Kann eine Diktatur überhaupt legitim sein? Ja, so sehr es uns auch ärgert

Unser politischer Essayist Florian Havemann über die Fragen nach der Legimitation von Staaten und Regierungsformen.

Zwei, die sich (nicht) verstehen: Xi Jinping und Wladimir Putin bei einem Treffen in der chinesischen Hauptstadt Peking, Februar 2022.
Zwei, die sich (nicht) verstehen: Xi Jinping und Wladimir Putin bei einem Treffen in der chinesischen Hauptstadt Peking, Februar 2022.www.imago-images.de

Legis, legal, legitim

Kann ein Kriegsherr, ein Warlord, der mit einer verwegenen Truppe von Raufbolden marodierend durch die Gegend zieht, irgendeine Art von Legitimität beanspruchen? Nein. Muss sich die Herrschaft eines Kriegsherrn durch irgendetwas legitimieren? Ja, sie muss es zumindest versuchen. Durch Eroberungen, durch gewonnene Schlachten, durch die Beute, die zu machen ist. Nur dann dauert diese Herrschaft an.

Muss sich diese Herrschaft gegenüber den von ihr Unterworfenen und dann Beherrschten legitimieren? Erst einmal nicht. Auf Dauer schon. Die, die uns beherrschen, müssen es nicht aussprechen, aber wir verstehen sie auch dann, wenn sie sich in finsteres Schweigen hüllen: Wir sind raue Gesellen, doch die andern sind auch nicht besser, also habt ihr was davon, wenn wir bleiben. Wir schützen uns, aber wir schützen damit auch euch. Und mit der Zeit kennen wir uns dann. Erst einmal die Herrschaft in einer ganz rohen Form. Die Macht kommt aus den Gewehrläufen, sie trieft auch blutig vom Säbel herab, die Macht basiert auf dem Polizeiknüppel, aber er schlägt nicht immer gleich zu. Sie werden milder mit der Zeit, sie müssen sich nur sicher sein, dass wir bereit sind, sie zu ertragen. Auf Dauer.

Infinito – die Unendlichkeit, sie ist für Menschen nicht zu erreichen, auch mit Gewalt nicht, auch mit Gottes Hilfe nicht. Nichts bleibt für immer statisch, aber Status und Staat gehören zusammen, auch in der Definition des Staates:

Gesamtheit der Institutionen, deren Zusammenwirken das dauerhafte und geordnete Zusammenleben der in einem bestimmten abgegrenzten Territorium lebenden Menschen gewährleisten soll.

Ich sag's ja: dauerhaft, auf Dauer.

Die 40 Jahre DDR, weltgeschichtlich natürlich ein Klacks, aber immerhin: die Nazizeit hat zwölf Jahre gedauert, die Weimarer Republik auch nicht viel länger, 14 Jahre. Das Kaiserreich von 1871 bis zur Ausrufung der Republik 1918, und das macht nur sieben Jahre mehr als die 40 Jahre der DDR. Ein Aufstand, den vom 17. Juni 1953, der niedergeschlagen werden konnte, die friedliche Revolution von 1989 dann schon nicht mehr. Aber auch die westdeutsche Bundesrepublik hatte ihre Rebellion, die von ´68. Und im wiedervereinigten Deutschland braut sich gerade etwas zusammen, von dem man nicht weiß, wie hoch es kochen wird.

Kann denn eine Diktatur überhaupt legitim sein? Aber ja, so sehr es uns ärgern mag. Auch die diktatorisch regierte DDR besaß eine Legitimität, wenn auch allerdings nicht die in der Staatspropaganda behauptete. Von wegen Sozialismus usw., sondern einfach nur die: Es machen das besser deutsche Kommunisten als die Offiziere der Roten Armee, die uns besiegt hat, nachdem die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion angegriffen hatte.

