Matondo Castlo: „Meine Reputation wurde mit Füßen getreten“
Nach einem Bild-Bericht verlor Matondo Castlo seine Stelle als Kika-Moderator. Auch eine Gedenkdemo für Oury Jalloh spielte dabei eine Rolle. Hier spricht Castlo erstmals öffentlich.

Es wirkte wie eine Aktion mit Kalkül: In der Bild-Zeitung wurde im Spätsommer 2022 ein Text veröffentlicht, der den damaligen „Baumhaus“-Moderator des öffentlich-rechtlichen Kinderkanals Matondo Castlo (29) als Teilnehmer eines angeblich „israelfeindlichen“ Jugend-Festivals im palästinensischen Farkha zeigte und ihn als, zumindest potenziellen, Gewalttäter verurteilte. Die Bild skandalisierte, dass Castlo, an der Seite „radikaler Steinewerfer“ und vermeintlicher Antisemiten, gegen Siedlungsbau im Westjordanland demonstriert habe. Das Farkha-Festival habe zudem Terrorismus verherrlicht.
Nach Auffassung der Vereinten Nationen verstößt Israels Siedlungspolitik gegen geltendes Völkerrecht. Dass auf dem Farkha-Festival oftmals auch jüdische Israelis vor Ort sind, ließ die Bild unerwähnt. Aus Deutschland waren unter anderem die Akademiker:innen Kerem Schamberger und Bafta Sarbo sowie der Vorsitzende des Vereins Jüdische Stimme, Wieland Hoban, angereist.
In einem entsprechenden Begleitvideo rief die Bild-Zeitung eigens auch den Fall der deutsch-palästinensischen Journalistin und Ärztin Nemi El-Hassan in Erinnerung, die durch eine ähnlich tendenziöse Springer-Kampagne im Jahr 2021 in die Nähe von Antisemitismus gerückt worden war und daraufhin, kurz vor ihrer geplanten Anstellung als WDR-Moderatorin bei „Quarks“, ihren Job verlor.
Matondo Castlo selbst äußerte sich damals auf Instagram: Seine Reise zum Farkha-Festival sei „nicht politisch motiviert“ gewesen. Kurz nach Veröffentlichung des Berichts pausierte der Kika die Zusammenarbeit mit Castlo. Ende letzten Jahres wurde diese dann endgültig eingestellt. Mehrere deutsche Medien berichteten. Der Kinderkanal nannte damals keine Gründe für die Beendigung der Zusammenarbeit.
Nachfragen der Berliner Zeitung zu den Gesprächen mit Castlo im Vorfeld der Entscheidung ließ der Sender unbeantwortet. In einem Statement hieß es: „Wir haben uns nach gewissenhafter Prüfung und Abwägung gegen eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Matondo Castlo entschieden.“ Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen könne man keine weiteren Informationen abgeben. Es sei dem Kika zudem wichtig zu betonen, dass er „selbstverständlich“ für Vielfalt, Respekt oder Toleranz einstehe.
Matondo Castlo, letzten Sommer veröffentlichte die Bild-Zeitung einen Bericht, der zeigte, dass Sie an einem Festival und einer Demo im palästinensischen Westjordanland teilgenommen haben. Der Kinderkanal pausierte und beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Ihnen. Was denken Sie heute über Ihren Fall?
Ich habe gemischte Gefühle. Ein Teil von mir denkt: Das soll’s wohl nicht gewesen sein, jetzt habe ich eben mehr Zeit für meine eigenen Jugendprojekte. Mit denen toure ich quer durch die Republik, in Grundschulen, Oberschulen, auch in Gefängnissen. Ein anderer Teil ist sehr traurig, wie das alles abgelaufen ist. Durch die Moderation habe ich gemerkt, wie sehr mir die Arbeit mit jüngeren Kindern liegt. Ich bin auch auf neue Ideen gekommen.
Auf den Bild-Bericht veröffentlichten Sie damals ein Statement auf Instagram, in dem Sie Ihre Teilnahme am Farkha-Festival als Fehler bezeichneten. Sehen Sie das immer noch so?
Ich denke, es war naiv und ein Stück weit unüberlegt zu denken, dass ich als Kika-Moderator, als Person eines öffentlich-rechtlichen Senders, in so einer Situation dabei sein kann, ohne dass sich jemand daran stören wird. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen, dass ich die Gespräche mit den Menschen vor Ort sehr lehrreich und wichtig fand.

Haben Sie selbst mit demonstriert?
Ja, ich war auf dieser Demo, das war nahe dem Ort Beit Dajan. Ich habe aber nichts geschmissen, ich habe noch nicht einmal etwas gerufen. Was davor passiert ist, interessiert heute ja niemanden mehr. Dass ich zum Beispiel in der prallen Sonne mit Kindern vor Ort versucht habe, eine Schule zu renovieren. Dass ich Spielzeuge und Medikamente mitgebracht oder versucht habe, mit den wenigen Mitteln, die es dort gab, mit ihnen Musik zu machen.
