Der Animefilm „Suzume“: Türen in die Vergangenheit

Nach über 20 Jahren läuft wieder ein Animefilm im Wettbewerb. Das Warten hat sich gelohnt. Über eine Reise mit Stuhl und Katze durch ein Japan im Wandel.

Die zwei Protagonisten des Films: Suzume und der charmanteste Stuhl der Kinogeschichte.
Die zwei Protagonisten des Films: Suzume und der charmanteste Stuhl der Kinogeschichte.„Suzume“ Film Partners

Es ist über zwei Jahrzehnte her, dass ein Animefilm im Wettbewerb der Berlinale lief. Für „Chihiros Reise ins Zauberland“ gewann der japanische Großmeister des Genres, Hayao Miyazaki, 2002 den Goldenen Bären. Miyazaki zeichnet, animiert, schreibt, produziert und führt Regie. Er ist der Mitbegründer der legendären Animeschmiede Studio Ghibli, deren Filme wie „Mein Nachbar Totoro“, „Prinzessin Mononoke“ oder „Das wandelnde Schloss“ zu den wenigen Titeln des Genres gehören, die auch einem internationalen Mainstream-Publikum bekannt sind. Zwar gibt es auch in Deutschland eine große Anime-Fangemeinde, in den öffentlichen Kulturräumen jenseits des Internets spürt man davon allerdings wenig.

2013 kündigte Miyazaki offiziell seinen Ruhestand an, den er allerdings nutzte, um ganz in Ruhe einen neuen Film zu machen, der in Japan diesen Sommer in die Kinos kommen soll. Über das kreative Erbe des 82-Jährigen wird in Japan trotzdem gesprochen, dabei fällt ein Name besonders häufig: Makoto Shinkai. Die größte Gemeinsamkeit der beiden Filmemacher liegt bislang nicht etwa im Zeichenstil oder in den Erzählmustern, sondern in ihrem Erfolg. Shinkais Film „Your Name. – Gestern, heute und für immer“, in dem zwei verliebte Teenager ihre Körper tauschen, war der erste Animefilm, der international mehr Geld einspielte als „Chihiros Reise ins Zauberland“. In seinem neuen Film nähert sich Shinkai Miyazaki dem nun auch thematisch an, indem er von der fragilen Co-Existenz von Mensch und Natur erzählt, allerdings mit einem größeren Fokus auf die zwischenmenschliche Ebene.

Das Trauma des Erdbebens von 2011 ist omnipräsent

Die titelgebende Schülerin Suzume trifft eins Morgens auf einen mysteriösen Fremden. „Wie schön“ haucht sie und wird knallrot, als er sie nach dem Weg zu ein paar Ruinen in den Bergen fragt. Als kurz darauf von dort ein leuchtendes Rauchmonster in den Himmel aufsteigt, hastet sie hin und stößt auf eine Tür, die die beiden jungen Menschen nur gemeinsam verriegeln und damit das Monster verbannen und den Ort vor einem Erdbeben retten können. Der Schöne stellt sich als Souta vor, er stammt aus einer Familie von sogenannten Schließern, die seit Generationen dafür zuständig sind, Umweltkatastrophen zu verhindern. Weil man vom Schließerdasein nicht leben kann, studiert er außerdem in Tokio auf Lehramt.

Als sich die beiden gerade besser kennenlernen, taucht ein niedliches Kätzchen auf, das nicht nur sprechen, sondern auch zaubern kann und Soutas Lebensgeister sogleich in einen kleinen gelben Kinderstuhl mit drei Beinen verbannt. In dieser Gestalt trippelt er fortan zusammen mit Suzume der Katze durch halb Japan hinterher, deren Spur nicht schwer zu verfolgen ist, weil sich das Tierchen zu jeder Gelegenheit vor Handykameras den Bauch kraulen lässt. Wo sie sich niederlässt, wackelt bald die Erde. Die Katastrophe des verheerenden Erdbebens und der Tsunamis von 2011 ist omnipräsent.

Das kollektive Trauma verknüpft Shinkai mit einem persönlichen. Als Suzume vier Jahre alt war, starb ihre Mutter, der gelbe Stuhl ist ihre letzte greifbare Erinnerung an sie. Dass das Mädchen mit diesem Stuhl nun nicht nur ganze Städte retten muss, sondern irgendwie auch noch in ihn verliebt ist, mag nur denjenigen überkomplex erscheinen, die sich nicht mehr an ihre Pubertät erinnern.

Gemeinsam reisen die beiden durch ein Land im Wandel, das um seinen Umgang mit der Vergangenheit ringt. Wollen Suzume und Souta das Unheil durch eine Tür versperren, dann müssen sie dafür erst den Menschen nahekommen, die früher in den Ruinen lebten. Sie müssen ihnen zuhören, ihre Gesichter betrachten, ihre Emotionen nachfühlen. Erst dann ist ein Abschließen, hier auch buchstäblich, möglich.

Shinkai erzählt und zeichnet weniger kindlich als Miyazaki, weniger rätselhaft, scheut nicht vor audiovisuellen Knalleffekten zurück. Als internationaler Botschafter des Animefilms könnte er ihn durchaus beerben. Vielleicht auch als Bärenpreisträger – wobei die Tatsache, dass „Suzume“ auf der Berlinale nicht seine Weltpremiere feiert, weil der Film in Japan bereits im Kino lief, seine Preischancen verringern dürfte.

Suzume. Wettbewerb, Regie: Makoto Shinkai, Japan

Vorführungen bei der Berlinale:
Freitag, 24. Februar, 9.30 Uhr, Cubix
Freitag, 24. Februar, 10.00 Uhr, Urania
Samstag, 25. Februar, 18.45 Uhr, Verti Music Hall