Aber die DDR war doch ein Unrechtsstaat – für die Betrachtung von außen und im Nachhinein mag es eine Kategorie sein. Für die Menschen, die in einem solchen Staat leben, sind es einfach Gesetze, an die sie sich zu halten haben. Im Alltag nicht anders als für die Bürger eines Rechtsstaates. Auch die DDR hatte sich als Staat an die Verpflichtung zu halten, für das Wohlleben ihrer Bürger zu sorgen. Die Mangelwirtschaft löste Groll aus, bei vielen den Gedanken daran, das Land zu verlassen. Die fehlende Freiheit, dem Ärger endlich Luft zu machen, ihn auszusprechen, alles das machte viele wütend. Aber die DDR verlor erst dann ihrer Legitimation, als Gorbatschow klarmachte: Es werden keine Sowjetsoldaten mehr kommen, kommt es hart auf hart.

Stand, Zustand, Stellung

Worüber wir hier reden, worauf wir uns verständigen wollen, das ist jetzt nicht der schöne Gesellschaftsvertrag freier Individuen von Jean-Jacques, vom philosophischen Monsieur Rousseau; es ist ja auch eher ein Staatsvertrag, ein Vertrag, den der Staat mit seinem Staatsvolk schließt, ohne aber, dass er je feierlich unterzeichnet werden würde – nicht, dass sich jemand auf dieses stillschweigende Übereinkommen berufen könnte.

Paragraph 1 dieses niemals paraphrasierten Staatsvertrages: Er wird auf Dauer geschlossen. Der Zustand dauert an, ihr könnt euch auf dem Stand der Dinge einrichten. Aus Unterworfenen werden Untertanen, aus Unrecht wird Gewohnheitsrecht. Ihr gewöhnt euch dran, und eine andere Legitimation braucht das Gesetz erst einmal nicht als die, dass es gelte. Legitimation, legis, lex – lateinisch: das Gesetz. So einfach ist das. Es ist die Grundlage jeden Staates, und umgekehrt heißt es: Ein Staat, der seine Dauer nicht mehr garantieren kann, verliert damit auch seine Legitimation.

Und dann hilft auch die den Mächtigen freundliche Propaganda der Kirche nicht mehr, dass die Herrschaft der Herrschaften Gott gegeben sei, das Gottesgnadentum verlängert die Macht der Begnadeten nicht länger; und auch eine Partei, die sich ihre führende Rolle in die Verfassung geschrieben hat, muss abdanken. Die bewaffnete Staatsmacht erodiert, die Herrschenden können sich ihrer Polizei nicht mehr sicher sein, auch die Soldaten widersetzen sich den Befehlen.

Schon im Absolutismus, in dem sich alle Macht in den Händen des Monarchen konzentriert, schleicht sich ein Fehler ein. Oder man könnte auch sagen: Der Absolutismus ist dieser Fehler – von der reinen Staatsidee aus gesehen, die sich in diesem Paragraphen 1 zusammenfassen ließe. Dem der Dauer. In der Epoche des Absolutismus kommt zu dem immer noch gültigen Staatsvertrag ein Paragraph 2 dazu: Der Staat hat dafür zu sorgen, dass es den Menschen, die er beherrscht, gut geht. Möglichst bald besser als zuvor, niemals schlechter.

Wenn der Räuberhauptmann mit seinen Kumpanen zusammensitzt, dann muss der Braten auf den Tisch. Wein, Bier, irgendein berauschendes Gesöff. Und das war für die adligen Kriegsherren nicht anders, für die Fürsten und Könige an ihren Höfen. Aber dann waren es einfach zu viele, die so ein armer König mit Pfründen versorgen, in seinen Schlössern durchfüttern und bespaßen muss, die er zu unterhalten hat, um sie dadurch davon abzuhalten, sich gegen ihn zu verschwören. Die Ansprüche dieser Herrschaften und Damen sind hoch, sie müssen befriedigt werden. Und mit einem Mal wird der König dafür verantwortlich, dass es seinem Land gut geht, wirtschaftlich.

