Kino für junge Menschen: Räume der Hoffnungen und Träume

Die Sektion Generation der Berlinale spiegelt die Themen der Zeit, will aber mehr. Ein Gespräch über den Wechsel an der Sektionsspitze sowie Filme und Schule.

Melika Gothe betreut das Sektionsmanagement von Generation und ist vor allem für die Filmbildung zuständig. Sebastian Markt ist der neue Leiter der Berlinale-Sektion Generation.
Melika Gothe betreut das Sektionsmanagement von Generation und ist vor allem für die Filmbildung zuständig. Sebastian Markt ist der neue Leiter der Berlinale-Sektion Generation.Sabine Gudath

Eigentlich gilt für die Berlinale „Einlass zu den Vorstellungen ab 18 Jahre“. Doch bei der Sektion Generation ist diese Regel außer Kraft. Es ist in diesem Jahr die 46. Ausgabe des Programms für junge Zuschauer der Filmfestspiele – und vielfach der Beginn einer lebenslangen Kinoliebe. 25 lange und 31 kurze Filme sind ab Freitag im Wettbewerb „Kplus“ für Kinder und „14plus“ für Jugendliche und junge Erwachsene zu sehen. Wir sprachen zuvor mit Sebastian Markt, dem neuen Leiter der Sektion, und mit Melika Gothe, verantwortlich für das Sektionsmanagement.

Sebastian Markt, Sie sind seit fast zehn Jahren im Team von Generation und leiten es ab dieser Berlinale. Gibt es etwas, das Sie schon immer anders machen wollten als Ihre Vorgängerin Maryanne Redpath und jetzt endlich können?

Sebastian Markt: Nicht im großen Stil. Dadurch, dass Melika und ich schon sehr eng miteinander und mit Maryanne zusammengearbeitet haben, ist es in diesem Jahr eher der Versuch, das gute Niveau zu halten. Es gibt kleine Veränderungen. Die Kurzfilme von 14plus teilen wir statt wie bisher auf zwei nun auf drei Vorführungen auf – damit da mehr Platz für das Gespräch hinterher ist. Was sich ändert, ist natürlich die Teamstruktur, wir haben andere Rollen.

Wie wichtig ist Ihnen, dass bestimmte Themen vorkommen?

Sebastian Markt: Es gilt verschiedene Momente zu bedenken, um ein Programm zusammenzustellen, das in sich stimmig ist. Das hat mit Themen zu tun, mit einer gewissen geografischen Ausgewogenheit und mit dem Tonfall. Wir wollen nicht, dass es deprimierend ist oder nur überschwänglich. Dabei haben wir nicht den Vorsatz, bestimmte Themen in der Auswahl zu haben, doch was die Welt gerade sehr bewegt, findet sich dann auch im Programm. Zum Beispiel mit einem Dokumentarfilm aus der Ukraine, der fünf Jugendliche aus der Donbass-Region porträtiert, „We Will Not Fade Away“, und einen iranischen Dokumentarfilm von einer jungen kurdischen Regisseurin, „Dreams’ Gate“.

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Sabine Gudath
Zu den Personen
Sebastian Markt hat in Wien und Berlin Geschichte studiert, arbeitete unter anderem in Programmkinos und ist seit etwa zehn Jahren als Filmkritiker tätig. Im Team von Generation war er zuvor für die Programmkoordination zuständig.

Melika Gothe, die seit 2014 im Team von Generation ist, hat im Mai 2022 das Sektionsmanagement übernommen und ist vor allem für die Filmvermittlung und organisatorische Belange verantwortlich.

Wie ist es mit dem Klimawandel?

Sebastian Markt: Der ist in diesem Jahr nicht so stark präsent. Es gibt aber einige Filme, die über unser Verhältnis zu Landschaften und Natur nachdenken, und das Meer spielt oft eine große Rolle.

Sie suchen ja ohnehin nicht aus, sondern sichten, was bei Ihnen eingereicht wird, oder?

