„Mit Rechten reden“ heißt der Titel eines aktuellen Bestsellers, der zwar kein Aufruf, aber doch ein Leitfaden für ein solches Reden sein möchte. Appellieren muss man derzeit ohnehin nicht, denn es wird auf unzähligen Kanälen und Plattformen ausgiebig mit und über „Rechte“ geredet.
Einen ehrlichen Versuch lieferte unlängst der britische Journalist Gary Younge, der für die BBC durch die USA reiste, um Trumps Amerika auf die Spur zu kommen. Dabei traf er auch Richard Spencer, den Wortführer der sogenannten Alt-Right-Bewegung, den man hierzulande vielleicht mit Götz Kubitschek und seiner Ehefrau Ellen Kositza vergleichen kann.
Bereits vor der Ausstrahlung der Sendung wurde ein Clip des Gesprächs zwischen Younge und Spencer vielfach auf Twitter und Facebook geteilt: So entlarvt man Richard Spencer, hieß es, so redet man mit Rechten.
In dem dreieinhalbminütigen Clip behauptet Spencer, dass ein demografischer Kampf der Rassen herrsche, dass die als Sklaven verschleppten Afrikaner von der Vorherrschaft der Weißen und der Sklaverei profitiert haben und dass Younge, der in Hertfordshire geboren wurde und dessen Eltern aus Barbados stammen, nicht in seiner wirklichen Heimat lebe: „You’ll never be an Englishman.“
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Was gibt es an solch einem Gedankengut zu entlarven?
An dieser Stelle brach Younge das Interview ab. Er erklärte Spencer, dass er auf der Suche nach jemandem gewesen sei, der ein intellektuelles Gewicht in die Diskussion bringen und ihm die Bewegung erklären könnte, doch Spencer sei bloß ein lächerlicher Mann. Das zu sehen war selbstverständlich eine Genugtuung.
Younge war anzumerken, wie aufgebracht er war, aber er hielt der Konfrontation stand. Dennoch ist zu fragen, was für ein intellektuelles Gewicht hinter der rassistischen Haltung von jemanden wie Spencer überhaupt zu erwarten ist. Was gibt es nach dem Jahrhundert des Rassenwahns, des Massenmordes und der Plünderei überhaupt noch an solch einem Gedankengut zu entlarven?
Der Fehlschluss, die Paranoia vor dem Verlust der eigenen Nation könne durch Zuhören und Reden ausgehebelt werden, ist zu einem Mantra von Vertretern der Mehrheitsgesellschaft geworden, die ihre demokratische Selbstachtung nicht in erster Linie durch Menschen wie Spencer und Kubitschek angegriffen fühlen, sondern durch jene, die sich einem Gespräch mit ihnen verweigern.
Was für ein erstaunlicher Impuls, wie jüngst anlässlich des Eklats auf der Frankfurter Buchmesse, sich zuerst schützend vor die Redefreiheit von Rechten zu stellen, anstatt die Solidarität mit jenen zu formulieren, die von den menschenverachtenden Aussagen betroffen sind.
Ein Ohr für jeden, warum nicht?
Erstaunlich auch, wie provinziell plötzlich eine internationale Veranstaltung wirkt, wenn sie rechtsnationalen Rednern eine Plattform bietet und dabei in Kauf nimmt, dass große Schriftsteller wie Ngugi wa Thiong’o in einer ähnlichen Situation bei der Göteborger Buchmesse mit einer Absage reagieren. Da wird klar, wo die Identifikation liegt.
Nicht zufällig sind Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn, die Autoren des Bestsellers „Mit Rechten reden“ (Klett-Cotta; 183 S.; 14 Euro) weiße, gut ausgebildete deutsche Männer. Sicherlich haben sie ihren Leitfaden mit den besten Absichten geschrieben und ich stimme ihnen zu, selbstverständlich sollten sie mit Rechten reden, schließlich sind es ihre Arbeitskollegen, Familienmitglieder und Nachbarn.
Der Wunsch, Menschen zu verstehen, zu denen man eine persönliche Verbindung hat, ist nur allzu verständlich, insbesondere wenn sie sich offensichtlich einem Irrtum hingegeben haben, etwa dem, dass ihre Ressentiments valide Meinungen seien.
Reden mit Menschen, die sich vor einem Schreckgespenst namens Umvolkung fürchten, während der echte Schrecken eines wachsenden Rassismus jeden Tag zu spüren und zu beobachten ist. Ein Ohr für jeden, warum nicht? Die Frage ist jedoch, ob der Journalist Gary Younge erfolgreicher gewesen wäre, hätte er sich nur an den Leitfaden gehalten.
Bei „An einem Tisch“ treffen wir Menschen, die häufig nur als Opfer oder als Bedrohung wahrgenommen werden
Sind sich die Autoren etwa nicht darüber bewusst, dass sie mit ihrem Buch jene, die von rechter Ideologie angegriffen werden, aus dem Diskurs ausschließen?
