Interview mit Colin Firth: Schlimm, diese enthemmten Typen mit den Smartphones

Colin Firth gilt als schwieriger Gesprächspartner. Nicht etwa, weil er keine Journalisten mag, sondern weil er sehr introvertiert und schwer aus der Reserve zu locken ist. Umso schöner, dass ein ziemlich aufgeräumter, ausgesprochen freundlicher und mitteilsamer Colin Firth zum Interview im Londoner Hotel Claridge’s erscheint. Auf Fragen antwortet er sehr spitzzüngig, witzig-ironisch und natürlich mit dem zu erwartenden englischen Understatement, das auch in seinem neuen Film „Kingsman: Secret Service“ zum Tragen kommt. Firth ist ganz in Schwarz gekleidet: Sakko, T-Shirt, Hose. Nur sein goldener Ehering blitzt ab und zu im gedimmten Licht der Suite auf. Sein einziger Schutzschild ist eine schwere, ebenfalls schwarze Hornbrille, die er manchmal, wenn man ihm doch zu nahe zu kommen scheint, wie ein Visier einsetzt.

Haben Sie wieder Besuch von einem Kurier bekommen, der das Drehbuch an seine Hand gekettet hatte?

Nein, das ist mir in meinem Leben auch erst einmal passiert. Nämlich bei meinem vorletzten Film „Magic in the Moonlight“. Da hat Woody Allen tatsächlich darauf bestanden, dass ich das Script in Gegenwart des Kuriers lesen musste. Diesmal war alles viel lockerer. Als ich mich mit Regisseur Matthew Vaughn getroffen habe, war das Script zu „Kingsman“ noch gar nicht fertig. Er wollte nur mal sehen, ob ich an so einer Rolle überhaupt Interesse hätte. Und das hatte ich natürlich.

Sie wollten endlich auch mal einen Action-Helden spielen?

Ich brannte förmlich darauf. Seit ich als Teenager Roger Moore in den Bond-Filmen gesehen hatte, habe ich mir in den wildesten Träumen ausgemalt, wie es wäre, wenn ich mal 007 spielen würde.

Waren Sie nicht auch als Nachfolger für Pierce Brosnan als James Bond im Gespräch?

Es gab wohl Gerüchte, dass ich das wäre. Aber der Broccoli-Clan hat sich offiziell bei mir nie gemeldet. Obwohl ich auf einer Vorschlagsliste ganz oben stand. Auf der Liste, die ich selbst geschrieben hatte.

Würden Sie es besser machen als Daniel Craig?

Sie scherzen. Daniel Craig macht seinen Job als neuer, moderner Bond ganz fantastisch. Ich wäre da viel eher „alte Schule“, wie Roger Moore.

Diese Fantasie konnten Sie jetzt als Super-Spion Harry Hart ja voll und ganz ausleben.

Worüber ich mich immer noch diebisch freue. Wie ein kleiner Junge.

Harry Hart ist eine faszinierende Mischung aus dem klassischen Bond, John Steed aus „Mit Schirm, Charme und Melone“ und John le Carrés George Smiley …

… fahren Sie ruhig fort. Das sind alles Helden meiner Jugend.

Obwohl Sie ein sehr wandlungsfähiger Schauspieler sind, überrascht es doch, dass Sie diesmal den Action-Helden geben

Das hat mich selbst überrascht. Aber ich wollte das unbedingt mal ausprobieren. Und ich habe körperlich einen hohen Preis dafür gezahlt.

Wie meinen Sie das?

Meine sportlich-eleganten Leistungen bestanden vor den Dreharbeiten überwiegend darin, vom Stuhl aufzustehen und mir einen Kaffee zu holen. Oder lässig von der Rolltreppe zu springen. Da ich für diese Rolle aber physisch in Topform sein musste, habe ich mich vor Drehbeginn sechs Monate lang einem rigorosen Fitnesstraining unterziehen müssen. Drei Stunden täglich.

Und das hat Ihnen nicht gut getan?

Es war die reine Agonie. Zumindest die ersten Wochen. Ich wusste gar nicht, dass ich an gewissen Stellen überhaupt Muskeln habe. Ich hatte verschiedene Trainer, die mich mit großer Hingabe gequält haben: Martial Arts, Cardio-Training, Taekwondo, Kickboxen – alles, was Sie sich vorstellen können. Hinzu kam dann natürlich auch noch Tanztraining. Denn die Kampfszenen im Film sind minutiös choreografiert. Ich kam mir oft vor wie Jackie Chan, der sich in einen Busby-Berkeley-Film verirrt hatte. Mit einem Wort: großartig. Nach dem Ende der Dreharbeiten fühlte ich mich wie eine Waffe auf zwei Beinen.

Glauben Sie, dass dieses Training Ihnen bei einer tatsächlichen Prügelei geholfen hätte, als Sieger vom Platz zu gehen?

Ehrlich gesagt, habe ich mich genau das auch selbst gefragt. Denn so eine extrem gute Fitness gibt einem schon das Gefühl von physischer Überlegenheit. Und es gab tatsächlich einen Vorfall, bei dem ich kurz davor war, das zu testen. Ich war mit meiner Frau nachts auf der Autobahn in Frankreich unterwegs, als ein sehr aggressiver Fahrer mir dauernd die Lichthupe gab. Ich sagte zu meiner Frau: „Der weiß wohl nicht, mit wem er sich hier anlegt! Dem werde ich es zeigen.“ Meine Frau meinte nur trocken, ob ich sicher wäre, dass ich mit diesem Typ die zu erwartende Schlägerei auch choreografisch abstimmen könnte? Das wollte ich dann doch nicht herausfinden.

Sie machen im Film ganz fantastische Tricks mit einem Regenschirm.

Leider verlernt man diese kleinen Kunststücke sehr schnell, wenn man sie nicht konsequent übt. Sie hätten mich gestern sehen sollen: Als es zu regnen anfing, hatte ich sogar große Schwierigkeiten, einen Regenschirm aufzuspannen.

Ein Action-Held steht im Regen.

Erzählen Sie es bloß nicht weiter.

Sie sind seit über dreißig Jahren im Filmgeschäft und haben sich in vielen Charakterrollen bewiesen. Für den stotternden britischen König George VI. gab es vor vier Jahren den Oscar. Was hat Sie nun bewogen, in einer so schrillen Comic-Verfilmung mitzuspielen?

Das kann ich Ihnen genau sagen. Ich will als Schauspieler so nahe am Puls der Zeit bleiben, wie ich nur kann. Alles andere wäre nämlich fatal. Und ich halte Matthew Vaughn für einen der interessantesten und fähigsten Filmemacher, den wir in Großbritannien haben. Zuerst war er als Produzent sehr erfolgreich, und seit einigen Jahren ist er es auch als Regisseur. Matthew ist nicht nur innovativ, mutig und ein bisschen verrückt – im Filmbusiness sozusagen eine der Grundvoraussetzungen –, er ist auch unabhängig. Geistig und finanziell. Er hat keine Angst, sich mit den großen Hollywood-Studios anzulegen, wenn es denn sein muss. Nicht um Rabatz zu machen, sondern um seine kreative Vision durchzusetzen. Solche Leute imponieren mir. Und ich habe es beim Drehen sehr genossen, dass da keine Produzenten herumhingen, die den Regisseur wie eine Marionette behandeln.