Jack Nicholson wird 80
Als kürzlich gemeldet wurde, dass Jack Nicholson in einem Hollywood-Remake von „Toni Erdmann“ die Hauptrolle übernehmen wolle, hatte man gleich das passende Bild dazu vor Augen. Wie da ein älterer Mann, höchstwahrscheinlich mit Hawaiihemd und Sonnenbrille, durch eine Hotellobby gockelt, junge Frauen in Geschäftskostümen mit einem anzüglichen Grinsen beschenkt, bevor er endlich seine Tochter findet, um sie mit Perücke und Hasenzähnen zu erschrecken. Die Präsenz dieses Schauspielers, der am heutigen Sonnabend achtzig Jahre alt wird, hatte sofort Besitz von dieser Figur ergriffen – einer Figur, die er vielleicht nie spielen wird. In Hollywood ist vieles im Gespräch, ohne dass etwas draus wird.
Schauspieler, die mit Nicholson gearbeitet haben, beschreiben ihn als Szenendieb. Er verändere, manche sagen, er stehle Filme allein durch seine Anwesenheit, selbst in kleineren Rollen, die er zu Beginn seiner Karriere öfter gespielt hat. Jetzt stiehlt er gewissermaßen einen Film, für den es noch nicht mal ein Budget gibt. Aber die Vorstellung, dass dort irgendwo in den Hügeln am Mulholland Drive hoch über Los Angeles Jack Nicholson mit einem Whiskyglas in seinem Privatkino sitzt, sich diesen schönen Film von Maren Ade anguckt und sich irgendwann zu seinem Agenten rüberbeugt und murmelt: „Das will ich machen“, fasziniert einen natürlich.
Der Größte in Hollywood
Selbst wenn es wahrscheinlicher ist, dass Nicholsons Management einfach nach einer passenden Rolle für sein Comeback gesucht hat. Immerhin hat er seit fast acht Jahren keinen Film mehr gedreht. Jack Nicholson befindet sich im Ruhestand, vor einer ganzen Weile schon hatte er davon gesprochen, sich aus dem Filmgeschäft zurückzuziehen.
Und wenn man das bisher kaum gemerkt hat, liegt es daran, dass er bei Oscar-Verleihungen, Rockkonzerten und Heimspielen der LA Lakers, seines heiß geliebten Basketballteams, immer mal wieder im Publikum – und damit auf Fotos – zu sehen ist. Viel mehr noch liegt es aber an seinen unvergänglichen Filmen. Seit dem Tod seines Grundstücksnachbarn Marlon Brando vor dreizehn Jahren darf man ihn den größten lebenden Schauspieler Hollywoods nennen. Er hätte vermutlich nichts dagegen einzuwenden.
Drei Oscars
Zwölfmal war Jack Nicholson für den Oscar nominiert, öfter als jeder andere männliche Darsteller, dreimal hat er ihn gewonnen. Und wenn seine Filme nicht Klassiker geworden sind („Easy Rider“, „Chinatown“, „Einer flog über das Kuckucksnest“, „Beruf: Reporter“, „The Shining“), zählen sie heute immerhin zum Grundkurs der Kinematographie („Das letzte Kommando“, „Batman“, „Besser geht’s nicht“, „About Schmidt“, „The Departed“). Seine Selbstgewissheit, man könnte auch sagen Arroganz, die er bei öffentlichen Auftritten so gern demonstriert, gründet auf einer künstlerischen Leistung, die sich mit mehr als achtzig Filmen allenfalls numerisch benennen lässt.
Was Jack Nicholson wirklich ausmacht, kann man weder in Filmen zählen, noch in Geschichten erzählen, man muss es selbst erleben. Am besten im Kino, auf der großen Leinwand. Die Gelegenheit dazu ergab sich dieser Tage, als im Berliner Kino Babylon eine Werkschau mit Filmen des tschechischen Regisseurs Miloš Forman gezeigt wurde. Die Reihe warb mit einem Plakat, auf dem Jack Nicholson als Psychiatriepatient McMurphy in „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975) zu sehen ist. Als Schauspieler war es für ihn die Rolle seines Lebens.
Kumpel in der Klapse
Randle McMurphy wird als verhaltensauffälliger Insasse eines Straflagers in die Anstalt eingeliefert, wo man seinen Geisteszustand überprüfen will. Er gilt als Simulant, vermutlich nicht zu Unrecht, der sich um die harte Arbeit drücken will. Unter der Fuchtel einer sadistischen Schwester, die alle nur bei ihrem Nachnamen Ratched nennen, führt McMurphy seine Kumpels in der Klapse in die Freuden des Lebens ein. Als Ratched ihnen einmal verbietet, eine Baseball-Übertragung im Fernsehen zu sehen, setzt sich McMurphy vor den Apparat und kommentiert seine Imagination des Spiels. Es ist eine grandiose Szene der Selbstbehauptung.