Es geht ohnehin nicht um Empathie, sondern um Ernsthaftigkeit: Es bedarf kein Mitgefühl mit Flüchtenden und Asylsuchenden, Rückgrat und Vernunft reichen völlig aus, um zu verstehen, dass Menschenwürde nicht an nationale Grenzen gebunden ist. Ebenso wenig müssen wir Menschen, die sich einem nationalen Urvolk zugehörig und als solches bedroht wähnen, mit Verständnis gegenübertreten.
Es reicht, sie ernst zu nehmen in ihrem Rassismus und ihrer Gleichgültigkeit anderen gegenüber. Angesichts des Verlusts der Heimat von Millionen, die, wie die Lyrikerin Jila Mossaed sagte, gezwungen waren, ihre Wiege aufzugeben, um in der Fremde ein Grab zu finden, ist ihre blinde Selbstbezogenheit geradezu pervers.
Also ja, redet allemal mit euren Rechten, redet mit ihnen am Stammtisch, in der Mensa und in der Kantine. Für den gesellschaftlichen Diskurs sind solche Gespräche sicherlich einen Gewinn, weil Menschen auf Menschen treffen. Als Teil des Teams von „An einem Tisch“, einem Projekt, das Gäste zu einem Abendessen einlädt, die Erfahrung mit Migration, Flucht und Exil gemacht haben, weiß ich von den Vorteilen solcher Gespräche.
Bei „An einem Tisch“ treffen wir Menschen, die häufig nur als Opfer oder als Bedrohung wahrgenommen werden, sehen in Gesichter, hören Stimmen, lernen neue Sichtweisen und uns fremde Erfahrungen kennen. Es geht dem Projekt nicht um gefällige Erfolgsgeschichten, die Gäste sind manchmal sperrig, traurig oder unversöhnlich. Kürzlich erst fand „Tabletalk Scandinavia“, unsere vom Goethe-Institut Schweden unterstützten Abende in Malmö und Kopenhagen, statt.
Welcher Gewinn liegt in der Begegnung mit rechten Sprachrohren wie Spencer und Kubitschek?
Nachdem alle Teller und Gläser leer waren und Jila Mossaed ein paar ihrer Gedichte vorgetragen hatte, fragte die Autorin Lesley-Ann Brown, weshalb man sich nicht öfter mit fremden Menschen an einen Tisch setze. Es war bereits Mitternacht, aber die Gäste hatten alle das Gefühl, der Abend fange erst an.
Das ist das Wesen eines gelungenen Austauschs, man blickt am Ende neugieriger auf sein Gegenüber. Dank dieses Projekts kenne ich Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind und in Europa ein neues Leben aufbauen, die in Eritrea Militärdienst geleistet haben oder wegen ihrer politischen Meinung im iranischen Gefängnis saßen. Wie wertvoll solche Begegnungen sind, was für ein Gewinn!
Doch welcher Gewinn liegt in der Begegnung mit rechten Sprachrohren wie Spencer und Kubitschek, die ein Geschäft aus ihrer Ideologie gemacht haben, die alle Antworten bereits gefunden zu haben scheinen, die nicht hören, sondern Recht haben wollen? Was tragen sie auf Bühnen und Buchmessen, in Radiostudios und Fernsehtalkshows bei, das einen Wert für unser demokratisches Selbstverständnis hätte?
Der Glaube, man müsse als aufrechter Demokrat all das Gift, das sie uns verabreichen, schlucken, leuchtet mir nur als fehlgeleitetes Schuldbewusstsein ein. Man möchte ihre Ideologie nicht für sich annehmen, sondern sich distanzieren.
Besser man besudelt sich nicht
Aber Schuld und Scham wachsen auf diesem Boden – besser, man besudelt sich nicht und versucht, die Demokratie zu stärken. Das geschieht nicht im Gespräch mit Rechten, sondern im Zusammenleben mit allen anderen. Mit Kubitschek und Spencer gibt es kein Weiterkommen, sie müssen nicht mehr erreicht werden.
Anstelle eines Dialogs mit ihnen benötigen wir einen vielstimmigen Diskurs, der uns andere nicht mehr als anders wahrnimmt, weil jeder, der versucht, ein sinnvolles Leben zu führen, einem näher sein sollte als rechtsnationale Agitatoren. Denn wir, diese anderen, verschwinden nicht einfach, wenn ihr mit Rechten redet. Wir hören zu, wir sehen zu, und wir haben unsere eigene Stimme.
Nun habe ich leicht reden, ich habe, so wie Gary Younge vermutlich auch, weder tote noch lebende Nazis im Familien- und Bekanntenkreis. Meine Wiege ist der Iran, mein Grab wird vermutlich in Europa liegen und zwischendrin werde ich mich mit so vielen Menschen wie möglich an einen Tisch setzen. Doch mein rechter Platz wird dabei frei bleiben.