Jamie Cullum: So wird Jazz zu Rock, Pop zu Jazz
Gelegentlich schreibt Sänger Jamie Cullum auch über Musik. Dann rettet er zum Beispiel Paul McCartneys Versuch, sich das klassische Jazz-Songbook als Hommage an die eigenen Wurzeln zu erobern, feiert Dave Brubeck oder erinnert sich in einem Nachruf auf den Pianisten Esbjörn Svensson daran, wie einsam man in den Neunzigerjahren als jazzhörender Teenager sein konnte. Damit lässt sich recht gut sein musikalischer Horizont nachzeichnen: Die Auswahl der Künstler markiert ein Konzept von klassischer Unterhaltung, mit dem er auch junge Hörer für sich gewinnen möchte.
Das sollte man nicht mit Servilität verwechseln. Cullums Update des klassischen Jazzgesangs prägt einerseits der Respekt vor den Quellen, deren Repertoire er andererseits entspannt in den Pop ausdehnt. Das tut der 33-jährige Brite seit 1999 mit einnehmender Selbstverständlichkeit, ohne sich experimentell anzustrengen oder umgekehrt anzubiedern.
Bei Cullum wird auf einleuchtende Weise ein Titel von Hendrix zu einem eleganten Torchsong, eine Radioheadnummer zum jazzaffinen Singer/Songwriterstück aus den Siebzigern und ein Rihanna-Track erscheint als ausladender Casinojazz. Und auch wenn er Standards mit ein wenig Rockdrive oder R&B-Gefühl aufpoppt, bleibt er im coolen Klavierstil und Gesang der Tradition verpflichtet, die er natürlich auf allen bisherigen Alben – sein sechstes erscheint im Mai – auch werkgetreu von Cole Porter über Duke Ellington zu Thelonious Monk im Programm hat. Die eigenen Stücke, oft gemeinsam mit seinem Bruder Ben komponiert, erinnern ans Brill-Building-Handwerk – auch wenn der Literatur- und Filmwissenschaftler schon mal vom Suff-Erbrechen in Taxis singt. Indem er lässig sein Repertoire in den Pop ausdehnt und sich in kleinen Jazzclubs wie auf Rockfestivals zu Hause fühlt, erinnert er daran, dass Frank Sinatra in den mondänen Nachtclubs Las Vegas’ der erste Popstar war, der sein jugendliches Publikum zu hysterischen Schreikrämpfen anstachelte. Man muss ihn deshalb nicht gleich mit Sinatra vergleichen – aber er setzt ebenso selbstbewusst wie sympathisch dort an, wo Jazz einmal Pop war.