Selbst Bundestagsabgeordnete äußerten sich zu Ihrem Fall. Philip Amthor kritisierte, Sie nähmen offenbar keinen Anstoß, wenn „Kinder für Israelhass instrumentalisiert“ würden. Hat die Vehemenz dieser Reaktionen auf den Bild-Bericht Sie überrascht?
Absolut. Die Bild-Zeitung ging aber auch sehr raffiniert vor. Die Schlagzeile lautete ja: „Kika-Moderator demonstriert mit Israel-Hassern“. Dieses Titelbild, das mich jubelnd und lächelnd mit arabischen Jugendlichen zeigte, war völlig aus dem Kontext gerissen. Es stammte nicht von dem „Weg zur Demo“. Das war eine völlig andere Situation. Es stammte übrigens auch gar nicht von meinem Instagram-Account, wie dort behauptet wurde. Das war alles sehr konstruiert.
Der FDP-Politiker Max Mordhorst kommentierte, Sie hätten sich mit „Israelhass und Antisemitismus“ gemein gemacht. Was sagen Sie dazu?
Sehen Sie, ich habe vor zwei, drei Jahren einen Song über Anne Frank gemacht, weil ich ihr Tagebuch als Teenager einfach verschlungen habe. Auf den Song habe ich so viele Rückmeldungen bekommen. Sachen wie: „Du hast es geschafft, das Thema so zusammenzufassen, dass es nicht langweilig wird“. Oder: „Hey, diese Anne, die war ja krass!“ Das kam vor allem von Leuten aus der türkischen und arabischen Community, von Leuten, die Israels Politik oft nicht toll finden. Ich fragte mich: Wie schaffen wir es, Vorurteile abzubauen? In meiner Schulzeit wurde das Wort „Jude“ manchmal als Schimpfwort verwendet. Mit einem Song wie dem über Anne Frank wollte ich das ändern. Ich stelle mich gegen Antisemitismus. Vorurteile abzubauen ist ein wichtiger Antrieb in meiner Arbeit.
Wurden der Bild-Bericht oder dessen Inhalte vom Kika denn als Grund für Ihre Freistellung genannt?
Mir wurde bis heute kein offizieller Grund genannt. Aber in einem Gespräch wurde ich dazu befragt. Etwa, ob ich die Menschen kenne, mit denen ich da war. Ob ich aktuell mit ihnen in Kontakt stehe oder ob ich politischen Organisationen angehöre. Es ging um meine Teilnahme an dem Festival. Man fragte mich auch, wer meine Reise finanziert hat, was ich da gemacht habe und so weiter.
Was haben Sie geantwortet?
Die Wahrheit, dass ich es selbst bezahlt habe. Ich mochte die Idee dieser Workshop-Camps, wo man mit Menschen vor Ort arbeiten und ihnen zuhören kann. Aber ich habe diese Reise auch als Gelegenheit gesehen, Jugendlichen, mit denen ich hier in Deutschland arbeite, die Realität dieser Menschen vor Ort zu vermitteln.
Können Sie präzisieren, wie das Gespräch mir dem Kinderkanal weiter ablief?
Wir waren zu viert vor Ort bei dem Sender in Erfurt. Meine Managerin, ich, die Kika-Programmleiterin Astrid Plenk und der Redaktionschef der Vorschule-Redaktion Matthias Franzmann. Frau Plenk hatte einen dicken Ordner dabei, darin waren alle möglichen Bilder von mir. Man hat mir ein Bild gezeigt, wo ich auf einer Gedenk-Demo für Oury Jalloh zu sehen bin. Oury Jalloh war ein schwarzer Mensch, der 2005 in Polizeigewahrsam in Dessau verbrannt ist. Ich bin auf dem Foto ganz dunkel angezogen und habe die Faust in die Luft gestreckt. Dahinter ist ein Schild zu sehen: „Oury Jallouh, das war Mord, Widerstand an jedem Ort“.
Dieses Bild wurde seitens des Kinderkanals als problematisch benannt?
Frau Plenk sagte, für sie sehe ich auf dem Bild nach einer Person aus, die bewusst auf Demos gehe. Sie sprach mich auf das Schild „Widerstand an jedem Ort“ an. Fragte, was für eine Botschaft das senden solle.
Was haben Sie erwidert?
Ich habe versucht zu erklären, dass mit „Widerstand“ nicht auf die Straße gehen und Autos anzünden gemeint war. Es ging ja um einen spezifischen Fall, der mir und Leuten meiner Community bis heute nachgeht. Wir demonstrierten für Oury Jalloh. Und für all die anderen Menschen, die rassistische Polizeigewalt erleben. Das gibt es auch in Deutschland bis heute.
Wie reagierte die Programmleitung?
Frau Plenk sagte: „Du bist aber nun mal Moderator unseres Senders.“ Ab diesem Punkt war ich wie versteinert. Meine Managerin betonte, dass ich nicht als Moderator auf dieser Demo war. Das war ja lange, bevor ich angefangen habe, bei Kika zu arbeiten. Sie betonte auch, dass ich nirgends zu Gewalt aufgerufen habe.
Wurden Ihnen noch andere Dinge vorgelegt?
