Oscargewinner Volker Bertelmann: Ein Siegerländer in Los Angeles
Volker Bertelmann alias Hauschka nahm den Oscar für die beste Filmmusik zu „Im Westen nichts Neues“ entgegen. Unser Autor hat den Musiker vor der Verleihung gesprochen.

Volker Bertelmann alias Hauschka gehört jetzt zu den ganz großen Filmkomponisten dieser Welt.
Wenn man ihn einmal persönlich kennengelernt hat, kriegt man diese Bilder kaum zusammen: den überaus bescheidenen, leise und ruhig sprechenden Musiker, der sich am liebsten in den Klangkosmos eines präparierten Klaviers versenkt – und den Mann in Smoking und Fliege, der im Dolby Theatre in Los Angeles vor den Augen der Welt eine Dankesrede hält, weil er den Oscar für die beste Filmmusik gewonnen hat. Er hat sie für die deutsche Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ geschrieben und zu einem großen Teil am Harmonium aus dem Haus seiner Urgroßmutter entwickelt.
Um das Ausmaß seines Erfolgs zu ermessen, schaut man sich am besten einmal die Liste der Mitnominierten an, die Volker Bertelmann in seiner Rede bedenkt: „Ich bin dankbar, dass ich zu so einer diversen Gruppe talentierter Komponisten gehören darf.“ Darunter ist zum Beispiel Justin Hurwitz, der 2017 gleich zwei Oscars entgegennahm: Für die beste Filmmusik und den besten Filmsong in „La La Land“. Darunter ist aber vor allem der 91-jährige John Williams, für den der Begriff Legende eigentlich noch zu klein ist. Fünf Oscars nennt er bereits sein Eigen. Er bekam sie unter anderem für „Star Wars“ oder „Schindlers Liste“, deren Hauptmotive ein hoher Prozentsatz zufällig ausgewählter Passanten sicher aus dem Stegreif vorpfeifen könnte.
Hauschkas Musik changiert zwischen Impressionismus und Minimal Music
Der 57-jährige Bertelmann ist einer dieser Menschen, denen man wirklich glaubt, wenn er seiner Familie dankt, die im Rang des Dolby Theatre sitzt, und wenn er als Inspiration an Worte seiner Mutter erinnert: „Wenn du etwas für mehr Menschlichkeit und Empathie in der Welt tun willst, dann solltest du bei dir selbst und deinem eigenen Umfeld anfangen. Dabei lernst du selbst dazu und zeigst gleichzeitig anderen, wie wir alle zusammen leben können.“ Er habe bei der Arbeit an der Musik zum Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ oft an diese Worte denken müssen. „Er hat mich tief berührt und oft musste ich den Bildschirmausschnitt verkleinern, wegen all der Explosionen.“
Der neue Stern am Filmkomponistenhimmel wurde 1966 in Kreuztal geboren, in der siegerländischen Provinz in Nordrhein-Westfalen also. Heute lebt er mit Frau und Kindern in Düsseldorf. Nach einer klassischen Klavierausbildung und der Mitwirkung in Rock- und Hip-Hop-Bands fand er Anfang der 2000er seine Bestimmung im Komponieren von Klavierstücken, die er unter dem Pseudonym Hauschka veröffentlichte – und bis heute veröffentlicht.
Hauschkas Musik changiert zwischen Impressionismus und Minimal Music, erinnert an Eric Satie, Michael Nyman oder Philip Glass. Als Hauschka veröffentlichte er noch 2016 die Filmmusik zum Drama „Lion – Der lange Weg nach Hause“. Heute trennt er die Bereiche, macht die Scores, die als Auftragsarbeiten im großen Team entstehen, unter seinem bürgerlichen Namen und die freiere, experimentellere Musik als Hauschka.
Ein christlicher Hintergrund
So wie die Stücke von Hauschka, so wie der Mensch Volker Bertelmann, so ist auch die Musik zu „Im Westen nichts Neues“ nie vordergründig und auf den ganz großen Effekt aus. Zufällig ausgewählte Passanten werden sie auch direkt nach dem Filmabend eher nicht auf den Lippen haben. Trotzdem ist es Filmmusik im besten Sinne.
Sie unterstützt die Stimmungen, spendet unaufdringliche Themen und Motive, die Orientierung schaffen. „Zu der persönlichen Entstehungsgeschichte der Filmmusik von ‚Im Westen nichts Neues‘ gehört, dass ich vor zwei Jahren ein Harmonium angeboten bekam, das im Haus meiner Urgroßmutter stand“, erzählte der Musiker im Vorfeld der Oscarverleihung. „Um 1900 wurden da im Siegerland Bach-Choräle begleitet, vermute ich, weil meine Familie einen streng christlichen Hintergrund hat. Für mich war das also immer ein Instrument, das zu alten Leuten gehört.“
Ein eigenes Statement und ein tolles Gefühl
Nach dem Betrachten des Films kam ihm aber der Gedanke, dass es genau jetzt gut passen könnte. Bertelmann hat das Harmonium restaurieren lassen und getestet, wie es elektronisch verändert klingt. „Jetzt ist es eine Referenz an die Zeit, in der der Film spielt, aber bringt gleichzeitig auch etwas Modernes herein. Das signifikante tiefe Bass-Thema spielt tatsächlich nur das stark verzerrte Harmonium – dazu kommen Geräusche wie Holzknarren oder wie von Maschinen, die alle von Mikrofonen im Instrument kommen.“ Regisseur Edward Berger habe ihm die Freiheit gelassen, die Musik mit dieser ganz persönlichen Herangehensweise zu entwickeln – wie er es vielleicht auch als Hauschka tun würde. „Ich hatte so die Möglichkeit, auch ein eigenes Statement zu dem Stoff zu geben. Dass das zu einer Nominierung führte, fühlt sich sehr gut an“, sagte er vor der Verleihung. Wie gut muss sich jetzt erst die Auszeichnung anfühlen?
Durchaus kritisch blickt der Filmkomponist, der seit seiner Nominierung von 2016 auch Teil der Oscar-Academy ist, allerdings auf die deutsche Berichterstattung zu „Im Westen nichts Neues“. In der Kritik fiel die Neuverfilmung hierzulande meist durch, wurde etwa als historisch ungenau oder sogar verfälschend beschrieben. Bertelmann hätte sich mehr Würdigung gewünscht, allein für die Tatsache, dass der Film einen so wichtigen Stoff für ein aktuelles Publikum aufbereitet. „Das Buch ist so wichtig, es setzt sich mit dem Krieg aus Sicht der Deutschen auseinander. Sonst kommen Kriegs- oder Antikriegsfilme meistens von den Amerikanern oder Engländern – die sich zu Recht freuen dürfen, denn sie haben uns von den Nazis befreit.“
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