Interview mit Ufa-Chef Nico Hofmann zu "Deutschland '83": "In ein paar Jahren werden wir eine komplett andere Fernsehlandschaft haben"
„Deutschland ’83“ lief zuerst im US-Fernsehen – für eine deutsche Produktion ein Ritterschlag. Vor allem aber ist die Serie der Hoffnungsträger für hiesige Serien. Produziert wurde „Deutschland 83“ von der Ufa. Deren Geschäftsführer Nico Hofmann erzählt im Gespräch über seine Erinnerungen an das Jahr 1983, über das Lob von Tom Hanks für die Serie und über die neue deutsche Fernsehkultur.
Herr Hofmann, viele jüngere Zuschauer werden sich an das Jahr 1983 womöglich kaum mehr erinnern, warum spielt ihre Spionage- Serie ausgerechnet 1983?
Das Jahr 1983 ist ja für einen Filmemacher eines der interessantesten Jahre überhaupt: Es ist der Moment, als in Deutschland durch die Aufrüstung und den Nato-Doppelbeschluss Weltpolitik spürbar wurde. Es gibt kaum eine Zeitspanne, in der die deutsch-deutsche Teilung über Monate eine stärkere Ausgangslage für eine dramatische Geschichte liefert als 1983. Ich habe die Erinnerung, dass wir damals an der Münchener Filmhochschule sehr aktiv geworben haben für die Friedensbewegung, es gab Demos zwischen Stachus und Münchener Freiheit. Ich erinnere mich vor allem, regelrecht Kriegs- und Todesangst gehabt zu haben.
Die Geschichte um den DDR- Spion Martin Rauch wirkt zuweilen etwas wild, andererseits gelang es der DDR ja auch, den Spion Guillaume direkt neben Bundeskanzler Willy Brandt zu platzieren. Gab es für die Geschichte ein reales Vorbild oder reale Motive?
Das Besondere an dieser Serie ist, dass sehr sehr viel Beratung und Recherche drinsteckt. Unter anderem hat uns John Kornblum, der ehemalige US-Botschafter, fast bis in den Schnitt hinein beraten. Die Drehbuchautorin Anna Winger, eine Amerikanerin, hat sich aber viele Freiheiten genommen, die Geschichte um die Figuren herum zu bauen. Mir gefällt aber auch, dass wir viele pop-kulturelle Anspielungen in der Serie erleben, das hat auch etwas mit dem Helden zu tun, der 24 Jahre alt ist. Es ist eben auch eine Coming-of- age- Geschichte.
Derzeit ist der Kalte Krieg ja sehr angesagt, hat man den Eindruck. Demnächst kommt der neue Spielberg-Film „Bridge of Spies“, auch die US-Spionage-Serie „The Americans“ war sehr erfolgreich. Waren das Vorbilder in irgendeiner Weise?
Nein, diese Filme und Serien waren damals ja noch gar nicht fertig. Die Drehbuchautorin Anna Winger hat schon vor vier Jahren die Idee für die Serie entwickelt. Toll finde ich aber, dass Tom Hanks, der die Hauptrolle in „Bridge of Spies“ spielt, sich in einem Interview euphorisch lobend über „Deutschland ’83“ äußert. Mich macht es stolz, dass wir hier in der Frontrunner-Rolle sind. Wir waren zweimal groß in der New York Times, das war schon seit Jahren nicht mehr der Fall bei einem deutschen Film. Unsere Serie hatte in den USA sehr viele Liebhaber. Wir haben die Serie bereits vor einem Jahr in Cannes an den Fernsehsender Sundance TV in die USA verkauft, obwohl wir nur Muster hatten. Das ist auch ein Beweis dafür, wie stark die Serie wirkte.
„Deutschland 83“ wird in Ost und West sicherlich unterschiedliche Erinnerungen hervorrufen. Glauben Sie, dass sie auch unterschiedlich gesehen wird?
Die Serie wird sicherlich unterschiedlich in Ost und West geschaut werden, weil wir immer noch eine unterschiedliche Sozialisierung haben. Viele meiner Freunde stammen aus dem Osten, ich glaube trotzdem, dass die Serie Bestand haben wird. Wer die Serie komplett anschaut, wird ein differenziertes Bild von West- und Ostdeutschland bekommen.
Auf RTL läuft die Serie mit zwei Folgen pro Abend, man kann die acht Folgen nicht binge-watchen, also hintereinander sehen. Macht das einen Unterschied, wenn eine Serie in Häppchen gesendet wird?
Unsere Serie ist komplett horizontal inszeniert, den ganzen Eindruck bekommen Sie also hier auch nur, wenn Sie alle acht Folgen komplett anschauen. Die Serie macht ja drei, vier überraschende Wendungen, alle zwei Folgen wendet sie ihren Tonfall. Aber ich setze auf die Fans, die dranbleiben. Außerdem können Sie die Serie ja auch auf RTL online schauen.
„Deutschland ’83“ ist eine Serie, die so auch bei den Öffentlich-Rechtlichen laufen könnte. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit RTL?
Ganz einfach, weil der RTL-Chef Frank Hoffman der Erste war, der gesagt hat: Ja, ich will dieses Programm ohne Wenn und Aber haben. RTL ist sehr überzeugt von „Deutschland 83“ – ich gehe da zuversichtlich in die Ausstrahlung rein. Es ist ein großes Wagnis, so eine Serie hat noch niemand in Deutschland gemacht, aber: Ich habe ein gutes Gefühl.
Man spricht derzeit vom Herbst der deutschen Fernsehserien, mit „Weinberg“, „Weissensee“ oder „Deutschland 83“. Sind die Deutschen in dem Genre wieder konkurrenzfähig geworden?
Ich habe das schon vor zwei Jahren prognostiziert, dass sich etwas bewegen würde. Ich wusste ja, was produziert wird. Auch „Club der roten Bänder“ auf Vox ist derzeit ein Megaerfolg. Ich habe immer vorhergesagt, dass eine qualitative Neuaufladung bei den deutschen Serien kommt. Wir alleine produzieren bei der Ufa derzeit „Charité“ mit Sönke Wortmann, „Open Sky“, eine zweite Spionage-Serie im Kalten Krieg und „Kudamm ’56“, eine weitere Mini-Serie. Ich bin überzeugt, dass wir in ein paar Jahren eine komplett andere Landschaft haben werden. Vor kurzem gab es ganze Seiten in britischen Zeitungen wie dem Independent und dem Observer, in denen beschrieben wurde, dass in den letzten fünf Jahren die Skandinavier bei den TV-Serien führend waren und es jetzt die Deutschen sind. Ich finde, wir haben eine Nouvelle Vague der deutschen Fernsehkultur, und ich gehe davon aus, dass sie noch ein paar Jahre anhalten wird.