Interview mit Schauspieler Benno Fürmann: „Ich bin wahnsinnig dankbar, in Kreuzberg groß geworden zu sein“
Die Begegnung beginnt mit einer kleinen Tour durch das Hotel Soho House in Berlin-Mitte. Kein ruhiger Ort, nirgends, um die Mittagszeit, jedenfalls nicht dort, wo es etwas zu essen gibt. Schließlich landen wir im Red Room, der mit rotem Samt und dunklem Holz eher nächtlichen Bar im Keller.
Benno Fürmann bestellt English Breakfast Tea und bittet den Kellner in vollendetem Englisch um Verständnis dafür, dass er das Gespräch während des Servierens nicht unterbrechen soll. Zugegeben, diese Art von Höflichkeit, gepaart mit einem zugewandten Blick aus sehr blauen Augen und dieser sonoren, warmen Stimme, erklärt sofort, warum Frauen seufzen, wenn sie den Namen des Schauspielers Benno Fürmann hören.
In „Heil“ spielen Sie einen Nazi-Anführer. Der ist smart, läuft in Anzügen herum und gefällt sich am Ende als Kriegsherr, der mit einem geklauten Panzer in Polen einfällt. Was treibt so einen an?
Der hat einen Minderwertigkeitskomplex, den er überkompensiert, indem er Polen einnehmen will. Das ist natürlich eine Überspitzung, der Film ist ja eine böse Satire. Aber Faschismus und Neofaschismus haben meines Erachtens plump gesagt viel mit dem Gefühl des Nicht-geliebt-Werdens zu tun.
Dann ist da auch die alte Sehnsucht nach Größe, nach den alten Zeiten, nach Identität. Man fühlt sich benachteiligt, daher der Hass und die rigide Ausgrenzung anderer. Mit Vehemenz wird der eigene Platz am Futternapf eingefordert. Ein nicht funktionierender sozialer Zusammenhang ist immer ein guter Nährboden für Nazi-Parolen. Sven, so heißt meine Figur, will mit seiner Überkompensation dazu noch einer Frau imponieren. Er tut es für die Prinzessin, die er liebt.
Werden Männer zu Nazis, weil sie sexuell frustriert sind? Das legt der Film in einer Szene nahe.
Die sexuelle Komponente ist interessant, weil sie bei einem Mann ein Indikator ist, um den Frust abzulesen. Ich würde es aber nicht darauf reduzieren, es ist eher eine Metapher, die etwas über Verbitterung erzählt. Aber die größere Metapher handelt davon, dass sich viele dieser Männer nicht als Teil von etwas fühlen, dass sie an den Rand gedrängt sind oder sich selbst dahin begeben haben. Vergessene Gebiete, ländliche Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit sind das perfekte Umfeld dafür.
Die Welt ist unübersichtlicher und auf eine Art härter geworden. Es fehlt ein Zusammengehörigkeitsgefühl, man passt nicht aufeinander auf, das war in den Achtziger- und Neunzigerjahren noch nicht so ausgeprägt. Das Land driftet auseinander, es gibt viel weniger Absicherung, und mittlerweile geht man nicht mehr demonstrieren gegen Ungerechtigkeit, sondern gibt sich selbst die Schuld, wenn man seinen Job verliert. Man fühlt sich als Niete, als Versager. Permanent fallen Leute aus dem System.
Muss man deshalb zum Rassisten und Gewalttäter werden?
Nein! Es ist bloß ein Teil des Phänomens. Von innen heraus habe ich es nie so richtig verstanden, warum jemand menschenverachtende, inhumane Richtlinien anstrebt, die andere Menschen ausgrenzen und unterdrücken, und warum jemand die demokratische Gesprächsform ablehnt. Es ist alles restriktiv. Ich bin in Kreuzberg groß geworden, und dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Das ist natürlich auch ein Geschenk – ich habe von Kindheit an einen weiteren Horizont auf diese Welt bekommen. Meine Stiefmutter war Kroatin, mein bester Freund war ein türkischer Alevit, und so ging es weiter. Wenn wir Schultheater gespielt haben oder auf Klassenfahrt waren, dann hat die Herkunft überhaupt keine Rolle gespielt. Aber dieses Geschenk hat nicht jeder bekommen.
Spielen Sie dabei auch auf die Dresdener Pegida-Anhänger an?
Nein, das sind für mich so Nörgler, Sich-Beschwerer. Für mich bleibt es sehr diffus, klassisch unsympathisch. Einer allein traut sich nicht, seine Meinung zu sagen, und dann hast du eine Rotte und dann eine Meute, und auf einmal ist man sich klar, woran es in diesem Land mangelt. Und ich glaube nicht, dass der Grund für unsere sozialen Probleme türkische Einwandererkinder sind. Oder die paar Flüchtlinge, die wir aufnehmen bei einer halben Milliarde EU-Bürgern.
Ich glaube, wir sind jetzt bei einem Verhältnis von einem Flüchtling auf zehntausend Deutsche – das geht an den Ursachen der sozialen Ungleichheit vorbei. Nach außen tun wir in Deutschland oft so tolerant und weltoffen, zerfasern uns aber in einer kleinteiligen Rhetorik. Das ist dann oft laut, hysterisch, kleinkariert und provinziell. Wir sehen uns selten als Ganzes und mittlerweile Buntes. Es ist schade, wie hoch wir unsere Hecken stehen haben, wie wenig neugierig wir sind.
Rassismus gibt es auch an Berliner Schulen, in denen Schüler mit unterschiedlichstem Hintergrund miteinander lernen.
Ich war letztens an meinem alten Kreuzberger Gymnasium, weil ich Schirmherr von „Schule ohne Rassismus“ bin und habe mit den Schülern über das Flüchtlings-Thema diskutiert. Ich mache das seit acht Jahren. „Jude“ als Schimpfwort ist auch in Kreuzberger Schulen präsent, weil es von arabisch- und türkischstämmigen Schülern benutzt wird. Da ist auch eine Menge zu tun.
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