Jenseits von Davos

Das World Economic Forum „off the record“. Was ich nicht in Davos erlebte.

Unsere Kolumnistin Hanna Lakomy
Unsere Kolumnistin Hanna LakomyUwe Hauth

Pupillenklein, opak, und schwarz wie der Tod: Für eine Sekunde blickte ich direkt hinein in die Mündung der Waffe, deren gräuliche, matte Oberfläche schmucklos und nicht zu ästhetischem Behufe geschaffen wurde. Kein Angeberspielzeug. Ein garstig Ding, das nur den einen Zweck hat: zu töten.

Dass der Wachmann sie mir zeigte, meiner neugierigen Bitte genügend, war schon mal eine Zweckentfremdung – sein ungelenkes Posieren befremdete uns beide. Also steckte er das Ding wieder weg und sah mich ratlos an. Ja. So sah es also aus. Es war haargenau das, wonach es aussah. Bei ihm und auch bei mir.

Ausnahmezustand

Dabei hatte ich es erst nicht geglaubt, dass auf dem Hotelflur wirklich und wahrhaftig bewaffnete Sicherheitsleute postiert waren. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich bin den Anblick von Pistolen und Revolvern nicht gewohnt. Sie sind etwas Surreales für mich. Irgendwie kann ich nicht vollständig daran glauben, dass es Gegenstände gibt, die ausschließlich zum Töten von Körpern da sind. Ich glaube den Dingen ihre kompromisslose Bosheit nicht. Und das, obwohl ich Menschen kenne, die ihr Geld damit verdienen, sie herzustellen – und dabei selbst durchaus nicht kompromisslos böse sind.

Aber hier stand der Wachmann und wachte. Ich stand vor ihm, in einem rosa-seidenen Negligé, und lächelte ihn leutselig an. Als wollte ich ihn trösten. Denn er kam mir so deplatziert vor, fehl am Platze, überflüssig und übertrieben – jedenfalls war mir so, als würde er sich selbst so empfinden, angesichts meiner rosa-seidenen Gegenwart. Im Grand Hotel. Nachts um drei. Alles war still, das ganze Luxushotel in diesem altehrwürdigen Schweizer Kurort Bad Ragaz, gebettet in die malerische Berglandschaft am Fuße des Hochgebirges, dessen schneebedeckte Gipfel ich eben noch vom Balkon der Hotelsuite aus bewundert hatte, nackt und erhitzt, dampfend in der klaren Januarkälte, mit einem Glas Champagner in der Hand.

Dort oben, im hochgelegenen Graubündischen, war er: der Zauberberg – ich meine natürlich die Schatzalp, die der Roman von Thomas Mann für die Weltliteratur verzaubert hat. Ganz hoch oben, wo die Wolken zogen. Oberhalb von Davos. Davos, das war für mich nur eines dieser reichen, hässlichen Schweizer Bergdörfer, genauso hässlich wie Gstaad oder Sankt Moritz. Orte, wo das Geld alles verdorben hat, am sichtbarsten den guten Geschmack. Aber in Davos, da war doch die Zahnradbahn, die direkt in die Romankulisse aus der vorletzten Jahrhundertwende führte. Auf die Schatzalp mit dem geheimnisvollen Sanatorium, wo die zivilisationskranken Europäer wandelten, Schlafwandler in ihrer kränklichen, unheimlichen Schläfrigkeit, unendlich schwach, ein Sinnbild der Dekadenz – bis ihr Zeitalter endlich in den Weltkrieg explodiert, und sie herausgerissen werden aus ihrem alten Leben, auf die Schlachtfelder, in den Krieg. Ich wollte den Zauberberg sehen!

Und dieses Vergnügen wollte mir die Person, die mich zu ihrem Vergnügen in dieses Hotel eingeladen hatte, nur zu gern machen. Die Person – meine Kund:in, und jetzt dürfen Sie gern rätseln, warum ich plötzlich so korrekt gendere, meine lieben Leser:innen. Diskretion, Datenschutz, no further information!