Dem absoluten Herrscher kann das nicht mehr egal sein, er ist vom dritten Stand abhängig geworden, von denen, die den Luxus seiner Kumpane erst möglich machen. Von den Handwerkern und Unternehmern, die ihn produzieren, den Händlern, die ihn ins Land holen, den Bauern, die die königliche Tafel mit Speis und Trank versorgen.

Der Kampf gegen den Sozialstaat

Es ist den Nachfolgern der Könige und Fürsten nicht gelungen, mit ihnen auch diesen ärgerlichen Paragraphen 2 loszuwerden, der den Staat, der doch lieber seine Untertanen in die Pflicht nehmen möchte, seinen Untertanen gegenüber selbst zu etwas verpflichtet. Zumal diese Verpflichtung nicht leicht zu erfüllen ist. Naturkatastrophen, die nächste Ernte verhagelt, Dürren, Überschwemmungen, die vier Hauptfeine des Sozialismus noch: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Kriege, die man glaubt, führen zu müssen, und die dann zu viel Geld kosten, nur wenige Kriegsgewinnler reich, das Land aber arm machen. Aufstände in den Kolonien, die wir ausbeuten, und dann tun sich die ölproduzierenden Länder zusammen und versuchen sich in einem Embargo, aus bloß politischen Gründen. Spekulationsblasen, die immer wieder aufblubbern, und eh ein Staat sie bemerken kann, ist es zu spät. Firmenzusammenbrüche, und manche dieser Firmen sind so groß, dass einem Staat nichts anderes bleibt, als sie zu retten.

Die, die uns beherrschen, taumeln von einer Krise in die nächste, und würden sich doch gerne auch mal zurücklehnen und einfach nur mit sich und der Welt zufrieden sein. Die Beherrschten nehmen einiges hin, was der Staat sich ausdenkt und unternimmt, um seine Verpflichtung einzulösen, solange sie den Eindruck haben, er versuche es, er bemühe sich drum. Es muss schon einiges schieflaufen und dies auf eine längere Dauer hin, bis wir aufbegehren, bis ein Staat in den Augen seiner Untertanen seine Legitimation verliert. Nämlich die, sie zu beherrschen. Ein Staat ist legitim dadurch, dass er Gesetze erlassen kann, an die sich seine Untertanen halten, jedenfalls in der Mehrzahl. Tun sie es nicht mehr, verliert er seine Legitimität.

Florian Havemann
Florian HavemannUwe Hauth

Die frühen Liberalen, die Manchester-Kapitalisten aller sich industrialisierenden Länder, hätten diesen Paragraphen 2 des Staatsvertrages sicher gerne abgeschafft. Ihr Aufstieg durch die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals basierte auf dem Elend und produzierte noch mehr Elend. Auch die neuen, die Neo-Liberalen, kämpften und kämpfen noch immer gegen den Sozialstaat an, von dem sie behaupten, er erdrossele die Wirtschaft, behindere die Unternehmungen, von denen doch unser aller Wohlstand abhängt. Besonders natürlich auch ihr eigener. Und irgendwie, so ihr falsches Versprechen, trickle down, tröpfelt, rieselt ihr Wohlstand nach unten durch.

Ein Nachtwächterstaat, der aufpasst, dass die, die ganz früh morgens in der Fabrik ihr Tagwerk verrichten müssen, die Nachtruhe doch auch zur Regeneration ihrer Arbeitskraft brauchen, hätte den Liberalen ausgereicht. Ein Staat, nach dessen Truppen sie rufen können, wenn die Misere der Elenden so unerträglich wird, dass sie dagegen aufbegehren, rebellieren.