Meine frühere Kooperation mit dem Rapper Hayat wurde auch problematisiert. Über uns findet man aus dem Jahr 2013 einen Bericht im Tagesspiegel. Wir haben damals als junge Rapper politische Themen angesprochen und hatten lange einen gemeinsamen YouTube-Kanal. Musikalisch haben sich unsere Wege später dann getrennt. Hayat macht heute Straßenrap. In unseren gemeinsamen Songs ging es aber nie um Gewalt.
Was löste diese Auseinandersetzung in Ihnen aus?
Es hat mich alles extrem gehemmt. Ich habe davor offen auch politische Themen angesprochen, die mir wichtig waren, wie zum Beispiel deutsche Kolonialvergangenheit, Oury Jalloh, Kinderarmut, das Kopftuchthema. Auch den Anschlag von Hanau 2020 oder die Anschläge von Hoyerswerda 1991. Für mich war es normal, zu solchen Anlässen ein Bild zu posten, so was wie: „Immer noch unvergessen“. Heute mache ich nichts Politisches mehr.
Sie waren als Freelancer beim Kinderkanal. Haben Sie infolge des Bild-Berichts noch weitere Jobs verloren?
Leider ja. Projektwochen, die fest eingeplant waren, wurden gecancelt. Etwa mit dem Verein „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, mit dem ich seit Jahren arbeite. Ich bin Pate von drei Schulen, die zum Courage-Netzwerk gehören. Ich habe jahrelang für Courage geworben und mir teils berechtigte Kritik von Jugendlichen anhören müssen, die sagen, so etwas wie „Schule ohne Rassismus“ gibt es nicht. Dass der Verein die Zusammenarbeit auf Eis gelegt hat, finde ich sehr schade. Es beweist ja, dass er in meinem Fall eben keine Courage zeigt. Man sagte mir, solange die Entscheidung des Kinderkanals nicht gefallen ist, müsste man die Zusammenarbeit pausieren. Über Monate war ich in einer ständigen Warteschleife. Dann kam die Mail mit der Absage des Kinderkanals.
Die Beendigung der Zusammenarbeit wurde Ihnen in einer E-Mail mitgeteilt?
Zwei Sätze und tschüss. Man soll sich ja nicht selbst loben, aber ich finde, ich habe wirklich dazu beigetragen, ein Publikum bei Kika einschalten zu lassen, das den Sender davor nicht auf dem Radar hatte. Ich habe die vielen Zuschriften, die sich über meine Absetzung beschwert haben, ja gelesen. Das waren vor allem Familien mit migrantischen Biografien, die den Sender durch mich oft erst wahrgenommen haben. Auf einmal war da jemand, der Menschen repräsentiert, die sonst selten als Teil Deutschlands gesehen werden. Es war sehr schwer für mich, dass meine Reputation plötzlich egal sein sollte und mit Füßen getreten wurde. Es hat mich in ein tiefes Loch geworfen.

Ihr Fall ähnelte in mehreren Hinsichten dem von Nemi El-Hassan oder der anhaltenden Agitation mancher deutscher Zeitungen gegenüber dem neuen HKW-Intendanten Bonaventure Ndikung, die man als rassistisch bezeichnen könnte. Sind nicht-weiße Menschen in Debatten, in denen Israel/Palästina eine Rolle spielt, in Ihren Augen angreifbarer?
Definitiv. Wir haben es generell schwerer. Mein Weg war alles andere als leicht. Ich bin hier in einem Asylbewerberheim groß geworden. Später, 2019, wurde ich von meiner Heimatstadt Berlin vom damaligen Bürgermeister Michael Müller mit dem Band für Mut und Verständigung ausgezeichnet. Ich musste sehr viel dafür tun, um dahin zu kommen, wo ich heute bin.
Was erwarten Sie sich heute vom Kinderkanal?
Ich würde mir wirklich wünschen, dass die Verantwortlichen ihre Entscheidung noch einmal überdenken. Einfach, weil ich gesehen habe, was für ein Potenzial die Präsenz von Menschen wie mir bei so einem Sender hat. Ich habe in meiner Zeit dort auch viele Gespräche mit nicht-weißen Kindern geführt, die sagten, dass ich sie zu Größerem inspiriert habe. Ich sagte mir, zieh das durch, so kannst du Jüngeren Türen öffnen.
Was glauben Sie, welche Botschaft sendet Ihre Freistellung?
Wie gesagt, ich glaube, dass Potenzial auf der Strecke bleibt. Aber ich finde es auch in anderer Hinsicht schade. Weil eben auch weiße Kinder aus Orten, wo sie sonst wenig Kontakt haben mit Leuten, die aussehen wie ich, mich sehen und feststellen konnten: Das ist total normal. Sie sahen einfach Matondo, ihren „Baumhaus“-Kumpel. Sollte es bei der Entscheidung bleiben, werde ich weiter dafür kämpfen, meine eigene Organisation groß zu machen, wo ich Jugendlichen dabei helfe, ihre Zukunft zu entwerfen. Sie heißt „Alles für die Jugend“.
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