Israelische Soziologin Eva Illouz im Interview über BDS-Beschluss und Peter schäfer

Berlin - Die israelische Soziologin Eva Illouz gehört zu den 240 jüdischen und israelischen Intellektuellen, die in einer Petition kritisieren, dass der Deutsche Bundestag die Israel-Boykott- Bewegung BDS („Boycott, Divestment, Sanctions“) pauschal als antisemitisch bezeichnet. Als die Presseabteilung des Jüdischen Museums Berlin einen taz-Artikel über die israelische Petition auf Twitter als „must read“ empfahl, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums, trat zurück, aber die Diskussion, ob BDS antisemitisch ist oder nicht, beginnt nun erst recht, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel. Eva Illouz hat die Fragen per E-Mail beantwortet.

Frau Illouz, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass Peter Schäfers Unterstützung für Ihre Petition ihn zum Rücktritt gezwungen hat?

Ich bedauere Peter Schäfers Rücktritt sehr. Ein Museumsdirektor hat das Recht, sich kontrovers zu äußern, zumal der Tweet BDS ja nicht unterstützt und nicht von Antisemitismus freispricht. Schäfer ist ein großer Gelehrter des Judentums und eine wichtige moralische Stimme. Als Direktor des Jüdischen Museums kennt er sich mit dem Thema aus, es war seine Pflicht, sich an der Debatte zu beteiligen.

Außerdem dachte ich, dass dies ein weiterer Beweis dafür ist, wie die israelische Politik die Diskussionen in der gesamten jüdischen Welt bestimmt und wie diesen Diskussionen die immer gleiche Tautologie im Weg steht: Man darf Kritik an Israel nur äußern, wenn man nicht im Verdacht steht, Antisemit zu sein; aber äußert man Kritik an Israel, steht man von vornherein unter Antisemitismus-Verdacht.

Damit ist die Diskussion beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat. Es ist ungefähr so, als würde man mir unterstellen, sexistisch zu sein, nur weil ich die Frage aufwerfe, wie man sexuelle Belästigung definieren sollte.

In der Petition fordern Sie die deutsche Regierung auf, die Bundestagsresolution, in der BDS als antisemitisch bezeichnet wird, nicht zu verabschieden. Was spricht dagegen?

Ich selbst unterstütze BDS nicht, obwohl ich die Forderung nach einem Ende der Besatzung Palästinas voll und ganz unterstütze. BDS gibt mir oft ein ungutes Gefühl, in der Art und Weise, wie Israel dämonisiert und isoliert wird. Ich habe die Mitglieder des Bundestages aufgefordert, diesen Antrag aus zwei Gründen nicht zu unterschreiben.

Erstens: Der Beschluss reduziert den Begriff des Antisemitismus auf politische Zwecke und lenkt damit von echten Antisemiten ab. Wenn man zu oft „Hilfe! Ein Wolf!“ schreit, wird die Warnung überhört und der Vorwurf des Antisemitismus weniger glaubwürdig. Das ist für mich Verrat an der Geschichte der Juden. Zweitens unterdrückt der Beschluss Stimmen, die gehört werden müssen.

Man lässt Israel Antisemitismus als Ausrede benutzen, um von der Besatzung abzulenken. Das ist für mich „Judenwäsche“ – die Juden und ihre Geschichte werden benutzt, den Interessen eines Staates und der extremen Rechten in Israel zu dienen.

Ist BDS nicht aber in der Tat antisemitisch, wenn die Aktivisten nicht nur die Besatzung kritisieren, sondern Israel als Staat in Frage stellen?

Auf jeden Fall. Aber ich denke, wir sollten zwischen dem Antisemitismus, der eine bewusste Ideologie ist, die Juden hasst, und der verwirrten Ideologie von Menschen unterscheiden, die im Namen der Menschenrechte nicht zwischen Israel und den besetzten Gebieten unterscheiden können. Die Linke ist sehr verwirrt. Es gibt Menschen, die der Shoa-Verleugnung nahe stehen, und welche, die glauben, dass der Antizionismus eine moderne Verteidigung der Menschenrechte ist. Man kann sie in schlechtmeinende und wohlmeinende Linke unterscheiden.

Die schlechtmeinenden greifen auf antisemitische Vorurteile zurück und ignorieren, dass auch die Palästinenser viele Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen, nicht genutzt haben. Die Grenze zeigt sich an diesem Punkt: Geht es um Kritik an der Besatzung oder geht es um die Verweigerung des Existenzrechts Israels, wenn beispielsweise zum Boykott des Eurovision Song Contest in Tel Aviv aufgerufen wird.

Trotzdem sollte uns die Angst vor Antisemitismus und der Kampf dagegen nicht vergessen lassen, dass Israel strukturell immer mehr auf der Ausgrenzung, Diskriminierung und Inbesitznahme eines ganzen Volkes basiert.

Antisemitismus wird oft mit Antizionismus vermischt. Wie kann man das eine vom anderen unterscheiden?

Ich halte Antizionismus für inakzeptabel. Die Juden haben Anspruch auf einen Staat. Antizionismus kann auch eine Kritik an der spezifischen rechtlichen Zusammensetzung Israels sein, durch die den Juden ein Vorteil gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen verschafft wird. Auch das nennt sich Antizionismus, aber hier geht es eher um eine Kritik an der Art, wie die jüdische Vorherrschaft im Staatsrecht verankert ist.

Ist ein Museum der richtige Ort für politische Diskussionen?

Natürlich. Ein Museum ist ein Ort, an dem durch Geschichte den Lebenden geholfen wird, über die Gegenwart nachzudenken. Ohne Politik ist ein Zusammenleben, bestimmt durch Moral und Werte, nicht möglich. Wie wollen wir an einem konkreten Ort mit einer bestimmten Geschichte leben? Das ist die Frage, die ein Museum für jüdische Geschichte stellen kann und stellen sollte.