Doch leider war alles zum Scheitern verurteilt: Der Concierge hatte uns bereits konziliant gewarnt, es könne womöglich Stau geben. Stau? Schweren Stau, Checkpoints, die Kantonspolizei nehme sogar Fingerabdrücke … Ja, wieso denn das? Ja, da sei doch der Gipfel! Kein Berggipfel, sondern der Weltwirtschaftsgipfel, der WEF, World Economic Forum! Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm gehabt. Wir wollten doch nur den ruhigen Jahresanfang ein paar Tage genießen im Thermalbad von Bad Ragaz! Und nun mischten sich die Mächtigen der Welt in meine Escort-Date-Pläne. Das nennt man wohl: höhere Gewalt.

Die höhere Gewalt schlief auf demselben Flur. Es war also nicht bloß ein Gerücht meiner Kund:in, das hier im Hotel eine Delegation des Gipfels untergebracht war. Bis Davos waren es keine 50 Kilometer, schnell zurückzulegen im Helikopter. Und die Helikopter, die hatten wir doch schon bei der Anreise gehört und am Abend wieder, ein Kommen und Gehen, und vor der Tür fuhren die Limousinen vor, die Staatskarossen. Und nun fragte ich mich natürlich, welche Delegation das wohl sein mochte, die hier unter uns weilte. Und wer es wusste, war der mit der Waffe.

Lag es an meinem Charme, gut geölt durch jahrelange Arbeit als Charme-Verkäuferin, oder an der Situation, mit ihm hier zu stehen, die Harmlosigkeit selbst, die seine Montur ad absurdum führte? Oder vielleicht daran, dass ich aus meinem Mini-Handtäschlein diese Box extrem feiner Pralinen hervorholte – ein Give-Away des Sternerestaurants im Hotel, wo wir heute gespeist hatten –, und sie dem tapferen Wachsoldaten schenkte?

Vor allem war wohl die Langeweile schuld, oder gab den Ausschlag, die unendliche Langeweile, Stunde um Stunde die Nacht hindurch auf dem verödeten Hotelflur zu stehen, und natürlich passierte nichts, und auch das kunstvoll verschlungene Teppichmuster hat ein Mensch irgendwann erschöpfend studiert, und dann kommt diese nette kleine Prostituierte, die sich auch sofort als solche enttarnt, und damit sozial auf dieselbe Ebene stellt: Wir beide waren doch Dienstleister, und nicht zu unserem Vergnügen hier, wir beide arbeiteten doch in dieser Nacht. Die treuen Leser meiner Kolumne wissen vielleicht von mir, dass ich in Luxushotels immer dazu neige, mit dem Personal zu fraternisieren. Es ist mir wichtig, merken zu lassen, dass ich nicht eine von den Reichen bin, denen sie dienen. Auch eine Kurtisane kann ihren Klassenstandpunkt kennen.

Und dann waren da diese Pralinen, die er, der einfache Wachmann, sicher noch nie gegessen hatte. So inmitten von Reichtum und Luxus zu arbeiten, ohne je etwas davon abhaben zu dürfen, ist sicher kein leichtes Leben. Und vielleicht hatte er auch einfach Hunger, hatte zum Essen keine Gelegenheit bekommen, denn er öffnete das Schächtelchen sofort und vertilgte zügig alle vier handgemachten Pralinen. Die filigranen Kunstwerke eines internationalen Sternepatissiers verschwanden im Schlund des Bewaffneten. Ich war verdutzt und ein bisschen beleidigt, einerseits, weil er diese Kostbarkeit so herunterschlang, andererseits, weil er mir noch nicht mal zutraute, eine Agentin à la Mata Hari zu sein, die ihn damit vergiften könnte. Wo Staatsgäste sind, sind Geheimdienste nicht weit!

Danach fragte ich ihn, der jetzt durch den Zuckergeschmack im Munde mild gestimmt schien, wen er da eigentlich bewachte. Welche Delegation. Herr Zuckerschnute, mit einem Anflug von Stolz, sagte, er dürfe es mir natürlich nicht verraten. Aber es sei schon eine dieser Nationen, die gerade Krieg führen …

Ich, in gespieltem Unverständnis: Krieg? Das machen doch fast alle!

Nein, nein, es sei schon dieser berühmte Krieg, der überall in den Medien sei.

Ach was! Aber – und hier stellte ich mich wirklich etwas naiv: Es seien doch hoffentlich nicht die Russen? Er sei doch nicht einer, der Russen bewacht?

