Jellybooks: Britische Firma analysiert Leseverhalten für deutsche Verlage

E-Book-Händler wie Amazon, Apple und Barnes&Noble sammeln bereits Daten über das Leseverhalten ihrer Kunden. Aber Buchverlage und Autoren wissen immer noch nicht, was passiert, wenn ein Leser eines ihrer Bücher aufschlägt. Andrew Rhombergs  Londoner Firma Jellybooks ändert das nun.

Wie erheben Sie Ihre Daten, und was genau analysieren Sie?

Wir stellen Lesern kostenlos Leseexemplare  als E-Book zur Verfügung. Darin ist eine Software enthalten, die aufzeichnet, wann welches Kapitel geöffnet wird, wann es geschlossen wird, ob der Leser  Kapitel überspringt, ob er das Buch fertig liest oder wo er abbricht, und  wie lange jemand braucht, um ein  Buch zu lesen.  Anschließend gibt es einen Fragebogen: Ob er das Buch weiterempfehlen würde, wie er es findet, ob Cover und Covertext dem Buch entsprechen.

Welche deutschen Verlage haben Sie engagiert?

Der erste war der Ullstein-Buchverlag in Berlin. Letzten Herbst haben wir auch mit dem Piper-Verlag gearbeitet, dem der Berlin-Verlag gehört. Zu Weihnachten hatten wir eine Aktion mit der Verlagsgruppe Random House in München.

Wissen Sie, wie Ihre Arbeit  innerhalb der Verlage  diskutiert wird?

Die Marketingabteilungen sind am ehesten begeistert. Das Lektorat fürchtet sich manchmal  ein bisschen. Nach dem Motto: Werden die uns jetzt sagen, wie man das Buch umschreiben muss. Aber das sagen wir nie.  Das Buch ist ja  fertig, wenn wir es zum Testen bekommen. Unsere Daten werden genutzt,   um zu verstehen, wen es anspricht, was für eine Kundschaft das Buch mag. Und wenn es überhaupt nicht ankommt, aber ein großes Marketingbudget dafür geplant war, dann überlegt man sich vielleicht, dass man das lieber für ein Buch einsetzen sollte, das besser ankommt.

Trotzdem gibt es doch die Angst, dass künftig aufgrund solcher Erhebungen Einfluss genommen wird, auf den Schreib- und auch den Lektoratsprozess. Schließen Sie das aus?

Im Belletristikbereich im Großen und Ganzen ja. Ein gutes Buch wird als Gesamtkunstwerk betrachtet.  Männer entscheiden sich auf den ersten 50 Seiten, Frauen auf den ersten 100, ob ihnen die Charaktere gefallen, die Sprache. Die ändern die Meinung später nicht. Anders ist es mit Sachbüchern. Da testen wir schon, ob bestimmte Kapitel interessant sind und andere nicht, und ob man die vielleicht auslassen sollte. Oder ob es  zu schwierig ist und man es einfacher schreiben sollte. Da gibt es  auch keinen Widerstand im Lektorat oder bei den Autoren. Das Buch soll ja hilfreich sein, und wenn  man feststellt, dass man  etwas verbessern kann, ist die  Bereitschaft dazu groß.

Ein Lektor könnte doch aber aufgrund der Daten auch auf die Idee kommen, im Bereich der Belletristik Einfluss zu nehmen.

Die Lektoren haben ja bereits Daten, nämlich die Verkaufszahlen. Das ist ein einziger Datensatz, der  allerdings irreführend sein kann. Unsere Daten vermitteln ein genaueres Bild. Wir hatten  Fälle, da gab es ganz große Erwartungen an ein Buch, aber die Verkaufszahlen waren schlecht. Dann haben wir ein Testleseexperiment durchgeführt und festgestellt, dass das Buch  den Lesern unglaublich gut gefallen hatten. Achtzig Prozent Fertiglesequote –  extrem hoch. Aber das Cover wurde moniert.  Früher hätte das der Lektor nie mitgekriegt. Er hätte sich gefragt, ob der Inhalt schuld war oder das Marketing, das Cover, die Konkurrenz. Heute können wir diese Fragen in vielen Fällen beantworten.

Ihre Daten könnten das Ende des Bauchgefühls in den Verlagen sein.

Die Daten reduzieren das Bauchgefühl. Auch wir können nicht genau vorhersagen, was passiert.

Haben die Verlage aufgrund Ihrer Daten Entscheidungen verändert?

In manchen Fällen waren die Aussagen tatsächlich  so stark, etwa im Falle des schlechten Covers, dass man sagte, das Buch sollte  man neu herausbringen. In einem anderen Test hatte das Buch eines neuen Schriftstellers unheimlich gut abgeschnitten. Die Daten kamen vier Monate vor Erscheinungstermin. Da hat sich der Verlag entschieden, diesen Titel stärker zu pushen.

Informieren die Verlage ihre Autoren?

Heikles Thema. Manche Verlage haben das getan, gerade im Sachbuchbereich. Im Belletristikbereich fürchten sie sich  mitunter davor, ihre Autoren über schlechte Ergebnisse zu informieren.

Es gibt Bücher, die Leute kaufen, nur um sie im Regal stehen zu haben, nicht um sie zu lesen. 

Preise und Rezensionen können tatsächlich dazu führen, dass ein Buch sich gut verkauft, obwohl es keiner liest. Das Verhalten der literarischen Hohepriester können wir nicht vorhersagen. Es gibt Erstautoren, die unheimlich gute Rezensionen kriegen und sich sehr gut  verkaufen. Früher hat man so jemandem einen großen Vorschuss  für das zweite Buch angeboten. Doch wenn bei den Tests herauskommt, dass das Buch nicht gelesen wurde, dann ist eigentlich kein Publikum da für das zweite Buch.