Melitta Bentz: Von der sächsischen Hausfrau zur Chefin eines Weltkonzerns

Kaum jemand hat unsere Kaffeekultur so beeinflusst, wie Melitta Bentz. Dabei begann ihre Karriere vor über 100 Jahren aus der Not und führte sie an die Spitze eines Weltkonzerns.

Begann in Sachsen und endete in der Welt der Coffee-Hipster. Ein Barista in Florida brüht Kaffee auf in einem klassischen Filter von Melitta. 
Begann in Sachsen und endete in der Welt der Coffee-Hipster. Ein Barista in Florida brüht Kaffee auf in einem klassischen Filter von Melitta. Melitta

Heute vor 150 Jahren, am 31. Januar 1873, erblickte Amalie Auguste Melitta Liebscher als Tochter eines Verlagsbuchhändlers in Dresden das Licht der Welt. Ihre Großeltern besaßen eine Brauerei im sächsischen Strehla. Melitta heiratete 1897 Johannes Emil Hugo Bentz, Abteilungsleiter eines Dresdener Kaufhauses. Das Paar bekam zwei Söhne und eine Tochter.

Ihr Aufstieg von einer einfachen sächsischen Hausfrau zu einer allseits bekannten Erfinderin begann 35 Jahre später, als sie ihre ebenso praktische wie geniale Idee zum Patent anmeldete. Am 20. Juni 1908 ließ sie beim Kaiserlichen Patentamt unter der Nummer 347895 der Gebrauchsmusterrolle einen Kaffeefilter eintragen, der unseren Alltag revolutionieren sollte.

Löcher in eine alte Konservendose

Wie viele ihrer Zeitgenossinnen war sie von der gängigen Art der Kaffeezubereitung wenig begeistert. Damals wurde Kaffeepulver in heißes Wasser geschüttet und die Mischung anschließend abgesiebt, meist mit einem Stoffbeutel. Das Resultat: Muffiger Geschmack und Kaffeesatz, von Hygiene ganz zu schweigen.

Auf der Suche nach dem perfekten Getränk entdeckte Melitta Bentz nach langem Experimentieren, dass die Löschblätter aus den Schulheften ihrer Söhne sich am besten für ihre Zwecke eigneten. Mit einem Nagel schlug sie kleine Löcher in eine alte Konservendose, legte ein passend zugeschnittenes Löschblatt hinein und ließ den Kaffee hindurchtröpfeln. Bei Kaffeekränzchen mit Freundinnen sorgte ihr wohlschmeckender Kaffee, klar und ohne Satz, für erstes Aufsehen: die Geburtsstunde der Melitta-Filtertüten.

Mit 73 Reichspfennigen Startkapital ließ die pfiffige Hausfrau am 15. Dezember 1908 ein „kaufmännisches Agentur- und Kommissionsgeschäft“ ins Dresdener Handelsregister eintragen. Die erste Herstellung der Papierfilter begann in einem acht Quadratmeter großen Raum ihrer Fünfzimmerwohnung in der Marshallstraße 31. Die Familie montierte und verpackte hier die Filter und organisierte den Vertrieb. Die Söhne Horst und Willy lieferten mit dem Bollerwagen Filterpapier-Kartons aus, Ehemann Hugo präsentierte öffentlich die Handhabung des Kaffeefilters.

Der geschäftliche Aufschwung stellte sich bald ein. Auf Messen sorgten die neuen Filter für Furore, bereits 1910 erhielt ihr 13 Zentimeter hoher „Filterapparat“ auf der internationalen Hygieneausstellung in Dresden goldene und silberne Medaillen. Der Rundfilter ist dreiteilig aufgebaut und besteht aus einem abnehmbaren Wasserverteiler, dem Filterkörper und einem Siebeinsatz, auf den das Filterpapier gelegt wird. Dieses Prinzip wurde bis in die 1970er-Jahre beibehalten.

Nationalsozialistischer Musterbetrieb

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs tauchten erste Probleme auf: Papier wurde knapp, die Regierung sperrte die Kaffee-Einfuhr und Hugo musste zum Kriegseinsatz. Melitta hielt die Familie mit dem Verkauf von Kartons über Wasser. Aber schon kurz nach Kriegsende wuchs die Firma zügig weiter, das Fabrikgelände in Dresden platzte aus allen Nähten, die 80 Beschäftigten arbeiteten in Doppelschichten. Das Unternehmen Melitta lieferte jetzt außer Aluminiumfiltern auch solche aus Porzellan und Steingut, hergestellt von Fremdfirmen. Bis Mitte der 1920er-Jahre wurden bereits 100.000 Filter hergestellt und die bis heute typische rot-grüne Markenverpackung eingeführt.