Nein, das sei er nicht. Gott sei Dank nicht!

Und das war alles, was ich wissen wollte.

Auf dem Weg zu meinem Zimmer – ich habe bei längeren Dates stets mein eigenes, um mich ein paar Stunden davon zu erholen, permanent Objekt der Begierde zu sein – fragte ich mich, wer es wohl war, von der ukrainischen Regierung, der hier mit mir unter einem Dach wohnte. Ich war betrunken, und ich war im Ausnahmezustand, also öffnete ich Twitter und schickte einen Tweet in die Nacht:

Date in der Schweiz während des #WEF bedeutet, nachts um zwei auf dem Hotelflur erst in Pistolenmündungen von Sicherheitsleuten zu schauen und dann mit ihnen die Give-away-Pralinen aus dem Restaurant zu teilen und über Reiche zu lästern…#Davos #WEF

Lückentext

Geweckt wurde ich durch einen Anruf des Blick, der Schweizer Bild-Zeitung. Sie wollten einen Artikel über meinen Tweet veröffentlichen. Ich wusste, sie schreiben so oder so. Posts in sozialen Netzwerken sind öffentliche Äußerungen. Da ergibt es keinen Sinn, sich zu verweigern. Also lieber selbst einordnen; die Chance nutzen, Fehler auszumerzen. Und ein bisschen freute es mich auch, für einen meiner Tweets mal so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

Was sagte ich der Journaille? Eigentlich nichts, nur dass ich eben nichts Genaues sagen dürfte, sehr diskret sein müsse, Profi eben. Was wollten sie daraus schon machen? Ich hatte ihnen nichts von Substanz gegeben. Sie machten daraus einen raunenden, skandalwitternden Artikel mit dürrer Faktenlage, geziert von meinen Fotos, die es im Internet zu klauen gibt. Der karge Lückentext meiner Äußerungen, durch geistige Kurzschlüsse ergänzt. Mir war es egal. Als Hure bin ich es gewohnt, als Projektionsfläche zu dienen. Das Kopfkino im Hochbetrieb. Ist es meine Schuld, was die Leute glauben wollen? Ich weiß, dass es nichts nützt, sie zu berichtigen. Die Phantasie geht durch mit den Leuten. Es ist nicht meine Aufgabe, jede Falschaussage richtigzustellen, die über mich als öffentliche Person von irgendwelchen Klatschblättern in Umlauf gebracht wird.

Hanna Lakomy
Hanna LakomyUwe Hauth

Der Hintergrund war mir doch klar: Wie immer bei solchen Großevents der Reichen und Mächtigen gab es wilde Verschwörungstheorien darüber, was dort wohl abginge, hinter den Kulissen. Dort, wo kein Normalsterblicher je hinkam – außer Prostituierten. Die Projektion: Die Mächtigen der Welt, sie sind durch und durch verdorben, der Gipfel tanzt, und er tanzt auf dem Nacken der Allgemeinheit. Der moralische Reflex des Spießertums gegen die Eliten. Und jetzt hört man sogar von Escorts in Davos! Als ob es eine Neuigkeit wäre, dass meinesgleichen bei solchen Anlässen zugegen ist. Also ob nicht genau das unser Beruf wäre, seit das Abendland existiert.

Konzile, kaiserliche Reichstage wurden von jeher begleitet von einer Entourage aus Händlern, fahrendem Volk und natürlich auch Kurtisanen. Das Konzil von Konstanz machte dieses biedere Bodensee-Städtchen für zwei Jahre zur Sexhauptstadt Europas, und die Aspasia-Statue zeugt bis heute davon. Heute ist es nicht anders. Meine Kolleginnen in New York haben Hochkonjunktur bei der UN-Vollversammlung. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz wird der Sperrbezirk regelmäßig inoffiziell aufgehoben. Und nicht mal wegen der hohen Tiere sind wir Huren da, denn die ganz oben, die sind viel zu sehr mit ihren Machtspielen beschäftigt, um sich auf Sinnlichkeit einlassen zu können. Man muss sich für eine Droge entscheiden – es ist Macht oder Sex (twitterte ich).

