Hermann Parzinger: Wusste nicht, dass Nigerias Präsident Benin-Bronzen dem Oba übereignen würde
Warum Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sich um die zehn zurückgegebenen Benin-Bronzen aus Berlin keine Sorgen macht.

Noch sei der Erlass des nigerianischen Präsidenten, die zurückgegebenen Benin-Bronzen dem Oba, dem König von Benin zu übereignen, nicht rechtskräftig, sagt Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin.
Er macht auf ein Problem aufmerksam, das sämtliche Restitutionen nach Afrika betrifft: Deutschland könne nur mit der Regierung verhandeln, aber nahezu alle afrikanischen Staaten seien ein Produkt der Kolonialzeit mit einer Grenzziehung durch die Europäer. Und in vielen Ländern sei eben noch nicht geklärt, wie die staatliche Seite mit den Communitys umgeht.
Herr Parzinger, wussten Sie von der Existenz des Oba, des Königs von Benin?
Ja, natürlich. Ich hatte auch schon eine Audienz bei ihm, als wir 2021 im Auftrag von Bund und Ländern die Gespräche über die Rückgabe der Benin-Bronzen begonnen haben.
War er auch schon in Berlin?
Nicht, dass ich wüsste. Sein Sohn, der Kronprinz, war allerdings mehrfach in Berlin. Und es waren immer auch Abgesandte des Königshofs in der Benin-Dialogue-Group, der Arbeitsgruppe aus Vertretern europäischer Museen und der nigerianischen Regierung und ihrer Organe.
Wussten Sie, dass der nigerianische Präsident dem Oba die Benin-Bronzen übereignen würde?
Das wussten wir nicht. Wir hatten von dem Dekret des Präsidenten aber schon vor der Berichterstattung in Deutschland gehört und waren dazu mit den Kollegen in Nigeria in Kontakt. Zunächst muss man sagen, dass wir die Eigentumsrückübertragung vorgenommen haben, weil es völlig unbestritten ist, dass diese Artefakte in einem klaren Unrechtskontext erworben worden sind. Deshalb kann man bei der Rückgabe auch keine Bedingungen stellen. Wir haben sie in Nigeria an die staatliche Seite übergeben, an die National Commission for Museums and Monuments, die NCMM.
Was ist deren Aufgabe?
Das ist eine Art Bundeskulturbehörde. In dem Erlass des Präsidenten, mit dem er die Benin-Bronzen dem Oba übereignet, wird die Rolle der NCMM allerdings überhaupt nicht erwähnt, deshalb bedarf es nun schon noch eines Klärungsprozesses in Nigeria. Aber der Königshof ist aufgrund der Herkunft der Objekte eng mit diesen verbunden. Dass der König am Schicksal der Objekte beteiligt sein muss, ist klar. Und ich würde es nicht ausschließen, dass die staatliche Seite und der Königshof zu einer Einigung finden. Es ist oft so, wenn man Objekte zurückgibt: Dann beginnen Debatten in diesen Ländern, es gibt divergierende Interessen, und die muss man zusammenbringen.

Es klingt aber doch nun so, als sei da niemand mehr beteiligt und nur der Oba, der König von Benin, trifft die Entscheidungen?
Ob das so ist, muss von nigerianischer Seite noch bestätigt werden. Meines Wissens ist das alles noch nicht rechtskräftig. Ich finde es aber schade, dass Restitutionsgegner bei uns nun sofort argumentieren, dass die Objekte damit der Öffentlichkeit entzogen wären. Selbst wenn sie dem Oba gehören, heißt es doch nicht, dass sie in irgendwelchen dunklen Kanälen verschwinden. Es könnte doch auch sein, dass Königshof und Staat bei der Bespielung des Museums zusammenarbeiten.
Sie machen sich also keine Sorgen um die zehn Bronzen aus Berlin?
Nein. Ich bin ziemlich sicher, dass sie auch ausgestellt werden. Das erste Museumsgebäude, der sogenannte Pavillon, ist ja schon im Bau. Und es war immer im Gespräch, dass das eine oder andere Objekt mal am Königshof gezeigt wird, da ist ja auch gar nichts dagegen einzuwenden.
Es geht um 500 Bronzen aus Berlin. Bezieht sich die Übereignung an den König nur auf die Ende vergangenen Jahres restituierten Objekte oder auf alle?
Das bezieht sich schon auf alle unsere 514 Objekte aus Benin, auch auf die, die künftig zurückgegeben werden. Das Eigentum aller 514 Artefakte ist ja bereits übertragen, die Dinge gehören schon Nigeria.
Ein Drittel der Objekte soll als Leihgabe in Berlin bleiben. Müssen Sie diese Leihgabe nun mit dem Oba neu verhandeln?
