Das Kino steckt derzeit in seiner tiefsten Krise seit 1895. Dennoch ist nicht alles schlecht. So liefen in der vordigitalen Epoche zwar mehr Filmklassiker in den Lichtspieltheatern, die dort auch massenweise gesehen wurden. Allzu oft waren jedoch die analogen Kopien stark abgenutzt. Vor allem an den Enden der einzelnen Rollen – ein abendfüllender Film bestand aus vier bis sechs Teilen von je 400 bis 600 Metern – nahmen die Risse und Schrammen derart zu, dass einzelne Szenen oder Texte regelrecht verhackstückt wurden. So konnte es passieren, dass der Schlussdialog von „Casablanca“ zwischen Humphrey Bogart und Claude Rains vom Publikum soufflierend ergänzt wurde. Denn von der Leinwand drangen nur noch Fragmente in den Saal. Inzwischen ist das Kino zu einer weitgehend immateriellen Angelegenheit geworden: Bilder und Töne kommen von der Festplatte. Was auch den Vorteil hat, dass die Vorführer keine schweren Kisten mehr schleppen müssen und nach dem fünften Bier auch keine Rollen mehr verwechseln können.
In den letzten zwanzig Jahren sind Klassiker weitgehend aus den „normalen“ Kinos verschwunden. „Repertoire läuft nicht mehr“, lautete das resignierte Fazit. Man setzte ausschließlich auf neue Filme, überließ das Erbe den Video- und Kinematheken. Doch in jüngster Zeit zeichnet sich zaghaft ein Gegentrend ab. Und weil antizyklische Bewegungen die Welt am Laufen halten, sei hier eine der Initiativen zur Rettung der Filmgeschichte gepriesen. Sie nennt sich „Best of Cinema“ und stammt von einem international aufgestellten Anbieter mit mehreren tausend Aufführungsrechten im Portfolio. Aus dieser Schatztruhe wird jeweils am ersten Dienstag des Monats ein Kleinod hervorgeholt und in restaurierter 4K-Fassung den Kinos als Reprise angeboten. Den Anfang machten u.a. David Lynchs „Mullholland Drive“ (2001) oder die Agatha-Christie-Adaption „Tod auf dem Nil“ (1977).
Jetzt erlebt „Tiger & Dragon“ (2000) seine digitale Frischzellenkur. Zur Erinnerung: Das war jener Leinwand-Wirbelsturm, mit dem der auf Taiwan geborene Regisseur Ang Lee das westliche Millionenpublikum mit dem Martial-Arts-Kino vertraut machte. Bis dahin war dieses Genre cineastischen Connaisseuren vorbehalten, unter denen die Namen von Meistern wie Tsui Hark oder John Woo wie Geheimformeln gehandelt wurden. Nach den zwei turbulenten Stunden „Tiger & Dragon“ mit seiner von schwerelosen Balgereien in allen denkbaren und undenkbaren Variationen eingerahmten, romantischen Liebesgeschichte rieben sich die meisten Zuschauer verwundert die Augen. Sie fragten sich, was sie da eigentlich gerade gesehen hatten. Und sie wollten mehr davon. Heute ist Ang Lees Märchenfilm selbst ein Klassiker und der Wiederentdeckung wert. Im Herbst wird „Best of Cinema“ fortgesetzt, u.a. mit Filmen von Quentin Tarantino, John Carpenter oder John Huston. Es geht dem Kino derzeit nicht gut. Doch es ist nicht alles schlecht. Und digital ist (manchmal) sogar besser.