Interview mit Techno-DJ Fritz Kalkbrenner: Lieblingsort in Berlin? Mein Sofa

Fritz ist noch nicht da. Also, er ist zwar da, er ist im Gebäude, aber er macht sich gerade noch einen Tee – so viel zu den Getränkegewohnheiten von Techno-Musikern. Der Raum in einer zum Büro ausgebauten Industrieetage am Spreehafen, in dem das Gespräch mit ihm stattfinden soll, ist spärlich eingerichtet: eine Sofaecke, ein Tisch, ein DJ-Pult. Diese Reduktion auf die Essenz passt zur neuen Platte des in Lichtenberg aufgewachsenen, seit den wilden 90ern in Friedrichshain heimischen Musikers. „Drown“, heißt sie, es ist Fritz Kalkbrenners fünftes Album und das erste, das ohne seinen prägenden Gesang auskommt. Eine bewusste Entscheidung, sagt er, „damit man nicht in so eine Gefälligkeitsfalle tappt“.

Herr Kalkbrenner, wann haben Sie Techno eigentlich für sich entdeckt?

Techno war in meiner Jugend flächendeckend präsent.  Und seit dem Mauerfall auch ein Ausdruck der neu gewonnenen Freiheit, die durch die ganzen Läden, die leerstehenden Gebäude, die als Party-Orte dienten, erst möglich war.

Wie alt waren Sie?

Wahnsinnig jung. Und  mit 17 durfte ich dann in Läden wie das Suicide und ins Discount, das war in einer alten Kaufhalle, etwas anrüchig und dolle klein – 400 Leute musste man dort schon übereinanderstapeln. Der alte Berliner Techno-Adel ging da hin. Sven Marquardt, den man heute vom Berghain kennt, hat dort die Tür gemacht.

Stimmt es, dass Sie als Jugendlicher von der Schule geflogen sind?

Ja, in der Zwölften – wegen Nichtvorhandenseins. Ich war die ganze Zeit raven: Im Discount, Pfefferbank und im vierten WMF, das ein sehr dezidiertes Booking hatte mit internationalen DJ-Größen wie Hell. Auch das Ambiente war geil. Die Innenpaneele der Bar stammten aus dem Palast der Republik und vorm Klo waren die Bildschirme des Sicherheitssystems eingebaut, sodass wir stets wussten: „Ach, kiek mal – der und der kommt jetzt och.“ Damals habe ich echt viel Scheiße gebaut.

Was so?

Ich war wahnsinnig viel feiern und mit ganz großer Lustlosigkeit gesegnet. Heute muss ich sagen: ein großer, großer Fehler. Ich hätte lieber ein Abitur gehabt.

Wozu?

Ich bin ja lange Zeit freischaffender Journalist gewesen:  für MTV, später für den MDR, den RBB und die Deutsche Welle. Und ich hätte gerne ein Volontariat beim Öffentlich-Rechtlichen gemacht. Dafür hätte ich aber nicht nur ein Abitur, sondern auch einen Abschluss in einem geisteswissenschaftlichen Studium benötigt.

Ihre Eltern waren beide Journalisten.

Ja, aber ich habe mir alles selbst beigebracht. Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, Information zu kanalisieren, Sachen auf den Punkt zu bringen. Vielleicht schlägt sich das heute auch in der Musik nieder: Man muss auf den Punkt kommen.

Waren Ihre Eltern traurig, dass es nichts wurde mit Ihnen und dem Journalismus?

Anfangs ja, aber Erfolg gibt auch recht. Jetzt sind sie natürlich ganz stolz, ja, ja.

Können Sie sich an die Situation erinnern, als Sie das erste Mal gemerkt haben, dass Ihre Eltern cool finden, was Sie machen?

Ja, bei den ersten großen Konzertshows mit Livegesang, da waren sie dabei. Da konnte man sehen, dass sie das ganz gut gefunden haben.

Sind Sie dem DJ-Klischee folgend eigentlich ein totaler Nachtmensch?

Nein. Wenn die Arbeit ruft, dann schon, aber ich habe sonst eigentlich sehr geregelte Tagesabläufe. Ich liege auch nicht immer bis in die Puppen im Bett, sondern stehe normalerweise so gegen zwanzig nach sieben auf. Und das ist nicht nur senile Bettflucht, ich habe einfach immer viel zu tun.

Sie wohnen aber nach wie vor in Berlin?

Ja, Friedrichshain-Kreuzberg. Ich habe hier schon immer gelebt. Aufgewachsen bin ich zwar in Lichtenberg, bin dann aber, seit ich mit 16 meine erste eigene Bude hatte, immer hier gewesen.  

Haben Sie Lieblingsorte in Berlin?

Mein Sofa ist schon sehr weit vorne. Aber draußen? Nein. Braucht doch keiner.

Im Pressetext zu Ihrem neuen Album steht, dass Ihnen der raue Osten Berlins Ihre Gewitztheit und Ihren Humor verpasst hätte.

Würde ich sagen, ja. Es gibt ja eine gewisse Charaktereigenschaft, die uns Ostberlinern stets nachgesagt wird: der schlecht gelaunte Humor. Wo Leute von außerhalb immer denken, wir seien unhöflich. Ist natürlich vollkommen falsch, wir sind supernett – wir zeigen das nur nicht.

Dieses Schlechtgelaunte kann man an Ihnen jetzt nicht so feststellen.

Ich kann das aber richtig gut, glaub mir!

Ist Techno im Osten damals auf mehr Begeisterung gestoßen als im Westen?