Sebastian Markt: Nicht nur, wir laden auch Regisseurinnen und Regisseure gezielt ein. Wir haben zum Beispiel in Kplus mit „Kiddo“ den Debütfilm einer Regisseurin, die wir von einem Kurzfilm kannten, Zara Dwinger aus den Niederlanden.

Frieda Barnhard in „Kiddo“
Frieda Barnhard in „Kiddo“Studio Ruba

Wie ist es mit bestimmten Formen, suchen Sie danach?

Melika Gothe: Natürlich ist uns da auch die Vielfalt wichtig – das dokumentarische Kino genauso wie der Animationsfilm, wir wollen unterschiedliche Sichtweisen zeigen.

Sebastian Markt: Es geht zum Beispiel um das Erzählen selbst. Wir haben einen Film, der mit der Erfindung der Camera obscura beginnt und zur Frage führt, wie wir mit Bildern umgehen, auch auf Social Media: „And the King Said, What a Fantastic Machine“. Und es gibt einen Dokumentarfilm aus der Dominikanischen Republik, „Ramona“, der zur Reflexion einlädt darüber, was es bedeutet, für oder über andere zu sprechen. Eine Schauspielerin, die eine junge Schwangere spielen soll, will bei Jugendlichen recherchieren – und die erheben nach und nach ihre eigenen Stimmen.

Szene aus „Ramona“, Generation 14plus
Szene aus „Ramona“, Generation 14plusJaime Guerra

Wie haben Sie die Wahl für die Eröffnungsfilme getroffen?

Sebastian Markt: Wir finden, beide setzen zur Eröffnung einen Ton, der Ambivalenzen zulässt. „Sea Sparkle/Meeresleuchten“ bei Kplus ist sehr besonders in der Art des Erzählens, wie er Räume schafft für die Erfahrungen der Hauptfigur und des Publikums. Ein Mädchen, das seinen Vater im Meer verloren hat, durchläuft ihren eigenen Trauerprozess. Und mit „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ haben wir bei 14plus die schöne Möglichkeit, mit einem sehr prominent besetzten Film nach einem  Bestseller Joachim Meyerhoffs zu eröffnen: Der Film erzählt von dem außergewöhnlichen Aufwachsen auf dem Gelände einer psychiatrischen Anstalt und hat einen vielschichtigen Blick darauf, was Familie bedeuten kann.

Es gab in den vergangenen Jahren oft Kritik an einer Vielzahl harter Stoffe, zu düster sei das Programm. Wie sehen Sie das?

Sebastian Markt: Das diskutieren wir selbst sehr stark während der Auswahl. Die Frage der Angemessenheit gehört ja auch zu unserem Anspruch, ein möglichst breites Bild davon zu zeigen, was Kino für junges Publikum sein kann. Es gibt jedes Jahr Filme, die uns für sich genommen gut gefallen, die wir aber bei Generation fehl am Platz finden. Dass es nicht die allerglücklichsten Zeiten gerade sind, findet natürlich einen Niederschlag im Programm, doch ist dies nicht der überwiegende Tonfall. Wir haben auch leichte Seiten, Humor. Genauso wichtig wie ein Spiegel der Zustände ist es, Gegenbilder zu finden: Räume der Hoffnungen und Träume.

Szene aus „And the King Said, What a Fantastic Machine“
Szene aus „And the King Said, What a Fantastic Machine“Belle Delphine

Warum schaffen es nur wenige Filme von Generation ins Kino?

Melika Gothe: Das hat mehrere Gründe. Sind die Filme überhaupt verfügbar für den deutschen Markt? Im Kplus-Bereich zeigen wir viele Filme mit deutscher Einsprache, fürs Kino müssten in der Regel Synchronfassungen erstellt werden. Dass es gar nicht so wenige sind, merkt man in diesen Wochen: „Mission Ulja Funk“, das 2021 bei uns im Programm war, ist im Kino zu sehen, bald auch „Stop-Zemlia“ aus demselben Jahr. „Kalle Kosmonaut“ von 2022 läuft jetzt und „Girl Picture“ demnächst an. Es kommen noch zwei Filme, die von der Jury der AG Kino Gilde ausgewählt worden sind. Die gehen auf Tour.