Aber es gab schon soviel, zu viel an Staat, als die kapitalistischen Ausbeuter die historische Bühne betraten. Sie kamen dann doch nicht damit durch. Sie wollten ja selber auch nicht regieren, denn soviel verdient man ja dabei nicht, wie sie es gewohnt waren. Der preußische Landjunker Otto von Bismarck setzte sich für die Renten-, die Sozialversicherung der unteren Klassen ein. Der neo-liberalen Initiative Neue Marktwirtschaft, finanziert vom Kapital, von den Bossen der chemischen Industrie, gelang es doch nicht, den Begriff des Sozialen umzudeuten: Sozial ist, was Arbeitskräfte schafft. Die Deutschen, so ergaben es Umfragen nach dem mehrere Jahre dauernden Angriff auf den Sozialstaat, wollten von ihm dann doch nicht lassen.

Eine Regierung, die aus freien und allgemeinen Wahlen hervorgegangen ist, besitzt einen hohen Grad an Legitimation. Es ging alles gesetzeskonform vonstatten. Es gab keinen Wahlbetrug. Die Legitimation rührt vom Verfahren her, vom Wahlverfahren selber. Die von einer demokratisch gewählten Regierung eingebrachten, von der demokratisch gewählten Legislative des Parlamentes beschlossenen Gesetze können die volle Legitimität beanspruchen, auch dann, wenn sie widersinnig, idiotisch und lebensfremd sind. Selbst ein Herr Hitler brauchte am Anfang noch ein vom Reichstag verabschiedetes Ermächtigungsgesetz für die von ihm angestrebte Diktatur.

Erkennen die Verlierer bei einer demokratischen Wahl das Wahlergebnis nicht als legitim an, ist das ganze Staatswesen in seiner Legitimität infrage gestellt. Wir haben es unlängst in den USA beobachten können. Die politische Krise dauert an, die Verfassung der Vereinigten Staaten erscheint als dysfunktional.

Vertrauen auf die Legitimität demokratischer Verfahren

Demokraten wundern sich natürlich, wenn Umfragen ergeben, es zweifele eine wachsende Minderheit an der Demokratie. Aktuell sind wir in Deutschland bei ungefähr 30 Prozent, und noch alarmierender: Auch der Anteil derer wächst, die die Demokratie ablehnen. Demokraten vertrauen auf die Legitimität demokratischer Verfahren, es will ihnen gar nicht in den Kopf, dass auch die Legitimität der demokratischen Verfahren noch einer Legitimation bedarf. Ein politisches System muss liefern, Ergebnisse, es muss die jeweils anstehenden Probleme lösen können. Gelingt dies nicht, dann ist seine Legitimität in Frage gestellt, dann gerät es in eine Legitimationskrise. Dies gilt auch für die Demokratie, die als politisches System durch ihre Verfahren so stark legitimiert ist. Für ein System, in dem eine Minderheit von 30 Prozent nicht einfach zu ignorieren und mit polizeilichen Mitteln auszuschalten ist.

Das jeweilige politische System wird erst in einem 3. Paragraphen des Staatsvertrages geregelt, der zwar nirgendwo niedergeschrieben ist, der dennoch aber gilt, des Vertrages, den ein Staat und seine Regierung mit der von ihnen regierten und beherrschten Bevölkerung abgeschlossen hat. Paragraph 1: Dauer. Paragraph 2: Wohlergehen. Der Paragraph 3 kommt dann erst dazu, er betrifft nur das Verfahren, wie ein Staatswesen die beiden ersten Paragraphen garantiert.

Der Paragraph 1 ist die Grundlage für jeden Staat, der Paragraph 2 ist in der Epoche der absoluten Monarchien dazugekommen, er gehört seitdem zur Grundlage jedes modernen Staates. Der notwendig hinzukommende Paragraph 3 ist von den jeweiligen Umständen abhängig, vom wechselnden Geschick des Weltgeschehens, von der Geopolitik, der wirtschaftlichen Entwicklung, den Technologien, der Organisationsfähigkeit. Was in diesem Paragraph 3 geregelt wird, ist auch in der Moderne starken Veränderungen ausgesetzt, die Stabilität von Staaten und ihren politischen Systemen ist eine Illusion. Und dies gilt auch für demokratische Staaten, die zu illiberalen Demokratien werden können, zu Pro-Forma-Demokratien, bei der das große Geld hinter einer demokratischen Fassade regiert; sie können von Oligarchen beherrscht werden, sich in Autokratien verwandeln, in denen dann zwar immer noch Wahlen abgehalten werden, bei denen jedoch das Ergebnis schon vorher feststeht.

