Julian Reichelts neues Videoformat „Achtung Reichelt“: Grünen-Bashing bis zum Abwinken
Julian Reichelt hat ein neues Videoformat. Unser Autor hat es sich näher angeschaut. Sagen wir so: Reichelt bleibt seinem anti-woken, anti-grünen Kurs treu.

Das Lachen von Julian Reichelt ist irritierend, es ist ein böses „Hehehe“, mit dem er Aussagen von Politikern kommentiert. Er lacht oft in seinen Videos von „Achtung, Reichelt!“, die seit zehn Tagen online sind. Zum Beispiel in Minute 1:30 seines neuen Videos über die Grünen. Da hat der Grünen-Politiker Jens Kerstan gerade davon gesprochen, dass „der Bahnverkehr ausgebaut werden muss“, damit Inlandsflüge der Vergangenheit angehören, eine Forderung, die nun wirklich parteiübergreifend Zustimmung findet. Reichelts Lachen danach, direkt in die Kamera, ist kein fröhliches, sondern es sieht etwas verkrampft aus, auf jeden Fall verächtlich – und ein bisschen boshaft.
Nach dem „Hehehe“ tut er etwas, was zu fast jedem „Achtung“-Video gehört: Er wechselt das Thema und vergleicht Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. „Wenn Jens Kerstan selber fliegt, geht es um Weltoffenheit“, behauptet Reichelt. „Wer etwas dagegen hat, ist nicht weltoffen, vielleicht ist er sogar rechts.“ Dann wirft Reichelt dem Hamburger Umweltsenator vor, dass der, „der das warme Wasser abstellen will, die kälteste Jahreszeit in seinem Haus auf Mallorca verbringen könnte“. Warum er denkt, Kersten habe vor, wochenlang im Ausland zu weilen, erklärt Reichelt nicht. Und was um Himmels Willen haben Mallorca-Flüge mit vermeidbaren Inlandsflügen zu tun?
Und so geht das die ganze Zeit. Vier solcher Videos hat Reichelt bisher mit seiner neuen Produktionsfirma Rome produziert, deren Büros liegen in Kreuzberg zwischen Moritzplatz und Kottbusser Tor. Im ersten Video ging es um Olaf Scholz, der als „Kanzler der langen Schlangen und der Inflation in die Geschichte eingehen wird“. Das zweite handelte von Robert Habeck und den Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke, dann wieder Scholz. Video Nummer vier behandelt „Die grüne Gefahr“, Reichelts Lieblingsthema, getreu seinem Motto, das er auf Twitter ausrief: Nie links, nie langweilig.
In kurzer Zeit wechselt Reichelt die Themen: Kohlekraftwerke, Klimaflüchtlinge und ein Habeck, der sagt: „Wenn Benzin zu teuer ist, dann fahrt doch Tesla.“ Gesagt hat „Grünen-Guru“ Habeck das so nie, aber mit solchen Details hält sich Reichelt nicht auf. Hehehe. Kurz darauf nennt Reichelt die junge Abgeordnete Emilia Fester eine „Träumerin mit Macht“. Es folgt ein insinuierender Vergleich mit Bezug auf Deutschlands dunkle Geschichte: „Träumer mit Macht sind immer gefährlich.“ Oder noch eindeutiger und raunender: „Die übelsten Unterdrücker haben immer mit sanfter Stimme gesprochen.“
Die Sendung hat, Stand Donnerstag, 44.000 Follower auf YouTube, sie konnte diese Zahl innerhalb einer Woche verdoppeln. Für seine Firma hat Reichelt mehrere ehemalige Bild-Kollegen hinter sich versammeln können: Julius Böhm, Willi Haentjes und Sebastian Vorbach sind dabei. Nach Reichelts Rauswurf bei der Bild vor knapp einem Jahr hatte er angekündigt, ein „reichweitenstarkes“ TV-Programm zu starten. In seiner Pressemeldung zum Start hatte Reichelt darauf hingewiesen, dass die Hälfte der Deutschen glauben, man dürfe seine Meinung nicht mehr sagen. Er kündigte an: „Wir wollen furchtlos und respektlos über das sprechen, was in unserem Land passiert.“
Was Reichelt aber tut, ist vor allem: Politiker, die seiner Meinung nicht entsprechen, mit Dreck zu bewerfen; man kann es nicht anders bezeichnen. „Die Grünen haben so viel Angst vor ihrer eigenen Politik, dass sie vor dem Winter noch einmal Sonne tanken müssen, natürlich auf Steuerzahlerkosten.“ So leitet Reichelt seinen Beitrag über Annalena Baerbocks Reise zum Außenministertreffen auf Bali ein. Das heißt, das Treffen erwähnt er nicht, weil es nicht in seinen Spin passt, den er den Bildern gibt: Sie läuft am Strand in Palau entlang. Hehehe. Dorthin, auf diese vom Klimawandel bedrohten Inseln, habe Baerbock eine „Sonderbeauftragte“ entsandt. Reichelt dazu: „Einen Sonderbeauftragten für Energiesicherheit in Deutschland gibt es jedoch nicht.“ Zusammenhang? Egal.
Es erinnert an Tucker Carlson auf Fox News
Man muss an Alex Jones denken, jenen amerikanischen Blogger, der ein Millionenpublikum mit seinen Hass-Videos erreichte, bis er den Amoklauf auf eine Schule als Falschmeldung der Mainstream-Medien bezeichnete. Doch Reichelts Sendung ist professioneller produziert, er liest seine Tiraden vom Teleprompter, im Vorspann lächelt er selbstsicher in die Kamera – und erinnert an Tucker Carlson auf Fox News. Carlson hat seit sechs Jahren dort erfolgreich eine Sendung, die nach ihm benannt ist. Darin trägt er zwar immer wieder auch Verschwörungstheorien vor, schießt vor allem aber gegen die Demokratische Partei.
Der Tagesspiegel nannte Reichelt einen „Karl-Eduard von Schnitzler 2.0“. In der Tat ist der „Schwarze Kanal“ aus dem DDR-Fernsehen zwischen 1960 bis 1969 ein treffender Vergleich. Auch Schnitzler benutzte Ausschnitte aus dem westdeutschen Fernsehen und gab ihnen durch seine Einordnung erst eine neue Bedeutung. Und es ist auch ein Zeichen, dass Deutschland sich vielleicht in einem ähnlichen Krieg der Informationen befindet wie die USA und dass der Ton rauer wird.
Sicherlich kann sich Reichelt dahinter verstecken, dass er es als Witz meint, wenn er von den „Grünen Khmer“ spricht, von „Twitter-Apparatschiks“ und „Radikal-Esoterikern“. Hehehe. Aber der Humor ist ein verbitterter, ein beißender und er wechselt sich ab mit apokalyptischen Bildern von einer Zukunft unter „grüner Herrschaft“: Reichelt spricht von Hunger, der diesem Land bevorstehe. „Dann gibt es kein Brot mehr in den Bäckereien.“ Er sagt einen Blackout in Deutschland voraus. „Die Versorgung bricht zusammen, und wenn Sie Ihre Kinder nicht mehr füttern können, dann sind Sie zu allem in der Lage.“
„Achtung, Reichelt!“, das ist auch eine Sendung, die mit Ängsten spielt — und manchmal Sätze enthält, bei denen zwar der erste Teil nicht zum zweiten passt, aber die trotzdem eine diffuse Furcht auslösen. Wie bei diesem: „Hunger verwandelt Gesellschaften in kürzester Zeit in einen erbarmungslosen Verteilungs- und Überlebenskampf.“ Häh? Egal.
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