Jetzt sprechen die Stifte: Gerhard Richters neue Liebe heißt Papier

Große Aufregung: Gerhard Richter rührt die Pinsel nicht mehr an. Der 88-Jährige macht trotzdem weiter mit der Kunst – als Zeichner. Schade nur, dass nichts von Richter in Berlin zu sehen ist.

Gerhard Richter sagt dem Malen adé und will künftig nur noch Zeichner sein. Hier spricht er in seinem Kölner Atelier.
Gerhard Richter sagt dem Malen adé und will künftig nur noch Zeichner sein. Hier spricht er in seinem Kölner Atelier.dpa/Oliver Berg

Köln/Berlin Das letzte große Ding ist vollbracht. Die Kirchenfenster im saarländischen Kloster Tholey leuchten, wenn draußen die Sonne scheint. Der weltgrößte, noch lebende Malerstar Gerhard Richter, 88, hat diese grandiosen Fenster gemacht. Moderne trifft Mittelalter. Es ist ein weiteres Kirchenwerk des Agnostikers, der 1961, damals noch überzeugter Atheist, aus Dresden ins Rheinland floh und dort als Maler eine Weltkarriere begann. Schon farbige Fenster, die er für das Südquerhaus des Kölner Doms entwarf, wurden 2007 eingeweiht. Das war seine Referenz an die Wahlheimatstadt.

Jetzt ist die ganze Kunstwelt in heller Aufregung. Richter, der gefragteste und teuerste Maler der Gegenwart – 2015 wurde ein „Abstraktes Bild“ von ihm bei Sotheby‘s in London für umgerechnet 41 Millionen Euro versteigert – rührt die Pinsel nicht mehr an, nicht die Rakel, nicht die Schaber oder Kratzer. Der 88-Jährige übermalt auch keine Fotos mehr. Vor wenigen Tagen hat der Wortkarge, vor dem Hintergrund der Einweihung der Kirchenfenster im Kloster Tholey,  völlig ohne Larmoyanz gesagt: „Irgendwann ist eben Ende.“

Dabei ist überhaupt nicht Schluss mit der Kunst. Seine neue Kunstliebe heißt Papier. Er zeichnet, mit Stiften, mit Fettkreide. Zeichnen ist eine unterschätzte große Kunst. Ein großer Niederländer der Rembrandtzeit, Hercules Seghers, war „nur“ Zeichner; auch Käthe Kollwitz hat nie gemalt, aber ihre Blätter sind Weltkunst. Beim Zeichnen ist alles ruhiger, bei kleinen Formaten auch sanfter. Das Alter und seine Zipperlein setzen eben auch Stars zu. Die körperlichen Anstrengungen des Malens, schon allein der Formate und aufwändigen Techniken wegen, überfordern eben auch einen Künstler der Superlative. Außerdem: In der so oft tot gesagten und immer wieder auferstandenen Königsdisziplin hat Gerhard Richter schließlich alles probiert. Nicht umsonst nennt man ihn den wandelbarsten und virtuosesten Maler der Welt von heute.

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Schade nur, dass man seine Malerei in Berlin aktuell in keinem Museum sehen kann. Die Neue Nationalgalerie wird seit Jahren restauriert, erst 2021 hängen da wieder Bilder. Aber für Richter beginnt nun eh ein neues Kapitel. Und die stille Kunst der Linien kann ziemlich aufregend sein.