Ein Schock für mich: Tags darauf dann stand derselbe faktenschwache Artikel ins Englische übersetzt in der Daily Mail – der größten Boulevardzeitung Großbritanniens. Und nahezu zeitgleich in der Klatschpresse diverser Länder. Ich war plötzlich in der Weltpresse. Der Artikel erreichte die USA, Australien und Indien, wurde übersetzt in diverse Sprachen. Journalisten überfluteten mich via Twitter und Instagram mit Anfragen. Blogger bloggten über mich und spekulierten munter. Überall blickte mir mein Gesicht entgegen, unter dem Aufhänger, dass ich die Prostituierte sei, die in Davos mit den Mächtigen dieser Welt unter einer Decke stecke – buchstäblich. In Deutschland titelte die Bild: „Die Sexgeheimnisse der Reichen und Mächtigen.“ Dabei war ich nicht einmal in Davos gewesen, hatte es auch nie behauptet.

Der Höhepunkt für mich war meine Erwähnung in den russischen Fernsehnachrichten. Ich erfuhr davon durch den Tweet eines gewissen Anton Geraschenko – laut Selbstbeschreibung ukrainischer Patriot und Berater des ukrainischen Innenministeriums, dessen Hauptaktivität augenscheinlich darin besteht, den ganzen Tag russisches Fernsehen zu schauen, in Schnipseln zu veröffentlichen und diese seiner 240.000 Follower großen Community zu übersetzen sowie politisch einzuordnen. Fotos von mir flimmerten über Monitore des Nachrichtenstudios, und dazu sprach die Moderatorin höchst despektierliche russische Worte über westliche Dekadenz („декаданс“). Was die Verbreitung von Fake News angeht, gibt es keinen Unterschied zwischen Russland und dem Westen. Alle teilen alles. Ein bisschen Kommunismus in Zeiten kapitalistischer Aufmerksamkeitsökonomie?

Oder die Erinnerung daran, dass Nachrichten nicht einfach der Wirklichkeit entspringen, sondern gemacht werden. Nachrichten sind Industrieprodukte: schnell und massenhaft produziert nach standardisierten Verfahren der Nachrichtenindustrie, ohne Zeit für Sorgfalt und Besinnung, ohne jede Beziehung zum Autor am Fließband, dem keine Zeit bleibt zur Reflektion, denn sofort muss das nächste Thema verarbeitet, in Nachrichtenform gepresst werden. Die Realität ist eine Ware wie alles andere auch.

Da ist es immerhin doch besser, das Thema ist Klatsch und Tratsch über mein Sexualleben als wirklich wichtige Themen wie Krieg und Politik.

Die Delegierten

Am zweiten Tag schon war die Wache abgezogen worden. Wer immer von ihr bewacht wurde, war wohl ebenfalls abgereist, nach getaner Arbeit. An jenem Tag hatte die Selenska ihre Rede gehalten. War am Ende gar sie unsere Flurnachbarin gewesen?

Aber die restliche Delegation war offenbar noch da. Und am Abend dann sahen wir sie. Wir hatten für diesen Abend zur Entspannung ein einfacheres, weniger schickes der fünf hoteleigenen Restaurants gewählt, die gemütliche Zollstube. Eine kleine, urige Gaststube mit niedriger Decke, ganz unten im dicken alten Gemäuer des Palais von Bad Ragaz. Hier fühlte man sich wirklich ge- und verborgen vor der großen Welt da draußen. Statt Cocktailkleid trug ich Kuschelpulli. Auf der Karte standen Käsefondue und Bündnerfleisch, dazu Kirschwasser.

Ausgerechnet dort fielen sie dann ein, die Delegierten, in großer Gruppe, und wurden an einem langen Tisch platziert. Stimmengewirr in slawischer Sprache füllte den Raum, und ich versuchte zu erraten, wie die Stimmung war. Hatten sie heute Erfolg gehabt mit ihren Anliegen? Würde die Schweiz nun ihre politische Neutralität aufgeben?

