenberg reagierte empört auf die Einmischung der Politik. „Ich sehe mich nicht in der Lage, gegenüber Frau Netrebko, der persönlich keine Beteiligung an einem Angriffskrieg unterstellt werden kann, ein Auftrittsverbot zu verhängen“, ließ er den Wiesbadener Oberbürgermeister wissen.
Anna Netrebko steht auf einer Sanktionsliste der ukrainischen Regierung
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der die Schirmherrschaft bei den Festspielen hat, lässt diese nun ruhen. „Wir stehen solidarisch an der Seite der Ukraine“, ließ er durch seinen Sprecher ausrichten.
Was wohl Bewegung in die Sache gebracht hat: Seit Anfang Januar steht Anna Netrebko wie 119 andere russische Künstler auf einer Sanktionsliste der ukrainischen Regierung. Möglicherweise hat dies den ukrainischen Generalkonsul in Frankfurt am Main auf den Plan gerufen, Vadym Kostiak. Sollte Anna Netrebko bei den Maifestspielen auftreten, sagte er der FAZ, würden die ukrainischen Künstler das nicht tun. Sie hätten bei ihrer Zusage nichts vom Mitwirken Netrebkos gewusst.
Uwe Eric Laufenberg lässt sich auch davon nicht beeindrucken. „Wenn ukrainische Politiker es ukrainischen Künstlern untersagen, im Ausland mit russischen Künstlern aufzutreten, dann schaden sie damit dem Kampf um die freie Welt“, teilte er mit. „Von einer ukrainischen Sanktionsliste können wir uns nicht vorschreiben lassen, wen wir zu einem Festival einladen und wen nicht.“
Maifestspiele in Wiesbaden: Noch keine Absagen aus der Ukraine
In Wiesbaden werde man die Plätze für die Künstler aus der Ukraine bis zur letzten Minute frei halten. „Wir wissen, dass die Künstler gerne kommen würden. Wenn irgendein Politiker diese Auftritte verbietet, finden die Vorstellungen nicht statt, und wir müssen Diskussionen ansetzen, was uns die freie Welt mit unabhängigen Gerichten und freier Presse und freier Kunst wert ist und wofür wir überhaupt bereit sind, zu streiten.“
Noch sind in Wiesbaden keine Absagen aus der Ukraine eingegangen.