Ein bisschen Weltgeschichte

Lothar Bisky, der Vorsitzende der aus der diktatorisch regierenden Staatspartei SED hervorgegangenen Partei des demokratischen Sozialismus, hat mir mal davon erzählt, wie er, von der Kommunistischen Partei Chinas eingeladen, in Peking mit höheren Funktionären des ZK geredet und den chinesischen Genossen zu erklären versucht hat, dass sich ihr Sozialismus demokratisieren müsse. Es wurde ihm gesagt: Demokratie, das mag was für kleinere Länder sein, aber wir in China machen das seit 4000 Jahren auf andere Weise, wir haben einfach zu viele Menschen zu regieren.

Folgen wir Montesquieu, dann können kleine Staaten demokratisch regiert werden und also Republiken sein, mittelgroße Länder wären am besten eine Monarchie. Die ganz großen Staaten jedoch könnten nur despotisch beherrscht werden – dieser Gedanke findet sich in seinem Buch „Vom Geist der Gesetze“, das im Jahre 1748 in Genf erschienen ist; und das ist jetzt solange her, dass wir diesem, zu seiner Zeit und darüber hinaus so einflussreichen Werk gar nicht mehr folgen, sondern zu ihm nur zurückgehen können, für einen Moment des Innehaltens. Die politische Wissenschaft, die Staatstheorie, wurde von Montesquieu mitbegründet. Sie steckte noch sehr in ihren Anfängen, die politischen Verhältnisse haben sich seit seiner Zeit stark verändert, weshalb es kein Wunder sein dürfte, wenn einige seiner Aussagen heute so nicht mehr zutreffen. Auch mittelgroße Länder sind zu Republiken geworden, aber Montesquieu aufgreifend, ließe sich vielleicht sagen, dass diese Länder kleiner geworden sind: kleiner, weil sehr viel stärker durchorganisiert, bürokratischer. Und Länder werden ja auch dadurch kleiner, dass wir sie soviel schneller durchqueren können, auf Eisenbahnschienen, auf Straßen und Autobahnen, und durch die Lüfte. Und dann kommt dazu, dass wir bei einem Flug Berlin–München mehr Zeit mit dem Einchecken und wieder Auschecken verbringen, mit der langwierigen Anfahrt zum Flughafen als im Flugzeug selber. Die dialektischen Materialisten würden hier vom Stand der Produktivkräfte sprechen, die dann ein einstmals recht großes Land zu einem kleinen machen, das demokratisch regiert werden kann.

Doch schon Montesquieu ging es in seinen Betrachtungen ja nicht allein um die schiere Größe an Quadratkilometern. Es ging ihm auch um die Geographie, das Klima, um die Wirtschaft und die Sozialstrukturen, und damit dann auch um die jeweiligen Sitten und Gebräuche, die Religion; und wir könnten und sollten dem dann die Ideologien hinzufügen, die es in einem Staat gibt, auch als widerstreitende Kräfte. Wir, die wir vom Marxismus herkommen, würden im Konzept von Montesquieu einen materialistischen Ansatz erkennen, einen Ansatz, der nicht von dem ausgeht, was Menschen so wollen oder gerne für ein Staatswesen hätten, für sich bevorzugen würden, sondern davon, was unter gegebenen Umständen überhaupt möglich ist. Unabhängig davon, ob es dem Einzelnen passt und auch Teilen einer Gesellschaft vorteilhaft erschiene.