Gehört so eine Kinotour für Sie zur filmkulturellen Bildung?

Melika Gothe: Das trägt erst einmal dem Rechnung, dass wir ein Festival sind und besondere Filme besonders präsentieren. Wenn die Filme durch diese noch relativ junge Zusammenarbeit mit der AG Kino Gilde dem Publikum zur Verfügung gestellt werden, engagieren sich die Häuser dafür auch extra, mit dem Berlinale-Trailer, mit zusätzlichem Material. Zugänge zu einer Vielfalt von Filmen und filmischen Formen zu bieten, gehört zu unserem Grundverständnis von filmkultureller Bildung. Dazu gehört auch, dass wir bei der Berlinale die Sektion sind, die zuerst den Kartenverkauf öffnet und Gruppentickets anbietet, damit möglichst viele Kinder und Jugendliche etwas davon haben.

Mit wie vielen Schulen sind Sie in Kontakt?

Melika Gothe: Im Rahmen des Berlinale-Schulprojekts sind das dreißig Schulen oder Lehrer:innen, die zum Teil mit verschiedenen Gruppen kommen. Es gibt aber noch mehr, die mit ihren Klassen die Berlinale besuchen. Da möchten wir auch genauer hinschauen. Von einer Berliner Schule wissen wir, dass sie auch immer zur Berlinale schulfrei gibt.

Um die filmkulturelle Bildung ist es in Deutschland schlecht bestellt. Die Beschäftigung mit dem Film gehört nicht in die Lehrpläne, gerade mal im Deutsch-Leistungskurs der Oberstufe kommt er kurz vor. Was kann die Berlinale erreichen?

Melika Gothe: Wenn wir über Filmbildung allgemein sprechen, habe ich den Eindruck, dass derzeit in verschiedenen Bereichen viel passiert, auch von einigen Kinobetreibenden. Denke ich an die Schule, dann bin ich, sind wir alle bei Generation unbedingt dafür, dass mehr geschehen muss. Wir arbeiten ja mit solchen Lehrer:innen zusammen, die großes Interesse am Film haben und vieles ermöglichen. Nicht nur in Kunst oder Deutsch, sondern auch beim Unterricht der anderen Sprachen, bei den Naturwissenschaften oder Mathematik finden sie Räume innerhalb des Lehrplans, sich mit Film zu beschäftigen.

Das Berliner Kurzfilmfestival Kuki hat ein Programm „Kurzfilm im Klassenzimmer“ – wäre so etwas eine Option?

Melika Gothe: Das ist ein tolles Projekt, in das bemerkenswert viel Energie gesteckt worden ist. Im Rahmen der Berlinale legen wir weiterhin einen Fokus auf den Kinobesuch. Beim Filmerlebnis außerhalb der Schule erfahren die Schüler:innen den Raum Kino und erleben hier Gespräche mit den Filmschaffenden. Wir gucken jetzt noch genauer hin, wen wir erreichen und wen wir noch nicht erreichen – aus welchen Schulen, aus welchen Bezirken sie kommen.  Dafür haben wir zum Beispiel auch die Film-Fragebögen überarbeitet, über die uns das Publikum Feedback geben kann.

Wie geht es Ihnen mit Ihrem Programm für das junge Publikum innerhalb der Filmfestspiele?

Sebastian Markt: Sehr gut. Wir setzen uns sozusagen in ein gemachtes Nest, weil die Arbeit der vergangenen Jahre viel bewirkt hat. Generation als Premieren-Sektion mit zwei Wettbewerben steht gut neben den anderen Sektionen. Der Film, der im vergangenen Jahr den Großen Preis der Internationalen Jury von Kplus bekommen hat, ist jetzt nominiert für den Oscar als nicht-englischsprachiger Film: „The Quiet Girl“. Das spricht vielleicht auch für unsere Auswahl.

Generation ab 17.2. in der Urania, im Zoo Palast, Cubix, Filmtheater am Friedrichshain und weiteren Kinos. Alle Vorstellungen 6 Euro, Infos zu den Gruppentickets (3,50 oder 4,50 Euro) unter Tel.: 0800 7240322