Das fotografische Provisorium dient als Stilmittel einer Propaganda der Tat

Mike Mohring und Jürgen Klinsmann nahmen mit schlecht ausgeleuchteten Handyfilmen Stellung zu ihrer beruflichen Demission. Über den Trend zu Botschaften per Twitter und Facebook.

Berlin/Erfurt-Wenn man den Namen Hanns Martin Schleyer in einer Suchabfrage für Bilder eingibt, kommen dutzendfach Abbildungen zum Vorschein, die ihn als Gefangenen der Terrororganisation RAF im Jahre 1977 kurz vor seiner Ermordung zeigen. „Seit 20 Tagen Gefangener der RAF“ steht auf einem Schild, das der damalige Arbeitgeberpräsident vor seinen Körper zu halten gezwungen war.

Mike Mohring im schlecht ausgeleuchteten Handy-Video.
Mike Mohring im schlecht ausgeleuchteten Handy-Video.twitter-account von M. Mohring

Ein später aufgenommenes Foto bezeugt eine Gefangenschaft von 31 Tagen. „Commando Siegfried Hauser“ steht auf dem Schild, das außerdem das bald zu großem Bekanntheitsgrad gelangende RAF-Logo zeigt, in dem die Versalien RAF in ein Kalaschnikow-Gewehr eingearbeitet sind.

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Authentizität und Dringlichkeit

Schleyer sieht auf dem Foto übermüdet aus. Erschöpft, aber nicht gebrochen. Es gehört zur erschütternden Geschichte des Bildes, dass in ihm ein vermeintlicher Täter des NS-Regimes als Opfer seiner Biografie betrachtet werden sollte. Die unsichtbaren Urheber des Fotos hatten sich in ihrer mörderischen Mission ermächtigt, Vollstrecker eines von ihnen erlassenen Urteils zu sein.

Die Schleyer-Fotos sind seither fester Bestandteil der deutschen Nachkriegsikonografie. Deren Körnigkeit vermittelt insbesondere den Eindruck einer Authentizität, die auf das Empfinden einer gesteigerten Dringlichkeit zu setzen scheint. Das fotografische Provisorium dient als Stilmittel einer Propaganda der Tat.

Ist es nicht genau das, was heute Eingang gefunden hat in jegliche Form von rasch hergestellten Internetbotschaften, deren Akteure nicht mehr eigens abwarten wollen, von Journalisten befragt zu werden?

Mike Mohring: Rechtfertigung per Twitter

Der thüringische CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring hat ebenso zu dieser Mitteilungsform gegriffen wie der Fußballtrainer Jürgen Klinsmann. Beide haben mittels schlecht ausgeleuchteter Handyfilme Stellung zu ihrer beruflichen Demission bezogen, zu der es über die bloße Nachricht hinaus um die Vermittlung von und Autonomie über Befindlichkeiten geht. Das selbstfabrizierte Bild als Rechtfertigung.

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Klinsmann und Mohring ringen um persönliche Integrität

Klinsmann und Mohring räumen Fehler ein und beharren doch auf der Wahrhaftigkeit ihres Tuns. Hier filme ich mich selbst und kann nicht anders. Was sie auf diese Weise vorführen, ist nicht zuletzt ein ästhetisches Ringen um persönliche Integrität.

Wie auch immer das öffentliche Urteil über sie ausfallen mag, bestehen sie via Twitter oder Facebook darauf, das letzte Wort zu behalten. Und bleiben doch gefangen im Bild.

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