Kann gut sein. Wenn du nach der ganzen Zeit von der Kette gelassen wirst, ist der Hunger halt größer. Du darfst ja nicht vergessen: Gewisse Entwicklungen waren bei uns quasi nicht existent. Es gab nur: Die Partei fand dich gut oder die Partei fand dich nicht gut. Maximal konntest du Punk sein, aber Punk im Osten sein – da waren schnell mal ein, zwei Jahre Hauptstadtverbot drin. Da durftest du dann nicht rein.

Ist Berlin nach wie vor Techno-Hauptstadt?

Durch die Saturierung der Räumlichkeiten und die Folge, dass vieles nicht mehr möglich ist wie früher, nimmt die Bedeutung natürlich ab.  Aber da ist noch diese Lore, die auf den Schienen fährt und die hat immer noch ziemlich viel Schwung, weißt du. Alle Jubeljahre wird ja immer wieder ein anderer Ort ausgerufen: Barcelona sei das neue Berlin – hat sich aber alles nie dauerhaft durchgesetzt.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie zu Hause?

So 160. Die Hälfte etwa. Wird wenigstens das Geschirr nicht schmutzig.

Sind Sie ein Familienmensch? Sehen Sie ihre Eltern noch häufig?

Ja, schon. Meine Eltern leben ja hier auch in Berlin, da muss ich also nicht jedes Mal acht Stunden fahren, sondern kann mich da janz gemütlich aufs Fahrrad setzen. Meinen Bruder sehe ich seltener, weil der ja auch immer busy ist.

Sie haben auch auf Ihrem neuen Album einen kleinen familiären Bogen gespannt: Das Covermotiv ist ein Bild von Ihrem Opa, dem berühmten Maler Fritz Eisel.

Ich habe das Bild  als passend empfunden. Ist ein recht wilder, impressiver Ausdruck von ihm gewesen.

Ist das Bild im Familienbesitz?

Ja, ist aber nicht meins, das gehört meinem Onkel. Und der will mir das auch nicht geben. Bin noch nicht würdig. Ich durfte es zumindest in der Form schon mal benutzen.

Sind Sie  auch nach Ihrem Opa benannt?

Nein. Mein anderer Großvater und der Urgroßvater, die hießen alle so. In Preußen war das so 1890 der Lieblingsname.

„Drown“ kommt ohne Gesang aus. Wieso haben Sie die Platte instrumental gehalten?

Man müsste eher andersherum fragen: Warum war bei den Alben davor immer Gesang drauf? Denn in der elektronischen Musik ist das ja kein Normalfall. Aber bei meinen früheren Alben war das der Versuch, meinen künstlerischen Ausdruck zu finden. Aber wenn du auf so einem Hochplateau ankommst, läufst du irgendwann Gefahr, dass du das tottrittst. Ich hätte als nächsten Schritt nun auch Studiomusiker einladen können und die Tracks mit Streicher- und Bläserspuren aufpimpen können, sodass alles bombastischer klingt – wäre sicher auch schön geworden. Aber da wäre ich Gefahr gelaufen, dass ich Pirouetten drehe und mich wiederhole. Das wollte ich nicht.


Im Pressetext stand das Wort „Neuanfang“. Sie halten es aber nun eher klassisch – ist das also nicht vielmehr eine Rückbesinnung?

Ich finde schon, dass es ein Neuanfang ist, schließlich habe ich vier Platten lang an der Synthese von elektronischer Musik mit Vocals gefeilt und nun eine Säule davon weggelassen. Da muss man natürlich schauen, ob das musikalische Gerüst trotzdem hält. Man muss immer aufpassen, dass man nicht in so eine Gefälligkeitsfalle tappt, wenn man alles zu cool und lazy macht. Kennt man doch von vielen Leuten, die zu lange an ihrem Kram geschraubt haben, bis das so Sofazeug war, das auch deiner Oma gefallen hätte.

Haben Sie eine Art Kontrollsystem, damit Sie nicht in die Gefälligkeitsfalle tappen?

Du musst dich und deine Musik immer wieder überprüfen, mit dir in Klausur gehen. Bei mir auf der Etage sitzen zum Beispiel Chopstick & Johnjon, die regelmäßig Kopf und Nase in mein Studio stecken und den aktuellen Stand checken dürfen. So ein Response unter Fachleuten ist wichtig. Beim letzten Album sind zum Beispiel Streicherspuren weggefallen, weil die meinten, das würde eine Spur zu sehr nach Rufus Wainwright klingen. Man verzettelt sich ja schnell mal. Und nicht alles, was man tun kann, sollte man auch tun.

Wenn Sie wochenlang an einem Track gearbeitet haben und dann jemand kommt und sagt, dass der zu langweilig klingt – wie sehr schmerzt das?

Das nervt wie Sau und ist ein Stich ins Herz, klar. Normalerweise müsste ich dann erstmal raus und eine Kippe rauchen – aber ich rauch ja nicht mehr. Aber wenn ich dann mal eine Nacht darüber geschlafen habe und mit ausgeruhten Ohren noch mal reinhöre, stelle ich häufig fest: Die Kritik ist berechtigt. Ich finde es daher gut und wichtig, sich auf den Prüfstand zu stellen und nicht immer davon auszugehen, dass es stets das Geilste ist, was man macht.

Sind Sie ein ungeduldiger Mensch?

Das sind wir heutzutage doch alle mit unseren Smartphones. Niemand würde sich doch heute noch in ein Wartezimmer setzen und da zwei Stunden verharren, ohne permanent auf sein Handy zu starren. Ist auch nicht so leicht, ich nehme mich da nicht aus. Mir fehlt da auch das Zen-Gen.

Ohne Social Media können Sie also nicht mehr?

Na ja, ich nutze das meinem Alter entsprechend, glaube ich. Ich lasse mir keine Hashtags einfallen, ich poste keine Selfies, und ich erstelle auch keine Memes. Aber ich weiß immerhin, was das alles ist.