Italien: Es ist nicht alles schön am Tiber
Wir stehen vorm Pantheon und schlendern dann bei sengender Römischer Hitze von Kirchenbau zu Kirchenbau, von Piazza zu Piazza. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus, alle paar Meter halte ich inne: Das ist also die Wiege europäischer Zivilisation, sage ich mir pathostriefend.
Mein Römischer Freund Federico, der als Altphilologe in New York arbeitet, ist gerade auf Familienbesuch und hat sich Zeit genommen, uns seine „Mamma Roma“ zu zeigen: Da ist die Santa Maria sopra Minerva oder die Renaissance-Kirche Santa Maria del Popolo, in der auch Werke von Caravaggio hängen. Für so etwas muss man in Rom nicht in Museen gehen.
Seine Zukunft glaubt er woanders
Abends treffen wir uns mit alten Studienfreunden von Federico in einer Bar. Weinselig beugt er sich zu mir vor und sagt: „Philipp, ich habe einen Traum.“ Was kommt jetzt? „Ich habe einen Fimmel für rothaarige Frauen an mir entdeckt. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich meinen Rotschopf und mich in einem Landhaus in Vermont oder Maine an der amerikanischen Ostküste, wir backen Apple Pie und hören Norah Jones.“ Ob er denn nicht zurück nach Italien wolle, wieso keine Italienerin, frage ich ihn. Er sei doch ein stolzer Römer, schiebe ich nach, noch ganz architekturbesoffen und beeindruckt von der Schönheit der Ewigen Stadt. „Nein“, entgegnet er. „Hier habe ich keine Zukunft.“
Federico ist bedrückt, er sieht sein Land ausbluten. Und in der Tat, eine alte Freundin zieht bald nach Erlangen ins Frankenland, zwei weitere nach England. Man sieht sich ein- oder zweimal im Jahr, wenn alle ihre Familien Zuhause besuchen. Federico sagt selbst, es sei verrückt, dass er als Römer Latein in New York unterrichten müsse.
Zuerst die Flexiblen
Diejenigen, die können, gehen. Die beliebtesten Ziele in Federicos Freundeskreis sind London und Berlin. Zuerst gehen die Akademiker, die Flexiblen. Jeder dritte Römer unter 35 Jahren, der bleibt, hat keinen Job. Dies ist symptomatisch für eine Generation von Südeuropäern.
Selbstkritisch spricht Federico von Korruption und Misswirtschaft. Aber natürlich ist es auch die deutsche Politik, die schuld am Verschleiß einer Generation ist. Das sagen hier einige. Die Rede ist von Angela Merkels Sparkurs.
Eine Freundin, Cecilia, will dann doch bleiben. Die Sommer in Rom seien einfach schön. Cecila ist eine Ausnahme. Alle ihre Freunde, die an dem Abend zugegen sind, leben entweder schon im Ausland oder sind drauf und dran, Rom zu verlassen.
Federico fliegt am nächsten Tag zurück nach New York. Sein Gerede über rothaarige Frauen und seine Scherze können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihn der Zustand seines Landes traurig stimmt. „Woran denkt ihr in Deutschland, wenn ihr Italien hört?“, fragt er zum Abschied. „An Rom und seine Hochkultur oder an eine Generation ohne Perspektive?“