Eine Legitimationskrise

Gehen wir die großen Länder durch: China, ohne Frage eine Despotie. Russland, ein Staat, in dem zwar Wahlen stattfinden, aber autoritär regiert, immer despotischer. Indien, die größte Demokratie der Welt, aber vielleicht eine, die wegen des immer noch bestehenden Kastensystems so demokratisch dann doch nicht ist. Brasilien, auch so eine Demokratie, die jedenfalls nicht unseren deutschen Maßstäben und Idealvorstellungen von einer Demokratie entspricht: immer schon von einer Oligarchie beherrscht. Immer wieder auch mal eine ganz offene Diktatur, Militärputsche, heute von einem Verrückten autoritär regiert, ein Staat, der in der Korruption versinkt.

Bleiben die USA, die Vereinigten Staaten von Amerika, über deren Demokratie ich mich gar nicht despektierlich äußern muss, so sehr dürfte allen spätestens seit Donald Trump klar sein, dass sich das politische System dort in einer tiefen Krise befindet, von der gar nicht abzusehen ist, was dabei herauskommen wird. Der Befund mag so ganz eindeutig nicht sein, aber die These von Montesquieu, große Staaten könnten nicht demokratisch regiert werden, sondern nur despotisch, einfach als vollkommen veraltet wegzuwischen, damit würden wir es uns doch etwas zu leicht machen.

Die von den westlichen Siegermächten den Westdeutschen aufgezwungene Demokratie hat durch das Wirtschaftswunder an Legitimität gewonnen, durch den wachsenden Wohlstand, den sozialen Aufstieg der unteren Klassen und Schichten, durch das Versprechen, es würde ihren Kindern besser gehen als ihnen. Die DDR-Bevölkerung ist der Bundesrepublik Deutschland beigetreten, als diese den wachsenden Wohlstand für alle schon nicht mehr garantieren konnte. Eine Enttäuschung.

Menschen, die sich durch die immer noch aufrecht erhaltene Fassade haben täuschen lassen. Im Osten ist der Anteil derjenigen, die die Demokratie in Zweifel ziehen, sie ablehnen, höher als im Westen. Aber auch dort verliert die Demokratie bei denjenigen an Anhängern, die einen sozialen Abstieg hinter sich haben oder ihn unmittelbar vor sich sehen, von ihm bedroht werden. Die Folge: eine Legitimationskrise. Und die nächste droht schon, viele Jüngere haben sie bereits erfasst: Was, wenn sich dieser demokratische Staat als unfähig erweist, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden, sie wenigstens in einen Klimawandel umzuwandeln, mit dem wir leben, auf den wir uns einstellen können, was, wenn sich das Versprechen der Grünen, wir könnten bei diesem Wandel unseren Wohlstand behalten, als leer erweist?

Menschen, denen man etwas wegnehmen will, von dem sie sicher meinen, es gehöre ihnen, sie hätten ein Anrecht drauf, reagieren ungehalten, wütend, zornig. Und sei es, dass das, woran sie sich klammern, ihnen und ihresgleichen nur historisch eine Sekunde gehört hat, die vielen Jahrhunderte, Jahrtausende davor niemals. Sei es, dass sie mal eben auf ein Wochenende zum Biertrinken nach Kopenhagen fliegen können. Auf Teneriffa, Mallorca Urlaub machen, auf einem Grundstück im Grünen wohnen, mit einem Privatauto zur Arbeit fahren. Und dann kommt so ein Schnösel von Präsident und erhöht den Benzinpreis, um das Klima zu retten. Da ziehen sie dann ihre gelben Warnwesten an. Noch nur zur Warnung.

Was, wenn für sie die Billigflüge zu teuer werden, die Heizkosten so sehr steigen, dass sie ihre Bude nicht mehr warm bekommen? Wenn von ihrem Geld Panzer bezahlt werden, die doch ihre Freiheit gar nicht verteidigen, ihre Werte nicht? Wenn die Reichen immer reicher, sie aber ärmer werden?