Journalismus in Deutschland: Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR bilden Investigativteam

Für den Journalismus ist es eine gute Nachricht, für konkurrierende Medien, die sich auch als Enthüllungsorgane verstehen, weniger. Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR gründen einen Verbund für investigative Recherchen. Leiten wird ihn Georg Mascolo. Der 49-Jährige war bis April 2013 Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.

Kenntnis und Sorgfalt

Vorbei sind die Zeiten, in denen Reportertypen wie Bob Woodward und Carl Bernstein in einer dunklen Tiefgarage Umschläge mit geheimen Papieren zugesteckt bekamen. Die Verfilmung des Watergate-Skandals mit Robert Redford und Dustin Hoffman haben das Bild des investigativen Reporters ebenso geprägt wie die des Whistleblowers. Heute wird anders gearbeitet. Winzige Speichermedien liefern unvorstellbare Datenmengen, die kein Mensch allein auswerten könnte. Und doch bedarf es wie jeher der journalistischen Kenntnis und Sorgfalt, des tiefen Wissens um ein Thema und der Kontakte in entsprechende Kreise und Netzwerke.

Insofern kann es nur von Vorteil sein, wenn sich die Investigativteams der mit Exklusivgeschichten in letzter Zeit strotzenden größten seriösen Tageszeitung mit denen der beiden größten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusammentun und an die Spitze einen der besten Rechercheure des Landes setzen.

Sowohl der NDR hat ein eigenes Investigativ-Team unter Leitung von Julia Stein als auch seit einem Jahr der WDR mit Georg Restle von „Monitor“ als Leiter. Bei der Süddeutschen Zeitung existiert bereits seit Juni 2009 ein Investigativ-Ressort. Geleitet wird es von Hans Leyendecker, den mit Mascolo seit gemeinsamen Spiegel-Zeiten ein enges, freundschaftliches Verhältnis verbindet. Süddeutsche und NDR wiederum kooperieren seit 2011, wenn es um große, exklusive Recherchen geht.

Dies geht ebenfalls auf ein persönliches Verhältnis zurück, in diesem Fall zwischen Leyendecker und John Goetz, der nach dem Weggang vom Spiegel seinem neuen Arbeitgeber NDR die Erlaubnis abgetrotzt hat, parallel für die Süddeutsche zu arbeiten. Bei den Recherchen zu versteckten Geldern in Steueroasen, Offshore-Leaks, begann der lose Kontakt zwischen SZ und NDR Konturen anzunehmen. Gemeinsam wurden die Daten ausgewertet, Recherchen ausgetauscht, der Termin für die Publikation der Ergebnisse festgelegt. Während nicht selten die tollste Exklusivstory eines einzelnen Mediums im lauten Nachrichtenstrom untergeht, gelang so eine publizistische Schlagkraft, die sowohl über Print als auch Radio, Online und Fernsehen ausgespielt werden und eine entsprechend große öffentliche Wirkung erzielen konnte.

Nun gesellt sich der WDR dazu, und der Verbund bekommt mit Mascolo einen Koordinator, der sich mit Geheimdiensten auskennt, beste Kontakte in Sicherheitskreise pflegt und die Zeit nach seinem Rauswurf beim Spiegel nutzte, um sein Wissen in Harvard und am Wilson-Center in Washington zu vertiefen. Ende Oktober war er mit dem Grünen-Politiker Christian Ströbele bei Edward Snowden in Moskau. Zwischendurch schrieb er viel beachtete Artikel für die FAZ, kürzlich über Wirtschaftsspionage im Handelsblatt und punktete zuletzt in der Süddeutschen als Co-Autor von Leyendecker mit der Nachricht über das scheiternde No-Spy-Abkommen mit den USA.

Aktiv recherchieren

Dieser Zeitung sagte Mascolo, die komplexer und anspruchsvoller gewordenen Recherchen erforderten zunehmend Zeit, Kraft und Aufwand, erst recht, wenn sie internationale Ausmaße annähmen wie aktuell bei den Offshore-Leaks-Enthüllungen über Chinas Elite. Entsprechend seien die Rechercheteams aufzustellen. Im Verbund aus NDR, WDR und SZ sieht er die Chance, „die notwendigen PS auf die Straße zu bringen“. Er wird auch selbst aktiv recherchieren und die Ergebnisse in der Zeitung aufschreiben sowie im Radio und im Fernsehen präsentieren.

Vor ein paar Tagen sagte der ARD-Vorsitzende und NDR-Intendant Lutz Marmor, bei allen Rivalitäten zwischen Verlegern, privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk wäre er dafür, „öfter die Friedenspfeife zu rauchen statt das Kriegsbeil auszugraben“. Dies ist ein Beispiel, wie gemeinsam die Grundlage für anspruchsvollen Journalismus gelegt werden kann. Dafür hat Mascolo, der nun freier Mitarbeiter von SZ, WDR und NDR wird, andere Angebote ausgeschlagen. So auch, bei Springer ein Investigativ-Portal zu entwickeln.

Das Bemühen des Vorstandschefs Mathias Döpfner um Mascolo steht im Zusammenhang mit der Ankündigung, alles zu tun, um die besten Journalisten an Springer zu binden. Viele andere Verlage gibt es ja auch nicht, die Gehälter wie beim Spiegel zahlen könnten. Auch unter diesem Aspekt ist Mascolos Engagement bei SZ, NDR und WDR zu sehen. Journalistisch passt dieses Umfeld ohnehin besser zu ihm. Bemerkenswert ist schließlich, dass er damit einen anderen Weg einschlägt als andere Ex-Chefredakteure. Mascolo kehrt zurück an die Recherchefront, dorthin, wo er sich am wohlsten fühlt.