Jüdisches Filmfestival: Vom Flüchten und Ankommen
Das jüdische Filmfestival widmet sich den Leerstellen, die zwischen jüdischen Familiengeschichten des 20. Jahrhunderts klaffen

Hinterlassenschaften: Taschen aus Kroko-Leder, Briefe, Zeichnungen, ein 24-teiliges Silberbesteck, Bücher und viele, viele Fotos. Auf den Abbildungen sind glücklich wirkende Menschen zu sehen, umrahmt von bezaubernden Landschaften in wechselnden Jahreszeiten. Im Mittelpunkt posiert meist eine blonde, akkurat zurechtgemachte Frau. Mit ihrem dokumentarischen Essay „Eine Frau“ hat sich Jeanine Meerapfel auf die Spurensuche nach der eigenen Mutter begeben, die 1972 in Buenos Aires im Alter von 61 Jahren starb. Hochkonzentriert befragt die Filmemacherin dabei auch sich selbst, denkt über Herkunft und Zufall, vor allem über Entwurzelung nach. Oder, umgekehrt gefragt: Worin besteht Heimat?
Mit Meerapfels „Eine Frau“ als Eröffnungsfilm setzt das „Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg“ (JFBB) in mehrfacher Hinsicht wichtige Zeichen. Es handelt sich um eine auf den ersten Blick unspektakuläre, weil leise Arbeit. Sie fördert schichtweise psychologische und historische Zusammenhänge zutage, die weit über die konkrete Mutter-Tochter-Konstellation hinausweisen. Ähnliche thematische Impulse sind mit unterschiedlicher Gewichtung auch in anderen Beiträgen des Festivals zu finden. In jüdischen Familiengeschichten des 20. Jahrhunderts klaffen nun einmal mehr Leerstellen. Deshalb gewinnt die „Verwandtschaft“ in einem weiteren Sinne auch viel stärker an Bedeutung.
Festival-Highlight: „Concerned Citizen“ von Idan Haguel
Kornél Mundruczó und Kata Wéber werfen mit ihrem Identitätsdrama „Evolution“ einen verhalten-optimistischen Blick auf die Traumata-Überwindung von Überlebenden. Erst in der dritten Generation scheint es dafür Chancen zu geben. Die 1996 als „Kontingentflüchtling“ von St. Petersburg nach Deutschland umgezogene Natalia Sinelnikova kleidet ihre antisemitischen Erfahrungen mit „Wir könnten genauso gut tot sein“ in eine dystopische Parabel. Anna (Ioana Iacob) arbeitet in einer „Gated Community“ als Sicherheits-Chefin. Als in der aseptischen Wohnanlage ein Hund verschwindet, gerät sie in Verdacht. Sehr schnell schaukelt sich die Stimmung der sich so kreuzbieder gebenden Mieter zu pogromartiger Stimmung hoch. Im märchenhaften, mit einem Hauch zu viel Emotionalisierung erzählten Dokumentarfilm „Adam & Ida“ von Jan Tenhaven wird noch einmal der berühmte Fall einer geglückten Zusammenführung von zwei jüdischen Zwillingskindern rekonstruiert, die 1942 auseinandergerissen worden waren.
Einer der stärksten Spielfilme des Festivals ist „Concerned Citizen“ von Idan Haguel. Der Holocaust kommt hier gar nicht vor, wohl aber die Sehnsucht nach einem möglichst perfekt eingerichteten familiären Umfeld. Stadtplaner Ben ist schwul, erfolgreich und lebt in einer stabilen Beziehung. Zum endgültigen Glück fehlt nur ein Kind – aber auch dieser Wunsch lässt sich dank einer Leihmutter relativ einfach erfüllen. Sein bigottes Lebensmodell gerät ins Rutschen, als wegen seines Ordnungssinns ein Polizeieinsatz mit Todesfolge ausgelöst wird. Ein afrikanischer Einwanderer stirbt vor seinen Augen. Bens auf Sand stehendes Schloss geht unter.
Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg, in diversen Kinos, 14. bis 19. Juni