Käthe Kollwitz: Dialog mit dem Urenkel

Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden!“. Wie oft schon hat man diese Zeichnung gesehen – in Ausstellungen, in Büchern. Und doch ist es so, als wolle die Welt es nicht lernen, was Käthe Kollwitz mit dieser Mutter, der schützenden Umarmung ihrer Kinder – oder Enkel – sagen wollte. Dass jeder Krieg die jungen Generationen tötet. Die „Saatfrüchte“ unserer Zivilisation.

Aus diesem und anderen Blättern der berühmten Berliner Bildhauerin und Zeichnerin (1867-1945) ließen deren Nachfahren Bronzen gießen. Die stehen nun oben, im Saal unterm Dach des Berliner Kollwitz-Museums in der Fasanenstraße. Und dicht daneben hat nun, für eine Woche, der Urenkel seine Keramiken auf einfache Podeste gestellt, den Form zur Form-Dialog hergestellt. Er ist jeden Tag, sobald das Museum öffnet, fürs Publikum und dessen Fragen da.

Neben der einer bäuerlichen Schutzmantelmadonna gleichenden Bronze sieht man ein bauchig ausladendes, fast archaisches Gefäß, als klare offene, reduzierte Form neben der runden geschlossenen. Unweit davon sind Schalen, Becher aufgereiht, wie für eine Tee-Zeremonie, zugleich aber wirken die Gebilde so, als führten sie ein stummes, aber intensives Gespräch, untereinander und mit den Plastiken der Kollwitz.

Im Feuer gehärtet

So steht Irdenes neben Metall – gegossene Körperform neben mit auf der Töpferscheibe gedrehten Gebilden, die, in gewisser Weise, auch Körper-Wesen sind: elementar, voluminös, erdverhaftet. Und im Feuer gehärtet. Zarte Schalen für lkebana korrespondieren mit kraftvollen, asymmetrischen Gefäßen. Das Vollendete, das Anziehende dieser Formen besteht, wie auch bei den scheinbar derben Käthe-Kollwitz-Figuren, gerade in ihrer absichtlichen Nicht-Perfektion. Mit Makellosigkeit, mit idealen Maßen hätte die Kollwitz niemals der Trauer, dem Leid, der Mahnung Ausdruck verleihen können. Und wenn Jan Kollwitz’s Gefäße bisweilen so leicht irritierend balancierend, beinahe kippend, dazu so erdfeuerfarben auf ihrer Oberfläche daherkommen, dann ist das auch Ausdruck einer Suche nach der Wahrheit der fünf Sinne. Und nach Spiritualität, als sechsten Sinn

Jan Kollwitz, 1960 geboren in Berlin als Sohn des Kollwitz-Enkels Arne Kollwitz, aufgewachsen in Zehlendorf, fühlt sich der Urgroßmutter nahe, gerade in der Ästhetik des Einfachen, das so schwer zu machen ist. Mit beiden Händen. Aber er hätte es, sagt er, nie mit realen Figuren aufgenommen, schon um nicht dauernd verglichen,an der Ahnin gemessen zu werden. Ihre Figuren kamen aus der Tradition eines sozialkritischen deutschen Realismus und Expressionismus. Seine wesenhaften, reduzierten Gefäße im Stile der erdig-feinen Shigaraki- und Iga-Technik indes aus Fernost, aus Japan.

Der zierliche Töpfer mit der sanften Stimme und in Kimono-Jacke fand seinen Ausdruck in dieser alten Holzbrand-Tradition, verwurzelt im Zen-Buddhismus und der Japanischen Teezeremonie. Er bekam Preise und hat viele Sammler. Seine traditionellen, klaren Formen schlagen nicht zuletzt eine Brücke zur westlichen Moderne. Dabei hat er es nach der Schule erst mal mit der Schauspielerei versucht; er spielte in ZDF-Serien. Aber das war es nicht für ihn; es zog ihn zu einer anderen Art von Kunst. Mit 23, erzählt er, besorgte er sich einen Ausbildungsplatz bei dem Töpfer Horst Kerstan in Kandern. Und später reiste er für längere Zeit nach Japan, wurde Schüler von Altmeister Yutaka Nakamura in Echizen, auch „Stadt der sechs Brennöfen“ genannt.

Flugaschen-Farbigkeit

Bei diesem gestrengen Keramiker ging es um die geistige Einstellung zum Handwerk. Wortkarg waren die Unterweisungen. „Man musst alles mit den Augen lernen“, so Kollwitz. Und Bedingung war absoluter Gehorsam des Schülers. Er könne an seinen Fingern abzählen, was der Meister für würdig befand, im Ofen gebrannt zu werden. Zurück in Deutschland, ließ sich Jan Kollwitz auf seinem Werkstatthof in Cismar (Ostholstein) einen traditionellen Anagamaofen bauen, dafür gewann Kollwitz den derzeit Besten der Zunft, Tatsuo Wantanabe aus Mino.

Der Ofen – in der Berliner Ausstellung zeigen Großfotos das Wunderwerk – ist umringt von Holzstapeln. Das Dach darüber ähnelt dem eines Teehauses. Die beigen, braunen, grünlichen Gefäße aus Ton tragen sanfte Farben und feine abstrakte Strukturen , aber das ist nicht die übliche Glasur. Während des viertägigen Brandes entstehen bei 1300 Grad Celsius. Rauch, Flammen und Glutkohle hinterlassen graue, rote und tiefblaue Färbungen. Diese und der zarte Glanz entstehen allein dadurch, dass die Flugasche auf den rauen Tonoberflächen zur natürlichen „Glasur“ verschmilzt: Erde, Feuer, Wasser, Luft.