Die Männer sind aus dem Häuschen, die Kommandeuse schaut verkniffen zu. Mit all seinem Charme, seiner Gerissenheit und Aufsässigkeit bringt McMurphy das Personal immer wieder zur Verzweiflung, er stellt die Regeln in Frage, indem er mit ihnen spielt. Manchmal geht es gut, oft auch nicht. Wie in der berühmten Waschbeckenszene, wenn er behauptet, er könne den Marmorblock aus der Verankerung reißen, um damit eines der vergitterten Fenster einzuwerfen. Der einzige, dem auf diese Weise schließlich die Flucht gelingen wird, ist der hünenhafte Häuptling Bromden. McMurphy hat es nicht geschafft. Am Schluss des Films wird er einer Lobotomie unterzogen, die seinen unabhängigen Geist zerstört. Aber er hat es versucht.
Vernunft und Wahnsinn
Jack Nicholson verkörpert in „Kuckucksnest“ nicht einfach nur einen Menschen, der wie ein Artist auf dem Grat zwischen Vernunft und Wahnsinn balanciert. Er zeigt einer Gesellschaft, die jeden in ihr System zwingen will, mit einem verrückten Lächeln den Mittelfinger.
Seine Kunst in diesem Film ist für ihn exemplarisch. Er spielt die Rolle eines Manns, der eine Rolle spielt. Ein Fest für jeden Schauspieler, weil er mit all seinem handwerklichen Können seine Figur dem Zuschauer vorführen kann. Und das Handwerk hatte er drauf, seit seinen Tagen im Schülertheater, auch wenn er es nie bei Dozenten gelernt hat. In Lee Strasbergs Actors Studio, wo Kollegen wie Dustin Hoffman, Paul Newman, Harvey Keitel und Robert De Niro studiert haben, galt Nicholson als Karteileiche. Er brauchte kein Method Acting, um die Rolle tief in seiner Psyche zu finden.
Damals wirkte sensationell, was irgendwann zur Marotte geriet, seine Jackismen, wie er es selbst einmal nannte. Die hochgezogenen Augenbrauen, die gerunzelte Stirn, der irre Blick, die perfekten Zähne. Sein Gesicht als Projektionsfläche des Charakters verlangt permanent nach Großaufnahmen. Er könnte einen ganzen Film nur mit seinen Augen spielen. Was „Kuckucksnest“ von vielen seiner späteren Arbeiten unterscheidet, ist die Physis seiner Performance. Wie er nicht nur die Verhältnisse zum Tanzen bringt, sondern selbst mit ihnen tanzt.
Der verzweifelte Regisseur
Wenn man Jack Nicholson in einem Alterswerk wie Martin Scorseses Thriller „The Departed“ (2007) beim Grimassenschneiden zusieht, vergisst man, was für ein grandioser Körperschauspieler er einmal gewesen ist. Den Regisseur hat er bei den Dreharbeiten mit seinen Einfällen zur Verzweiflung getrieben, wie der Kameramann Michael Ballhaus einmal erzählt hat. Nicholson habe sich ganze Szenen dazu erfunden. Am Set seien sie froh gewesen, als sein Gangsterboss Frank Costello endlich erschossen wurde.
Eigentlich wollte Jack Nicholson selbst Filmemacher werden. Er hat eine Zeit lang als Drehbuchautor für den Independent-Regisseur Roger Corman gearbeitet und sich als Akteur in B-Movies über Wasser gehalten, bevor er 1969 in dem Bikerfilm „Easy Rider“ die Nebenrolle eines Anwalts bekam, der den Geschmack an Joints und der Landstraße findet. Als der Blick der Filmgeschichte hier zum ersten Mal auf Nicholson fällt, sitzt dieser allerdings im Gefängnis. Der Zuschauer sieht sein Gesicht durch das Gitter einer Zellentür.
Problematische Kindheit
Ein symptomatisches Bild. Ein Gefangener seiner Obsessionen ist Jack Nicholson bei all seinem Freiheitsdrang wohl immer geblieben. Das Spiel gegen die Regeln hat ihn im Kino groß gemacht. Im wirklichen Leben hat es ihm Anzeigen wegen sexueller Belästigung und Gewalt im Straßenverkehr eingebracht. Seine Probleme mit längeren Beziehungen führt er auf seine problematische Kindheit zurück. Seinen Vater hat er nie gekannt. Und weil seine Mutter, ein Showgirl, bei seiner Geburt erst siebzehn war, übernahm seine Großmutter deren Rolle. Dieses Grundgefühl, von den wichtigsten Frauen in seinem Leben betrogen worden zu sein, sollte ihn nicht mehr verlassen.
Sein Freund Michael Douglas hat einmal gesagt, Jack Nicholson sei der einzige Schauspieler, der sich vor der Kamera wohler fühle als im richtigen Leben. So gesehen, hat er Glück gehabt, dass ziemlich oft eine Kamera auf ihn gerichtet war.