Die Neugier riss mich hin. Ich vernachlässigte meine Escort-Präsenzpflicht. Ich trieb mich scheinbar absichtslos zwischen diesen Delegierten herum, wenn sie an der Toilette anstanden. Sie störten sich nicht an mir. Nickten mir zu – also ob sie nicht sicher wären, ob ich vielleicht dazugehörte. Merkwürdig, dass sie nicht wussten, wer Teil ihrer Entourage war und wer nicht. Alle neu hier? Ich wagte mich weiter vor. Gesellte mich zu denen, die vor der Tür rauchten. Alle waren überaus freundlich. Ich ließ mir eine Zigarette anbieten, aber lehnte ab. Die Stimmung war heiter, entspannt. Ich hätte so gern mehr erfahren. Zum Beispiel, warum man sie, nun sogar ohne Bewachung, hier an diesem Nebenschauplatz Bad Ragaz untergebracht hatte, und nicht oben in Davos? Wer hatte das entschieden? Sie selbst am Ende? Doch wohl nicht wegen des Thermalbades! Und billig war es hier auch nicht gerade: Für mein Zimmer, im Nebengebäude, zahlte meine Kund:in 850 Franken. Pro Nacht. Ihr eigenes Zimmer, im Haupthaus, wo auch die Delegierten wohnten, war bedeutend luxuriöser. Sicher kostete es über tausend Franken pro Nacht. Und dann die Transfers mit dem Helikopter nach Davos, zweimal täglich. Aus Sparsamkeit waren sie hier sicher nicht. Warum also dann?

Ich fragte einen jungen Kellner danach. Er sagte, er wisse es auch nicht, warum gerade diese beiden Delegationen hier seien.

Diese beiden? Plural?

Der entsetzte Blick des jungen Kellners zeigte mir deutlich, er hatte sich gerade verplappert.

Welche sind denn da? Ist das nicht nur die ukrainische?

Er antwortete schnell, er wolle gar nichts gesagt haben.

Sie wollen also nicht gesagt haben, dass hier nicht nur die Ukrainer sind, sondern auch die Russen? Unter demselben Dach, im selben Restaurant?

Der Kellner verließ wortlos den Tisch. Ein anderer kam, um die Bestellung unseres Nachtischs aufzunehmen. Und eines weiteren Kirschgeistes für mich.

Es war doch zu bizarr. Warum zusammen ausgerechnet diese beiden Delegationen, in diesem abgelegenen Hotel? Ein Versehen? Unmöglich. Auch ein Zufall war ausgeschlossen. Wieder fiel es mir auf, wie schwer die ukrainische Sprache doch von der russischen zu unterscheiden ist für uns Westler. Und wahrscheinlich war es Russisch, was sie miteinander sprachen drüben am großen Tisch. Die langen Fondue-Gabeln kamen mir bedenklich spitz vor. Konnte nicht jeden Moment die Gewalt eskalieren? Aber alles blieb friedlich. Die Delegierten wechselten vom Restaurant in die Bar – wir wurden mitgeschleppt.

Wie naiv man als Nachrichtenpublikum doch ist. Sie verhandeln also bereits, natürlich verhandeln sie, sie sind doch alle Diplomanten, kennen einander persönlich, verstehen sich, sprechen dieselbe Sprache. Eine Sprache, die wir Westler zumeist nicht verstehen.

Dieses Erlebnis, und dazu die Aufregung der letzten Tage, Schlafmangel, Kirschgeist und Käsefondue – auf der Toilette steckte ich mir den Finger in den Hals. Meine Kund:in war sehr besorgt. Und auch die drei liebenswürdigen Russen, die sich uns mittlerweile vorgestellt hatten. Eine der Damen sprach Deutsch – angeblich arbeitete sie hier im Hotel. Als Kosmetikerin. Und beim KGB, dachte ich für mich. Sie strich mir über die Wange und erklärte, sie und ihre Freunde fänden, ich würde so ein verstörtes Gesicht machen. Und ob wir nicht noch mit ihnen allen hinüber ins Casino kommen wollten. Das berühmte Spielkasino von Bad Ragaz.

Ich, nervlich am Ende, sagte zur Erklärung die russischen Worte, die mir spontan einfielen. Wann, wenn nicht jetzt? Njet woyna! Njet woyna!

Die Sanftheit ihrer Antwort gab mir den Rest: Djewuschka! Nimm es dir nicht so zu Herzen!

Auf Twitter schrieb ich darüber nichts.


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