Auf einer Durchreise entdeckten Melitta und Hugo Bentz in Minden/Westfalen die Gebäude einer stillgelegten Schokoladenfabrik. Am Gründonnerstag 1929 siedelte das Unternehmen mit 55 Mitarbeitern und den vorhandenen Maschinen nach Minden über. Seither liegt hier der Firmen-Hauptsitz.

Königin des Kaffeefilters: Melitta Bentz
Königin des Kaffeefilters: Melitta BentzMelitta

Der erste Generationswechsel folgte bald. 1932 ging die Mehrheit der inzwischen gegründeten Aktiengesellschaft an die Söhne über. Die zweite Unternehmergeneration ließ die Firma weiter expandieren, die Marke eroberte neben dem Haushaltsmarkt mit Kaffeefiltern und Filterpapier auch den gastronomischen Bereich. 1936 kam die bis heute bekannte Filtertüte mit der spitz zulaufenden Form auf den Markt und der Melitta-Schriftzug wurde patentiert. Das Warenzeichen besteht aus einem grünen Haus, umgeben von einem roten Ring und der Aufschrift der ersten Rundfilter.

Im Zweiten Weltkrieg musste die gesamte Fertigung eingestellt werden, stattdessen wurden „kriegswichtige“ Artikel wie Munitionsgurte, Pfannen und Töpfe produziert. Melitta stieg zum „nationalsozialistischen Musterbetrieb“ auf und beschäftigte auch Zwangsarbeiter. Über die Rolle von Horst Bentz im Dritten Reich, der 1980 nach 50 Jahren als Firmenchef ausschied, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Er selber behauptete stets, seine Mitgliedschaft in der SS sei hinter seinem Rücken zustande gekommen. Nur wegen zugesagter Parteispenden sei er 1933 zum „Ehrenmitglied“ ernannt worden. Anweisungen aus der Werkszeitung von 1938 belegen jedoch eindeutig diskriminierende Maßnahmen gegenüber jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

Zudem hielten ihm nach dem Krieg britische Vernehmungsoffiziere vor, dass seine regelmäßigen Beförderungen in der SS vom Anwärter zum Obersturmführer „für Ehrenmitgliedschaften atypisch gewesen seien“. Ein alliiertes Spruchgericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 15.000 Reichsmark. Unter Auflagen – Vermögenssperre und Beschäftigung als Hilfsarbeiter – durfte er nach zwei Jahren aus dem Internierungslager Recklinghausen nach Minden zurückkehren. Die nachfolgende Unternehmergeneration war sich später immerhin der Verantwortung bewusst und beteiligte sich im Jahr 1999 am Zwangsarbeiter-Fonds der deutschen Wirtschaft und zahlte in die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ der Bundesregierung Geld ein.

International agierende Firma

Das unzerstörte Melitta-Werk war nach Kriegsende beschlagnahmt und zwölf Jahre lang von alliierten Truppen als Unterkunft genutzt worden. In dieser Zeit waren Produktionsanlagen behelfsmäßig über ganz Minden ausgelagert. Und bereits damals stellten sich wieder erste Geschäftserfolge ein. 1950 stieg der Umsatz auf 4,7 Millionen D-Mark (rund 2,4 Millionen Euro). Im gleichen Jahr, am 29. Juni, starb Firmengründerin Melitta Bentz. Erste Fortschritte des Wiederaufbaus hatte sie noch miterleben dürfen, den Aufstieg Melittas im Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre nicht mehr.

In der Folge entstanden Auslandsniederlassungen in Frankreich, Spanien und Österreich, in den 1960er-Jahren auch in Brasilien und den USA. Aber die Produktvielfalt erwies sich auf Dauer als unwirtschaftlich und unübersichtlich. Folgerichtig konzentrierte sich das Unternehmen wieder verstärkt aufs Kerngeschäft. Seit 1988 gibt es die Geschäftsfelder Melitta (Kaffee-Genuss), Toppits (Frische und Geschmack), Swirl (Praktische Sauberkeit), Cilia (Tee-Genuss) und Aclimat (Bessere Wohnumwelt).

Heute ist die Melitta Unternehmensgruppe Bentz KG eine international agierende Firma, die vom Urenkel der Gründerin Jero Bentz und dem Manager Volker Stühmeier geführt wird. Der größte Unternehmensbereich stellt immer noch Produkte für die Kaffeezubereitung sowie Staubsauger- und Müllbeutel her. 2021 erwirtschafteten 5900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Umsatz von knapp 1,9 Milliarden Euro.