Dass sie wirklich ihm und nur ihm gehören, steht ja noch nicht fest. Der scheidende Präsident hat es so verfügt, aber das ist unseres Wissens noch nichts rechtskräftig. Der König ist damit noch nicht endgültig Eigentümer der Benin-Bronzen. Dazu wird sich auch die neue Regierung in Nigeria verhalten müssen, intensive Gespräche laufen bereits, wie man hört. Diese Entscheidung hat beträchtliche Tragweite für Nigeria, weil davon auch abhängt, welche Rolle die National Commission of Museums and Monuments (NCMM) künftig überhaupt noch einnehmen wird.
Es war im Zusammenhang mit der Restitution immer die Rede von dem noch zu bauenden Edo Museum of African Art, in dem die Bronzen gezeigt werden sollten. Jetzt heißt es, der Oba wolle ein eigenes Museum bauen.
Es waren zwei Bauprojekte geplant: Der Pavillon, eine Art Studienzentrum und offenes Depot, das Ende des Jahres fertig werden soll, entworfen von dem britischen Star-Architekten David Adjaye, genau wie das eigentliche Museum, das Edo Museum of West African Art (EMOWAA), dessen Bau noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Ich würde nicht sagen, dass das vom Tisch ist. Es muss ja auf jeden Fall ein Museum errichtet werden. Wir werden sehen, wie das weitergeht.
Ein Mitglied der Königsfamilie sagte der Berliner Zeitung, die Bronzen würden auf keinen Fall im Edo-Museum gezeigt, hinter dem unter anderem der Gouverneur stehe.
Wissen Sie, das sind innernigerianische Spannungen, zu denen man als Außenstehender wenig sagen kann. Als die Briten den Oba von Benin 1897 absetzten, wurde ein Mitglied der Familie, die heute den Gouverneur stellt, eine Zeitlang als eine Art Interimskönig eingesetzt. Der Dissens zwischen diesen Familien wurzelt also in der Vergangenheit. Wichtig ist am Ende, dass ein Museum gebaut wird, das der Öffentlichkeit und besonders den Menschen im Edo State zugänglich ist.
Was im Rahmen der Diskussion um die Benin-Bronzen auch aufkam, ist die Beteiligung des Königshauses von Benin am Sklavenhandel.
Natürlich hat das Königreich Sklavenhandel betrieben, und natürlich hängt der Reichtum des historischen Königreichs auch damit zusammen. Dass das aber möglich war, ist auch dem enormen Bedarf der Europäer an Arbeitskräften in der Neuen Welt geschuldet. Es ist nicht so einfach mit Schwarz-Weiß oder Täter-Opfer-Schemata. Das ist eine komplexe Geschichte, von der sich weder die Europäer noch das Königreich Benin freisprechen können. Aber das entbindet uns jedenfalls nicht, diese eindeutig in einem Gewaltkontext geraubten sogenannten Benin-Bronzen zurückzugeben.
Was können Sie aus diesen Vorgängen lernen?
Wir stoßen hier auf ein Problem, das uns immer wieder begegnet, wenn wir Objekte zurückgeben. Wir haben es einerseits mit der staatlichen Seite zu tun, mit der wir die entsprechenden Vereinbarungen treffen müssen. Aber nahezu alle afrikanischen Staaten sind letztendlich ein Produkt der Kolonialzeit mit einer Grenzziehung durch die Europäer. Andererseits sind da die Communitys, die kulturell und historisch Interessierten, die bei Rückgaben auf ihre moralisch-ethische Zuständigkeit pochen. Und wir merken jedes Mal, dass in vielen Ländern eben noch nicht geklärt ist, wie die staatliche Seite mit den Communitys umgeht. Für beide Seiten sind Restitutionen noch neu, es bedarf geordneter Prozesse, um die offenen Fragen im Sinne aller Beteiligten zu lösen und zwischen divergierenden Interessen auszugleichen.
Annalena Baerbocks Worte, die Benin-Bronzen gingen an das nigerianische Volk zurück, erscheinen nun in einem anderen Licht. Wie Sie gerade sagten: Die afrikanischen Staaten sind der Kolonialzeit entsprungene Gebilde. Es gibt zwar Nigeria, aber es ist ein Vielvölkerstaat, oder?
Es ist schon richtig, dass das ethnische, kulturelle und religiöse Gefüge in Nigeria enorm divers ist. Im Süden Nigerias leben Christen oder Anhänger von Naturreligionen, im Norden Muslime. Dennoch ist Nigeria ein Staat, und auch in allen Unesco-Konventionen haben die Staaten die Verantwortung für das kulturelle Erbe auf ihrem Territorium. Insofern ist es nicht falsch, was Frau Baerbock gesagt hat.