Interview mit "Unheilig": Der Graf will gehen, wenn es am schönsten ist
Berlin - Mit „Geboren um zu leben“ wurde Der Graf von der Gruppe Unheilig zum beliebtesten deutschen Gothic-Pop-Schlagersänger, das dazugehörige Album „Große Freiheit“ (2010) verkaufte sich millionenfach. Die nächste Platte, „Lichter der Stadt“ (2012), blieb zwar dahinter zurück, war aber immer noch ein großer Erfolg. Mit seinem achten Langspielwerk „Gipfelstürmer“, das am kommenden Freitag erscheint, will Der Graf seine Karriere beenden.
Schon lange vor dem Erscheinen Ihres neuen Albums haben Sie angekündigt, dass dies das letzte sein soll. Warum denn eigentlich?
Ach. Wissen Sie, ich bin groß geworden mit dem Problem zu stottern. Ich war immer anders als die anderen, die normal reden konnten, ich hatte immer den Gedanken, dass ich etwas falsch mache. Meine Eltern sind mit mir zu Ärzten und Psychologen gegangen, haben immer wieder mit meinen Lehrern geredet, und ich hatte immer das Gefühl, dass die Menschen um mich herum nicht gerade glücklich wegen mir sind. Somit habe ich nie gelernt, Selbstbewusstsein aufzubauen. Ich hab mich immer dadurch definiert, wie Menschen auf das reagieren, was ich tue.
Zumindest in den letzten Jahren waren die Reaktionen auf Sie als Musiker recht positiv.
Aber ich habe es nie geschafft, diese Wertschätzung, die ich auf den Bühnen erfahren habe, mit nach Hause zu nehmen. Die Menschen haben zu mir gesagt: „Du hast so viel erreicht, du kannst doch zufrieden sein.“ Aber das hab ich nicht hingekriegt, ich brauchte immer noch mehr Bestätigung, ich musste mich im nächsten Superlativ spiegeln, den nächst größeren Berg erklimmen. Das wurde erst anders, als ich Preise erhielt – den Echo, den Bambi – und die mit nach Hause nehmen konnte. Da bin ich jeden Morgen aufgestanden und hab mir die angeschaut, so wurde der Erfolg greifbar für mich, er wurde privat und Teil meines Lebens.
Und deswegen ist jetzt Schluss?
Das war jedenfalls der Moment, in dem ich zum ersten Mal innegehalten und mich umgeguckt habe, auf den Weg, der hinter mir liegt, auf all die Jahre. Und da kam dann die Frage: Wie lange willst du das noch so weitermachen?
Das war nach dem Erfolg von „Große Freiheit“…
…und während der Arbeit an dem nächsten Album, „Lichter der Stadt“. Ich hab mich auch gefragt, wie ich überhaupt jemals etwas hinkriegen soll, das neben den Liedern von „Große Freiheit“ bestehen kann. Gar nicht mal wegen des kommerziellen Erfolgs. Sondern weil ich wusste: Es gibt jetzt Millionen von Menschen, die auf die nächste Platte warten.
Hatten Sie Angst, dass sich der Erfolg nicht wiederholt?
Nein, ich würde eher sagen: Ich hatte diesen Ur-Antrieb nicht mehr, der darin besteht, dass man als Musiker den perfekten Song schreiben will, das perfekte Album aufnehmen. Ich hatte das Gefühl, dass mir genau das gelungen war. Somit war es Zeit, mit dem Kapitel Unheilig abzuschließen.
Einen Burn-out hatten Sie also nicht.
Burn-out! Ha! Wenn Künstler aufhören, werden sie immer gefragt, ob es so schlimm war, dass sie nicht weitermachen können. Nein! Bei mir war gar nichts schlimm. Ich habe jede Sekunde genossen. Ich würde alles noch einmal genauso machen. Ich hab auf dem Gipfel gestanden. Jetzt will ich gehen, wenn es am schönsten ist.
Und was kommt danach? Ein neues Projekt? Oder machen Sie es wie Mark Hollis oder Scott Walker, ziehen sich zurück und werden wunderlich?
Ich werde mich zurückziehen, werde weiterhin Musik machen und vielleicht für andere Künstler schreiben, wenn sie sich das wünschen. Aber ich werde mich nicht mehr in die Öffentlichkeit begeben.
Ihre Abschiedstournee soll zwei Jahre dauern. Ist das nicht eine ganz schön lange Zeit, um „Auf Wiedersehen“ zu sagen?
Aber nein! Ich brauche die Zeit für mich. Ich will in jede Stadt noch einmal, in der ich je war; ich möchte jedes Radiokonzert noch einmal erleben; ich möchte jeden Wegbegleiter noch einmal treffen, der für mich wichtig war. Und ich muss auch den Menschen in meinem Umfeld, ob es Musiker sind oder Angestellte in einer Firma, die Gelegenheit geben, sich beruflich umzuorientieren.
Besteht nicht trotzdem die Gefahr, dass ein derart langer Abschied einen selbst lähmt?
Lähmen? Warum? Denk doch mal, wie cool das ist! Du kannst das letzte Mal in Berlin auf die Bühne gehen. Du kannst das letzte Mal in Hamburg auf die Bühne gehen. So kann ich überall wieder Momente schaffen, an die man sich erinnern kann.